Decoding China: Droht ein Handelskrieg mit der EU?
13. Juni 2024Das Auto ist eine deutsche Erfindung. Als Carl Benz 1886 das "Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb" beim Patentamt anmeldete, wusste er bereits, dass es ein internationales Geschäft werden würde, denn der erste Kunde der Daimler-Motoren-Gesellschaft (Vorläufer von Mercedes Benz) war Mulai al-Hassan I., der Sultan von Marokko. Das erste Auto in China erhielt die Kaisermutter Cixi zu ihrem 67. Geburtstag 1901.
Dass gut 120 Jahre später Chinas Autoindustrie zur härtesten Konkurrenz der Deutschen werden könnte, war nicht abzusehen, zumal beide Seiten über Jahrzehnte eine enge Zusammenarbeit pflegten. In China war der Volkswagen der erste ausländische Konzern, der seit 1983 in einem Shanghaier Joint Venture Kraftfahrzeuge produziert. Die Santanas und Jettas haben die Straßenbilder in chinesischen Metropolen jahrzehntelang dominiert. Auch heute erzielen die deutschen Premiumhersteller auf dem chinesischen Markt riesige Umsätze und sichern die heimischen Arbeitsplätze.
So äußerte sich auch der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler in einem Straßeninterview mit einem Videoblogger aus China, das in der Volksrepublik viral ging. Köhler, der auch Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) war, sagte: "Wir wären beide dumm, China wäre dumm, und Deutschland wäre dumm, wenn wir keine gute Beziehung hätten. Wir müssen zusammenarbeiten und dafür sorgen, dass die Weltwirtschaft floriert."
Kritik aus Berlin
Doch die EU-Kommission bewertet die Handelsbeziehungen zu China anders. Drei Tage nach der Europawahl kündigte sie Sonderzölle von bis zu 38,1 Prozent auf Elektroautos aus China an, und zwar trotz Widerstands der Bundesregierung und der europäischen Hersteller. Die Kommission begründete den Schritt mit Wettbewerbsverzerrungen durch hohe staatliche Subventionen. Zuvor hatten die USA die Zölle auf E-Autos auf 100 Prozent erhöht.
Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), äußerte sich kritisch: "Ein weiterer Schritt weg von globaler Zusammenarbeit." "Die EU-Kommission schadet europäischen Unternehmen und europäischen Interessen", meinte BMW-Chef Oliver Zipse. "Als Exportnation brauchen wir keine steigenden Handelshindernisse", sagte Mercedes-Chef Ola Källenius. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) warnt davor, dass der Schritt zu stärkeren Handelskonflikten führen könnte. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der kurz vor der Chinareise steht, setzt auf Verhandlungen und warnt vor einem "Zollwettlauf".
Grüne Transformation "gefährdet"
Die Antwort aus Peking folgte prompt. Noch am Mittwochabend bekräftigte das Pekinger Handelsministerium, alle notwendigen Maßnahmen entschieden durchsetzen zu wollen, um das Interesse chinesischer Autobauer zu schützen. Die Entscheidung der EU-Kommission entbehre jeder rechtlichen und sachlichen Grundlage.
"Die einseitig behaupteten Subventionen wurden erfunden und künstlich vergrößert. Die Zusatzzölle sind protektionistische Maßnahmen pur. Es ist die größte Ungerechtigkeit, die Gerechtigkeit im deren Namen zu sabotieren", so ein Sprecher. Für die grüne Transformation und die Reduktion des CO2-Ausstroßes seien bezahlbare E-Autos in Europa von zentraler Bedeutung.
"Wir brauchen China, um die globalen Probleme zu lösen", so auch die VDA-Lobbyistin Müller. "Das gilt insbesondere auch für eine erfolgreiche Bewältigung der Klimakrise. China spielt eine entscheidende Rolle für eine erfolgreiche Transformation hin zu Elektromobilität und Digitalisierung. Ein Handelskonflikt würde auch diese Transformation gefährden."
"Beijing wird keine EU-Produkte mit Zöllen belegen, die es noch braucht", sagt Jakob Gunter, Experte des Berliner China-Instituts MERICS. "Dazu zählen Maschinen, hochwertige Industriegüter, Chemikalien, Medizintechnik und andere Produkte. Es dürfte auch nicht auf die großen europäischen Automobilhersteller abzielen, die massiv in China investieren, Arbeitsplätze schaffen, Steuern zahlen und zum Wachstum beitragen. Ins Visier geraten dürften Agrar-, Lebensmittel- und Getränkeprodukte, auf die Chinas Verbraucher verzichten können oder die Chinas Produzenten selbst in ausreichender Menge herstellen, wie zum Beispiel Schweinefleisch."
Gute Gründe für Strafzölle
Es gelte als sicher, dass Peking massiv subventioniert habe, so DW-Wirtschaftsexperte Lars Halter. "Genaue Angaben über die Höhe der Subvention kann man allerdings nicht machen. Peking hat unterschiedliche Wege, die Industrie zu bezuschussen. Es ist nicht einfach so, dass die Regierung Geld an die Unternehmen überweist. Sie sorgt aber dafür, dass die Firmen Zugang zu verbilligten Batterien oder Rohstoffen unter dem Marktpreis bekommen oder zu vergünstigten Darlehen."
"Es ist unbestreitbar, dass chinesische Hersteller durch massive staatliche Subventionen unfaire Wettbewerbsvorteile genießen", sagte auch Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im deutschen ARD-Fernsehen. Ökonomen beobachten seit Jahren, dass China durch die gezielte Förderung bestimmter Industriezweige große Überkapazitäten schafft und die Preise auf dem Weltmarkt deswegen sinken. Dies sei wettbewerbsverzerrend.
"Dem Wettbewerb stellen"
Walter Döring (FDP) war stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister im deutschen Bundesland Baden-Württemberg. Heute leitet er die Akademie Deutscher Weltmarktführer in Schwäbisch Hall. In seinem Bundesland sitzen zwei große Autohersteller - Porsche und Mercedes - und zahlreiche Automobilzulieferunternehmen. Er sagt: "Deutschland war über Jahre Exportweltmeister. Wir waren immer sehr stolz darauf, dass wir auf der ganzen Welt unsere Produkte und Dienstleitungen anbieten konnten. Und keiner hat uns Überkapazität vorgeworfen."
"Heute ist nun ein Wettbewerber der Exportweltmeister", sagte Döring letzte Woche im Stuttgarter Haus der Wirtschaft. "Deutschland und Europa sind selbstbewusst genug, auf diesen Wettbewerb zu fairen Konditionen einzugehen. Dass man sich dem Wettbewerb stellt, gehört für erfolgreiche Unternehmen zum Alltagsgeschäft." 2023 ist China erstmals vor Japan und Deutschland Exportweltmeister bei Autos geworden.
Die Neuzulassungen chinesischer E-Autos in Deutschland sind nicht wirklich beeindruckend. 2023 verkauften BYD und NIO, zwei große E-Autobauer Chinas, in Deutschland gerade mal je 4139 beziehungsweise 1263 neue Autos. Für BYD soll der Zollaufschlag laut EU-Kommission bei 17,4 Prozent liegen.
"Das Elektroauto ist die Zukunft", glaubt der deutsche Wirtschaftswissenschaftler und Hochschullehrer Ferdinand Dudenhöffer. "Dummerweise haben unsere Politiker das Interesse an der Zukunft verloren." Die Krise um sinkendes Interesse an E-Autos sei hausgemacht, so Professor Dudenhöffer. "Der Hauptgrund, warum Elektroautos in Deutschland und in Europa jetzt schwächer werden, sind die fehlenden Unterstützungen von der Politik. Einmal wurden die Kaufprämien gestrichen. Und zum anderen herrscht die generelle politische Einstellung, dass der Verbrenner wieder eine Zukunft hat."
"Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.