Das Comeback der gefährlichen Evros-Route
2. März 2020"Wer an der Grenze wohnt, ist daran gewöhnt, dass jederzeit etwas passieren kann. Vor allem, wenn man an der Grenze zur Türkei wohnt." Mit diesen nüchternen Worten beschreibt eine ältere Dame die aktuelle Situation in Kastanies. Ihr Heimatort im nordöstlichen Griechenland ist einer der aktuellen Brennpunkte des neuen Flüchtlingsdramas an der europäischen Außengrenze.
Seit vergangenen Donnerstag und nachdem der türkische Präsident Erdogan das Flüchtlingsthemainstrumentalisiert und angeheizt hat, strömen wieder Tausende Migranten an die türkisch-griechische Grenze, in der Hoffnung diese zu überqueren und europäisches Terrain zu erreichen.
"Ich bin es satt, Angst zu haben"
"Wir kommen friedlich. Bitte lasst uns rein", riefen die an der Pufferzone zwischen der Türkei und Griechenland gestrandeten Menschen uns Journalisten zu, als wir am Dienstagmorgen für ein paar Minuten den Grenzübergang überqueren durften, um vor Ort zu berichten. "Wir brauchen eure Hilfe. Wir haben hier Frauen und Kinder, die sind am Verhungern."
Ob diese verzweifelten Appelle der Flüchtlinge die Empathie der Griechen wecken ist aber zur Zeit mehr als fraglich. Denn nicht alle sind so gelassen, wie die bereits erwähnte Dame. Vor allem jüngere Leute scheinen mittlerweile ziemlich wütend und verängstigt zu sein. "Ich bin es satt, Angst zu haben. Bereits seit 2009 sehe ich in meinem Dorf unbekannte Menschen rein und rausgehen", sagt Maria aus Vyssa, einem Nachbardorf von Kastanies. Die 40-jährige Lehrerin meint, anfangs habe sie mehr Mitleid mit den Menschen gehabt, "aber mittlerweile sehe ich, dass es ein Fass ohne Boden ist. Ich sehe, dass es keine Lösung gibt. Und ich fühle mich die ganze Zeit bedroht".
Tatsächlich haben in den vergangenen Jahren Tausende Flüchtlinge und Migranten die Evros-Route genutzt, um über Griechenland weiter nach Europa zu ziehen. Griechenland und die Türkei verbindet eine Landesgrenze, die sich auf fast 220 Kilometer erstreckt. Den größten Teil davon bildet jedoch der Fluss Evros, der je nach Wetterlage und Jahreszeit ziemlich gefährlich werden kann. Mehrere Menschen sind in den vergangenen Jahren in den eiskalten Gewässern ertrunken.
Die Tatsache, dass der gesamte Grenzabschnitt unmöglich kontrolliert werden kann, führt jedoch viele Menschen weiterhin über diese gefährliche Route, welche, übrigens, nicht Teil des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei ist.
Hunderte Flüchtlinge in Dörfern gesichtet
So ist es auch diesmal. Während die griechischen Behörden ihren ganzen Fokus auf den Grenzübergang von Kastanies richten, wo auch die größten Menschenmengen zu beobachten sind, versuchen viele andere ihr Glück an weniger geschützten Stellen. Immer wieder werden an diesen Tagen kleinere oder größere Gruppen von Flüchtlingen auf der Landstraße von der Polizei aufgegriffen. Mehrere Augenzeugen berichteten der DW, sie hätten am Samstagabend bis zu 100 Flüchtlinge im Dorf Sterna gesehen, als diese dort durchliefen. Sie wurden wenig später von der griechischen Polizei aufgegriffen. Was mit diesen Leuten passiert, die den Grenzübergang schaffen, ist nicht klar. Einheimische behaupten, sie werden nicht an Hotspots oder andere Einrichtungen, sondern in nächtlichen Blitzaktionen per Boot wieder zurück in die Türkei gebracht. Es handelt sich um illegale sogenannte Push-Backs, die die griechische Seite allerdings bestreitet. Überprüfen läßt sich das nicht, es wäre aber nicht das erste Mal, dass die griechischen Behörden mit solchen Anschuldigungen konfrontiert würden.
Die griechische Regierung spricht indessen von einer erfolgreichen Zurückweisung, die es nicht mal ermögliche, die Grenze zu überqueren. Ihre Botschaft an die Flüchtlinge, so wie es auch inzwischen mehrmals der griechische Premier Mitsotakis betont hat: Versucht erst gar nicht reinzukommen, der Aufwand lohnt sich nicht. Ob sich die Menschen allein davon abschrecken lassen ist aber mehr als zweifelhaft.