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Das große Erwachen: TV-Doku ist Chinas grüne Hoffnung

Lisa Duhm10. März 2015

China steht für Wirtschaftswachstum ohne Rücksicht auf Verluste. Jetzt hat eine TV-Doku zum Thema Luftverschmutzung das Umweltbewusstsein der Menschen wachgerüttelt. Ob das zu großen Veränderungen führt, ist fraglich.

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Smog in Peking (Foto: STR/AFP/Getty Images).
Bild: STR/AFP/Getty Images

Es war der 12. Januar 2013, als die Menschen in Peking begriffen, dass ihre Umwelt genug hatte. Der Himmel über der chinesischen Hauptstadt verdunkelte sich so stark, dass aus Tag Nacht wurde. Den Menschen fiel das Atmen schwer. Feinste Staubpartikel legten sich als Smog über die Stadt. Die 21 Millionen Einwohner atmeten giftige Dämpfe statt frischem Sauerstoff: Die "Airpocalypse" war eingetreten.

Die chinesische TV-Dokumentation Under the Dome, veröffentlicht Ende Februar, hinterfragte die eklatante Luftverschmutzung zum ersten Mal öffentlich - auf eine kritische, emotionale Weise. Innerhalb einer Woche sahen sie mehr als 200 Millionen Chinesen online, ein regelrechter Hype brach aus. Selbst der neue chinesische Umweltminister Chen Jining - seit einem Monat im Amt - lobte die Dokumentation und sagte, dass sie "die Menschen dazu anregen soll, die Luftqualität zu verbessern". Kommt es nun zu der dringend notwendigen Veränderung des chinesischen Umweltbewusstseins?

China ist der weltweit größte Produzent von Treibhausgasen. In der Hauptstadt Peking liegen durchschnittlich 100 Mikrogramm giftiger Feinstaub in der Luft - sechsmal mehr als europäische Gesundheitsbehörden als unbedenklich definieren.

350.000 bis 500.000 Chinesen sterben jedes Jahr an den Folgen der Luftverschmutzung. Aber auch Wasser- und Bodenverschmutzung bereiten immer größere Probleme. Nach Angaben von chinesischen NGOs und Umweltexperten gibt es mehr als 450 sogenannte "Krebsdörfer", in denen die Menschen überdurchschnittlich häufig an Krebserkrankungen sterben.

All diese Fakten sind seit Jahren bekannt. Doch erst "Under the Dome", produziert von der chinesischen Journalistin Chai Jing, rüttelte die Menschen in China wach. Nur zwei Wochen nach der Veröffentlichung ist die Dokumentation nun zensiert worden und von China aus im Internet nicht mehr abrufbar.

Yan Shi, Journalistin aus Shanghai, glaubt, dass die Zensur nichts an der Wirkung des Films ändert. "Es ist eine Schande, dass die Dokumentation einfach gelöscht wurde. Es war das erste Mal, dass die Menschen offen über das Thema diskutiert haben, um nach Lösungen zu suchen und selber zu handeln. Aber das Umweltbewusstsein der Menschen hier wächst immer mehr, sie wollen die Situation unbedingt verändern", sagte Shi der Deutschen Welle.

Dies bestätigt eine Studie des Pew Research Centers. 80 Prozent der befragten Chinesen stimmten bereits im Jahr 2010 der Aussage zu, dass der Schutz der Umwelt Vorrang hat, selbst wenn dies zu einem geringeren Wirtschaftswachstum und dem Verlust von Jobs führt. Neuere Untersuchungen zeigen, dass sich dieser Trend noch verstärkt.

Für Li Shuo, Greenpeace-Aktivist in China, ist die drängendste Frage, ob dies auf politischer Ebene zu Veränderungen führt. "Ich sehe den Erfolg von 'Under the Dome' als einen weiteren Höhepunkt im wachsenden Umweltbewusstsein der chinesischen Bevölkerung", sagt der Alexander von Humboldt-Fellow. Doch in China bleibe das Problem bestehen, dass die chinesische Bevölkerung keine Möglichkeit habe, politische Entscheidungen direkt zu beeinflussen.

Smog in Peking (Foto: dpa).
Die Feinstaubbelastung in Chinas Hauptstadt Peking liegt im Jahresmittel um ein Sechsfaches über dem als unbedenklich eingestuften GrenzwertBild: picture alliance/Photoshot

Bei einem ersten friedlichen Protest als Reaktion auf "Under the Dome" in der vier-Millionen-Einwohner-Stadt Xi'an wurden am Montag bereits zwei Protestierende festgenommen. "Es gibt Dinge, die in Europa möglich sind, die man in China aber auf gar keinen Fall tun kann", so Greenpeace-Aktivist Shuo. Journalistin Yan Shi teilt die Meinung. "Proteste werden sofort zerschlagen. Man muss sehr vorsichtig sein, was man tut."

Trotzdem kommt es in China jedes Jahr zu 30.000 bis 50.000 "Massenversammlungen", zu Deutsch: Protestaktionen. Nach Aussage von Umweltminister Jiping ist die Umweltverschmutzung inzwischen der häufigste Grund für "soziale Unruhen". Die chinesische Regierung ist wohl vor allem deshalb bemüht, das Problem in den Griff zu bekommen. Zurzeit pumpt sie umgerechnet unvorstellbare 257 Milliarden Euro in den "Luftverschmutzungs-Aktionsplan", mit dem sie den Smog bekämpfen will.

Li Shuo, Klima- und Energiekampaigner Greenpeace China (Foto: Gordon Welters / Greenpeace).
Li Shuo kämpft als Greenpeace Aktivist für ein grüneres ChinaBild: Gordon Welters/Greenpeace

Laut Greenpeace Aktivist Li Shuo zeigt der Aktionsplan bereits Wirkung. Um 2,9 Prozent verringerte sich der chinesische Kohleverbrauch im vergangenen Jahr. "Das erscheint erst einmal wenig, ist aber tatsächlich eine unglaubliche Entwicklung. In Chinas jüngerer Geschichte war es bisher unvorstellbar, dass der Kohleverbrauch zurückgeht oder auch nur konstant bleibt."

Laut Shuo reicht das aber noch lange nicht aus. Jetzt müsse man vor allem daran arbeiten, den Kohleverbrauch der Industrie zu reduzieren. "Zurzeit verläuft die Entwicklung beim Thema Umweltschutz nur linear. Um wirklich etwas zu verändern, brauchen wir aber einen drastischen Anstieg der Maßnahmen", so Shuo.

Daran kann vorerst auch "Under the Dome" nichts ändern. Bewegt hat die Dokumentation trotzdem viel. Wenn man Yan Shis Einschätzung folgt, hat der Film das Selbstverständnis der chinesischen Bevölkerung verändert. "Bevor 'Under the Dome' veröffentlicht wurde, wussten zwar alle, dass die Umweltverschmutzung ein großes Problem ist. Aber sie sagten: Wir können daran sowieso nichts ändern. Erst als ich die Dokumentation sah, habe ich begriffen, dass wir als Individuen etwas bewirken können. Du machst den Unterschied."