Inflationsgerede in EU und USA
11. Mai 2021Eigentlich hält die Europäische Zentralbank EZB eine jährliche Preissteigerung von rund zwei Prozent für genau richtig. Nur erreicht sie dieses Ziel schon seit Jahren nicht mehr. Jetzt aber könnte die Inflation nach Einschätzung von EZB-Direktorin Isabel Schnabel in Deutschland kurzfristig über diese Marke springen: In diesem Jahr sei es bereits zu einem kräftigen Anstieg der Teuerungsrate gekommen, sagte das Mitglied des sechsköpfigen Führungsteams der EZB: "Und das geht sogar noch weiter. In Deutschland rechnen wir damit, dass es durchaus zu einer Inflation kommen kann, die größer ist als drei Prozent."
Kein Grund allerdings gegenzusteuern, meinte Schnabel in einem Interview mit RTL/ntv laut Vorabbericht: "Unsere geldpolitische Strategie ist mittelfristig ausgerichtet und das bedeutet, dass wir durch all diese kurzfristigen Schwankungen hindurchschauen." Im April lag die Inflation im Euro-Raum bei 1,6 Prozent. In Deutschland erreichte sie im April nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamts aber bereits 2,0 Prozent.
USA: Hohe Inflationserwartung
In ihrer jüngsten Konjunktur-Prognose hatten EZB-Volkswirte für das gesamte Jahr 2021 eine Teuerungsrate von 1,5 Prozent vorausgesagt, gefolgt von 1,2 Prozent für 2022. Neue Projektionen der Notenbank-Volkswirte sollen im Juni vorliegen.
Größere Sorgen in Sachen Inflation machen sich allerdings in den USA breit. Am Montag hieß es von Seiten der US-Notenbank, die sogenannte Inflationserwartung sei auf den höchsten Stand seit zehn Jahren gestiegen und liege nun bei 2,73 Prozent.
Steigende Rohstoffpreise hätten Sorgen geschürt, dass die Inflation das Wachstum in der größten Volkswirtschaft der Welt zum Erliegen bringen und die jüngste Rekordrally an den Börsen zunichte machen könnte, meinten Börsenhändler am Montag. Allerdings hatte der Dow Jones-Index an der Wall Street da gerade ein Rekordhoch hinter sich, es folgte eine Talfahrt. Die New Yorker Börse schloss dann am Montag leicht im Minus. Die Spekulationen über einen wachsenden Preisdruck bescherten dem Dollar ein Zweieinhalb-Monats-Minus.
Manche Beobachter in den USA fühlen sich angesichts der billionenschweren Konjunkturprogramme von US-Präsident Joe Biden und der lockeren Linie der Notenbank Fed offenbar an die 1970er Jahre erinnert. Damals eröffnete das Zusammenspiel von Politik und Notenbank der Inflation Tür und Tor. Jetzt sieht die Fed keine solche Gefahren am Horizont aufziehen. Aber Ökonomieprofessor Peter Ireland vom Boston College meint: "Der Geist, der die gemeinsame Ausrichtung der Haushalts- und Geldpolitik bestimmt, erinnert sehr an das, was die große Inflation der 1970er Jahre auslöste." Zudem sorgen die historischen Dimensionen des Programms dafür, dass die Staatsverschuldung kräftig in die Höhe schießen wird.
Yellen: Kein Risiko
US-Präsident Joe Biden will der Wirtschaft mit einem mehr als zwei Billionen Dollar schweren Infrastrukturprogramm aus der Corona-Krise helfen. Darüber hinaus plant er ein Paket zur Stärkung amerikanischer Familien. Es soll über zehn Jahre laufen und ein Volumen von 1,8 Billionen Dollar haben. Laut Finanzministerin Janet Yellen geht damit kein erhöhtes Inflationsrisiko einher, da die Gelder gleichmäßig über rund ein Jahrzehnt fließen würden.
Allerdings feuert auch die US-Notenbank weiter aus vollen Rohren und will Monat für Monat weiter Wertpapiere im Volumen von 120 Milliarden Dollar erwerben, um so die coronagebeutelte Konjunktur anzuheizen. Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel, warnt: "Neben einem Staatsdefizit von knapp 15 Prozent im letzten und in diesem Jahr und einer zweifellos gelungenen wirtschaftlichen Stabilisierung erzeugt dieser massive geld- und fiskalpolitische Impuls den inflationären Druck."
Seit Monaten berichteten Firmen von teils historisch steigenden Kosten für die Produktion: "Da auch der Arbeitsmarkt sich zuletzt wieder deutlich schneller erholte, werden Unternehmen zunehmend höhere Löhne zahlen müssen, um freie Stellen in einem brummenden wirtschaftlichen Umfeld zu besetzen", so Volkswirt Mumm. Dies könnte eine Spirale aus höheren Löhnen und Preisen in Gang setzen, die Inflation antreibt.
Alles nicht so schlimm, befand Anfang der Woche Olli Rehn, der im Rat der Europäischen Zentralbank sitzt. Die EZB sollte der US-Notenbank folgen und eine Überschreitung ihres Inflationsziels in Kauf nehmen. Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt der Euro-Zone und der Weltwirtschaft hätten den von der Lohninflation kommenden Druck abgeschwächt, sagte der finnische Notenbankchef der Financial Times. Das bedeutete, dass "die Wirtschaft mit einem niedrigeren Niveau der Arbeitslosigkeit zurechtkommen kann ... ohne rasante Inflation".
In den USA gehen die Währungshüter der Fed davon aus, dass zum Jahresende eine Inflation von 2,4 Prozent erreicht, der Preisdruck danach aber abflauen wird.
ar/hb (dpa, rtr - Archiv)