Gastfreundschaft für Flüchtlinge
15. Juni 2014Adam ist erst 18 Jahre alt, aber unglaublich zäh. Auf Lampedusa lebt er nun sein fünftes Leben: Zuhause in Ghana wäre er bei einem Überfall beinahe getötet worden, auf seiner Flucht nach Libyen hatte er dreimal den Tod vor Augen. Und bei der Überfahrt nach Europa wäre er um ein Haar ertrunken - wenn ihn nicht ein Reisegefährte an den Haaren aus dem Wasser gezogen hätte.
Jetzt ist Adam Gast bei einer Fischerfamilie auf Lampedusa, lernt Italienisch und Pizzabacken und will später einmal Politiker werden, um für eine bessere Gesellschaft zu kämpfen.
Hunderte minderjährige Flüchtlinge sind in den vergangenen Monaten in Italien angekommen. Weil es nicht genug Unterkünfte gibt, werden sie auf Familien verteilt, die sich bereit erklärt haben, sich so lange um die Jugendlichen zu kümmern, bis diese volljährig sind - vielleicht eine der wichtigsten spontanen Initiativen der Bevölkerung im Umgang mit einer nie dagewesenen Immigrationswelle, die auch jene vom Frühjahr 2011 übertrifft. Damals waren innerhalb weniger Tage 25.000 junge Tunieser in Italien gelandet. Auf Lamepdusa glühten damals Tag und Nacht die Backöfen, um die jungen Leute wenigstens mit frischem Brot zu vesorgen. Der Fischer Enzo Billeci räumte, wie viele seiner Kollegen, in seinem Haus alle Möbel beiseite, um Platz für Matrazen zu schaffen. Und dann ging er fischen, um Essen für die Gäste zu bringen. "Diese Flüchtlinge sind wie Schiffbrüchige, man nimmt sie auf. Das ist für uns doch völlig normal", sagt er heute bescheiden.
Es fehlt an staatlicher Organisation
"In Italien sind wir extrem gastfreundlich", erklärt auch Giovanni Gambuzza, Leiter des überfüllten Flüchtlingslagers von Pozzallo an der Südspitze Siziliens. "Aber unsere Gastfreundlichkeit alleine reicht einfach nicht aus, am Ende schaffen wir uns damit nur Probleme." Er sorgt sich besonders um die vielen jugendlichen Immigranten. Die italienische Bürokratie sei völlig überfordert mit der Versorgung der Flüchtlinge. "Die europäischen Institutionen müssten die Aufnahme der Flüchtlinge direkt übernehmen. Die würden die Sache nüchtern und effizient anpacken", sagt er.
Bis es vielleicht einmal so weit ist, bemühen sich Bürgerinitiativen, Vereine und - nach langem Zögern - vor allem auch die katholische Kirche um die Menschen aus den Kriegsgebieten in Afrika und dem Nahen Osten. Papst Franziskus hatte vor wenigen Monaten die Anweisung gegeben, die vielen leerstehenden Klöster und Kirchen für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Die Barockkirche San Carlo im Herzen der Altstadt von Palermo ist jetzt eine Art Durchgangslager. Vor dem Altar stehen Dutzende von Klappbetten. Hier können bis zu einhundert Flüchtlinge aufgenommen werden, bevor sie zu Verwandten und Freunden in andere EU-Länder weiterreisen. Im ehemaligen Kloster der Santa Rosalia gleich nebenan wohnen derzeit Frauen, die aus Nigeria geflüchtet sind.
Die Speisung der 1200
"Zitadelle der Hoffnung" nennt der Franziskanerbruder Biago Conte die ehemalige Kaserne hinter dem Bahnhof von Palermo, die er in den vergangenen 15 Jahren zum größten privaten Aufnahmelager Süditaliens umfunktioniert hat. Zwischen den Ruinen hat Biagio Conte eine Mensa geschaffen, die täglich 1200 Mahlzeiten liefert. Das alles hat er mit Spenden der Bevölkerung und der Händler des Großmarktes erreicht. 700 Personen können in den ehemaligen Hangars schlafen. Viele bleiben nur wenige Tage, andere verbringen ihr Leben bei dem Mönch, weil sie nicht wissen, wohin. Und weil die Verpflegung zwar einfach, aber zumindest ausreichend ist.
In den vom Staat organisierten Aufahmelagern wird oft verantwortungslos gespart. Ein bis zwei Jahre müssen Asylbewerber auf ihre Papiere warten. Mit nur einem Teller Pasta pro Tag werden sie in den Lagern immer schwächer, manche auch richtig krank. Vor dem Lager in Mineo westlich der Stadt Catania verteilen immer wieder Bauern aus der nahen Umgebung, was sie an Obst und Gemüse übrig haben. Alessandro verlangt symbolisch einige Cent von der jungen Frau aus Somalia, die ihr neugeborenes Baby stolz im Arm trägt. Es kam kurz nach der Überfahrt in Italien zur Welt. Die Mutter brauche jetzt Vitamine, sagt Alessandro und reicht ihr Tüten mit frischem Gemüse.
In Trapani, auf der anderen Seite Siziliens, stehen drei Männer vor dem aus allen Nähten platzenden Asyllager, in dem sie seit einem Jahr leben müssen. Es liegt fünf Kilometer außerhalb der Stadt . Sissao, Abdi und Issa aus Gambia, alle zwischen 20 und 25 Jahre alt, wären längst verzweifelt, wenn sie nicht zwei Fahrräder von einem italienischen Nachbarn bekommen hätten. Damit können sie wenigstens ab und zu einmal unter Leute kommen und sich Mut machen, dass auch sie vielleicht irgendwann wieder ein normales Leben führen werden.