De Maizière: Mühsam, aber nötig
9. Juli 2014Die Innenminister der Europäischen Union beraten unter italienischem Vorsitz in Mailand über die künftige Flüchtlingspolitik. Neben Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien kommen zurzeit vor allem Afrikaner über das Mittelmeer nach Europa. Die Zahl der Flüchtlinge steigt. Wie reagiert die EU?
Deutsche Welle: Herr Minister, Sie plädieren dafür, dass sich die Europäische Union mehr um die Herkunftsländer und Transitländer der afrikanischen Flüchtlinge kümmern soll. Wie soll das konkret aussehen?
Thomas de Maizière: Das ist nicht ein Plädoyer nur von mir, sondern das ist das Ergebnis unserer gemeinsamen Beratungen. Wir haben natürlich gewichtige Aufgaben bei der Rettung von Leben, bei der Aufnahme von Flüchtlingen, bei der Verteilung von Flüchtlingen, aber vorrangig und auch zeitlich vorgelagert ist die Arbeit vor Ort. Wir machen das ja im syrischen Konflikt, in Jordanien, im Libanon, in der Türkei mit großen Anstrengungen. In Nordafrika gibt es eine ganz gute Zusammenarbeit mit Marokko und Algerien. Mit Tunesien wird sie aufgebaut. In Libyen ist es ganz schwierig. Viele Flüchtlinge kommen aus Somalia und Eritrea.
Wir müssen mit diesen Staaten gemeinsam sehen, auch wenn es nur wenige Ansprechpartner gibt, wie die Flüchtlinge vor Ort behandelt werden. Können wir einen geordneten Weg finden, nach Europa zu kommen? Wie können wir, ein sehr wichtiger Punkt, das Schlepperunwesen bekämpfen? Es gibt Menschen, die zahlen 10.000 bis 20.000 Dollar, um von Somalia nach Deutschland zu kommen. Vieles davon ist richtig kriminell organisiert und das muss beendet werden.
Eine vorgelagerte Arbeit also, die mühsam ist. Die können weder die Innenminister noch die Außenminister noch die Entwicklungshilfeminister alleine machen. Das muss eine koordinierte europäische Anstrengung sein mit allen Instrumenten, die wir zur Verfügung haben. Das ist jedenfalls ein neuer Ansatz, der unter italienischem EU-Vorsitz mit einer neuen EU-Kommission angegangen werden soll.
Sie haben die Kooperation mit Marokko angesprochen. Da kritisieren Menschenrechtsorganisationen, dass die marokkanische Polizei nicht gerade zimperlich mit den Flüchtlingen umgeht. Das Problem wird also nur verlagert, in diesem Fall nach Marokko?
Es geht nicht darum, dass wir nur einen neuen Grenzzaun im Norden Afrikas ziehen, sondern darum, dass man die Probleme angeht und die Armutsursachen bekämpft. Dazu gehört auch die Frage, wie mit Flüchtlingen umgegangen wird, in Libyen etwa. Dort sind die Zustände viel schlimmer als in den Flüchtlingslagern im Libanon und in Jordanien, aber bisher beschäftigen wir uns gar nicht damit. Dann kann man auch aus den Flüchtlingslagern heraus sagen: Wer ist ein wirklicher Flüchtling, der in Europa eine Zukunft hat? Wo gibt es eher einer Zukunft wieder in Afrika, im eigenen Land? Man kann da mit den Herkunftsländern reden. Viele Frauen und Mädchen werden unter Versprechungen nach Europa gelockt, dass sie dort eine große Zukunft haben. In Wahrheit geht es um die Verschleppung in Bordelle. Darüber aufzuklären in Staaten, die lange noch nicht in Europa sind, ist eine wichtige Aufgabe. Und diese Aufgaben müssen wir jetzt angehen.
Mit der Aktion "Mare nostrum", dem Retten von schiffbrüchigen Flüchtlingen auf dem Mittelmeer, retten die italienischen Behörden viele Menschenleben. Es klingt makaber, aber zieht das nicht auch neue Flüchtlinge an, weil jetzt die Wege "sicherer" sind und die Schlepper wissen, wie sie die Menschen nach Europa bringen können?
Es ist so, und darüber sind sich auch alle europäischen Minister klar, dass die berechtigten und verantwortungsvollen Aktionen der Italiener zu einem "pull-Faktor", wie wir das nennen, geworden sind. Schon wer ein halbwegs vernünftiges Schlauchboot organisiert und sich dann aufs Mittelmeer begibt, hat gute Chancen, gerettet zu werden. Die Schlepper kassieren den gleichen Preis und leisten sozusagen "weniger". Das sind skandalöse Dinge, die da zu Lasten von Menschen vor sich gehen. Italien bittet in diesem Zusammenhang auch um Hilfe, aber wer soll das machen? "Frontex" (die europäische Grenzschutzagentur, d. Red.) hat nicht die geeigneten Mittel dazu. Das ist auch nur Kurieren am Symptom. Wir werden das aus Verantwortung für die Menschen machen müssen , aber die Aufgabe besteht darin, die Fluchtursachen und die Flüchtlingswege vor Ort besser zu bearbeiten als bisher.
Thomas de Maizière (60) ist seit Dezember 2013 wieder Bundesinnenminister in der Koalitionsregierung aus CDU, CSU und SPD. Der CDU-Politiker war bereits von 2009 bis 2011 Innenminister bevor er für zwei Jahre ins Verteidigungsministerium wechselte.