Libanon-Krise
11. Dezember 2007Im Libanon ist die Wahl eines Staatspräsidenten durch das Parlament zum achten Mal verschoben worden. Parlamentspräsident Nabih Berri sagte am Dienstag (11.12.2007) den Termin wenige Stunden vor der geplanten Sitzung ab, weil sich die Mehrheitsfraktion von Ministerpräsident Fuad Siniora und die Opposition unter Führung der schiitischen Hisbollah nicht über Einzelheiten einer Verfassungsänderung einigen konnten. Einen neuen Anlauf sollen die Parlamentarier am kommenden Montag nehmen.
In den letzten Tagen hatte sich allerdings durchaus ein Ausweg aus der Krise abgezeichnet: Zunächst zeigten Regierung und Opposition Bereitschaft, den Oberbefehlshaber der libanesischen Streitkräfte, General Michel Suleiman, als neuen Präsidenten zu wählen. Am Wochenende schien auch der Weg zu der hierfür nötigen Verfassungsänderung geebnet zu sein.
Respektables Kirchenoberhaupt
Der maronitische Patriarch des Libanon, Nasrallah Butros Sfeir, war in seiner Sonntagspredigt so deutlich wie selten zuvor: "Die Menschen erreichen selten alles was sie wollen und sollten sich deswegen mit dem begnügen, was erreichbar ist und nicht das Unmögliche verlangen." Sfeir wird nicht nur von der knappen Million libanesischer Maroniten – etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung – als höchste Autorität betrachtet, auch die anderen Konfessionen des Landes respektieren das Kirchenoberhaupt. Und obwohl es nicht neu ist, dass der Patriarch von seinem Amtssitz im Kloster von Bkerke auch die politischen Fäden zu ziehen versucht, so ist es doch schon recht ungewöhnlich, dass seine Kritik einem anderen Christen – und auch noch einem Maroniten - gilt.
Vom Kirchenoberhaupt als zu ambitioniert und als Haupthindernis bei der gegenwärtigen Krise gescholten wird Michel Aoun, Führer der "Freien Patriotischen Bewegung" und einer der Köpfe der Opposition. Aoun war 2005 aus dem Pariser Exil zurückgekehrt und verfolgt seitdem ein Hauptziel: Er will Staatspräsident werden. Weil er sich aber mit der schiitisch-islamistischen Hisbollah zusammen getan hat, wird er von den Anhängern der Regierung abgelehnt. Aoun, der selbst einmal Oberbefehlshaber der Streitkräfte war, lässt seitdem nichts unversucht, sein Ziel dennoch zu erreichen – quasi "durch die Hintertür". Das oberste Staatsamt steht per Verfassung einem Christen zu, deswegen kommt ein Vertreter der schiitischen Hisbollah dafür nicht in Frage.
Aoun: Siniora soll zurücktreten
So fordert der energische Ex-General, dass die Regierung Siniora noch vor der Präsidentschaftswahl zurücktreten solle: Laut Verfassung beruft der Präsident den Regierungschef, ein Rücktritt der Regierung vor der Wahl ist aber nicht obligatorisch. Er käme der Opposition aber sehr gelegen, die seit einem Jahr der Regierung jede Legitimität abspricht, weil sechs Minister aus dem heutigen Oppositionslager damals die große Koalition verließen. Kein Wort davon, dass die Regierung sich weiterhin auf eine knappe Mehrheit der 128 Abgeordneten stützen kann und deswegen keinerlei Grund zum Rücktritt besteht.
Die nächste Forderung Aouns macht dessen Ambitionen noch deutlicher: Die Amtszeit des jetzt zu wählenden Präsidenten solle nur bis zu den Parlamentswahlen im Jahr 2009 dauern. Offensichtlich hofft Aoun, sich bis dahin besser als heute als möglicher Präsidentschaftskandidat zu präsentieren. Bleibt das jetzt zu wählende Staatsoberhaupt länger im Amt, wird es für den heute 72-jährigen Aoun zu spät.
Problematische Zwei-Drittel-Mehrheit
Aber es sind nicht nur die politischen Ambitionen des Ex-Generals, die die Krise verschärfen. Einige Probleme liegen in der Verfassung selbst und in der Geschichte des Libanon. Dass alle bisherigen Versuche, eine Wahl abzuhalten, scheiterten, lag zum Beispiel daran, dass durch das Fernbleiben der Opposition kein Zweidrittel-Quorum erreicht wurde. Obwohl man auch bei früheren Präsidentschaftswahlen darauf geachtet hatte, ist von einem solchen Quorum in der Verfassung gar nicht die Rede. Da heißt es lediglich, der Präsident müsse im ersten Wahlgang mit Zweidrittel-Mehrheit gewählt werden, im nächsten reiche die einfache Mehrheit. Also hätte die Regierungsmehrheit im Grunde längst einen eigenen Kandidaten wählen können.
Dass sie es nicht tat, lang wohl in der Furcht, das Land damit noch weiter zu spalten. Die Opposition hat nicht nur einmal versichert, dass sie einen Alleingang der Regierung nicht akzeptieren werde und dass man dann wohl eine Gegenregierung und einen Gegenpräsidenten einsetzen werde. Die Opposition – die Syrien nahe steht – opponiert gegen die vom Westen – besonders Frankreich und den USA – unterstützte Regierung, aber sie hat es trotzdem bisher nicht bis zum offenen Schlagabtausch getrieben, denn irgendwie scheint allen Libanesen klar zu sein, dass sie alle darunter leiden werden und dass es nur Verlierer, nicht aber Gewinner geben wird.
Hier liegt denn auch der Grund für die für Demokratien ungewöhnlichen Bemühungen, zwischen Regierung und Opposition vor der Wahl einen Kompromisskandidaten auszuhandeln, statt im Parlament Mehrheiten entscheiden zu lassen. Der Libanon – lange als einzige arabische Demokratie gelobt – beweist damit nicht zum ersten Mal, dass selbst solche Begriffe im Nahen Osten eine andere Bedeutung haben als in alteingesessenen Demokratien.