London: "100 Club Punk Festival" wird 40
19. September 2016Alles war spontan und extrem kurzfristig organisiert. Der britische Konzertveranstalter Ron Watts hatte Malcolm McLaren, den Manager der Punkband "Sex Pistols" getroffen und die Jungs sofort als prominente Headliner für ein geplantes Punkfestival im Herbst 1976 engagiert. Vor ihnen sollten "The Clash" und "Siouxsie and the Banshees" spielen, die sich auch gerade als Punkbands in England formiert hatten. Mc Laren holte außerdem ein paar unbekannte Bands aus den englischen Arbeiterstädten und die französischen Punker "Stinky Toys" dazu. Das war die Geburtsstunde des "100 Club Punk Festivals". Mit ihm begann der Siegeszug der Punkmusik in den späten 1970er Jahren.
Zwei Tage dauerte damals das "100 Club Punk Festival" in der Londoner Oxford Street. Es gab massenhaft Alkohol und Drogen und am Schluss einige Verletzte unter den Zuschauern. Die meisten Bands waren völlig unbekannt. Aber die Punkmusiker dominierten schnell die unabhängige britische Musikszene. Wild improvisierte, brachialisch laute Punkmusik entsprach dem Lebensgefühl einer abgehängten Generation von Jugendlichen, die kaum Chancen auf einen Arbeitsplatz hatte - nicht nur in Großbritannien. "No future" war der Leitspruch vieler Bands, "Dosenbier" die tägliche Antwort.
Punk als Lebensgefühl
Das Bühnen-Outfit der Punkmusiker war extrem schrill und unkonventionell: viel schwarzes Leder, Hundeketten um den Hals, Sicherheitsnadeln in den Ohren und grell gefärbter Irokesenschnitt. Das etablierte England war geschockt, aber die rebellische Jugend, auch auf dem Kontinent, hatte damit ihre neuen Heros. Überall schossen Punkbands aus dem Boden.
Im Sommer 1977 hatten die meisten Musikzeitschriften die bekanntesten Punkbands bereits auf dem Titel. Die erfolgreichen "Sex Pistols" (Foto unten) konnten das Unterschreiben ihres Plattenvertrags sogar zu einem von Journalisten und Fotografen umlagerten Pressetermin machen - bewacht von einem britischen Bobby.
Aber eigentlich war das alles nicht neu: Schon lange vor den "Sex Pistols" hatte sich der US-amerikanische Sänger und Gitarrist Iggy Pop, der "Godfather of Punk", auf der Bühne mit einer Scherbe die Brust blutig zerschnitten. Neu war nur das Ausmaß der Aggression und Zerstörungswut. Auch gegen die langhaarige Hippiegeneration und die etablierten Bands wurde Front gemacht.
"Supertramp", die Stones, "Genesis", "Pink Floyd" und "Emerson, Lake & Palmer" gaben Mitte der 1970er in den Charts den Ton an. Die Gurus der 1960er Janis Joplin, Jimi Hendricks und Jim Morrison von der Kultband "The Doors", die auch musikalisch ausgebrochen waren aus dem Mainstream, waren längst tot. "Gerade unter den Hippies waren viele, die extrem auf meine Haare reagiert haben. Für die gab es nur kurzhaarige Spießer und langhaarige coole Typen. Von daher passte ich nicht in deren dialektisches Weltbild", erzählt Punkgitarrist Gode.
Zorn, Verzweiflung und Destruktion dominierten den Protest der Punkmusiker gegen die Spießigkeit des Elternhauses sowie den Konsumwahnsinn der Gesellschaft. "Ich will nicht werden wie mein Alter", sang die Anarchoband "Ton, Steine, Scherben" Ende der 1970er Jahre. Doch die Modeindustrie erkannte schnell den Verkaufswert der Punkelemente: Modedesignerin Vivienne Westwood (Foto), selbst Punkerin, griff die Erkennungszeichen der Punker in ihren Kollektionen auf. Sogar das internationale Modemagazin "Vogue" präsentierte Ende 1977 Johnny Rotten, den Frontmann der "Sex Pistols", in voller Punkmontur als "Überraschung des Jahres" auf der Titelseite.
"Anarchie ist machbar, Herr Nachbar"
Die etablierten Medien, auch in Deutschland, sprangen auf den fahrenden Zug auf und publizierten große Reportagen über die Punkbewegung und einzelne Bands. Selbst die deutsche "Bravo" brachte Poster von den "Sex Pistols", der "Nina Hagen Band" und den "Toten Hosen" raus. "Das hat mich tierisch fasziniert. Diese Typen sahen ganz anders aus. Kurze, komische, abgeranzte Haare, die Klamotten zerfetzt", erzählt der Gitarrist der deutschen Punkband "Male" in einem Interview. "Und als nächstes stand dann in der Zeitung ein komischer Artikel über Punk. Ich wusste gar nicht, dass das Punk war."
"Die Siebzigerjahre waren ja Kleinbürgertum in vollendeter Form. Deswegen hat es ja auch so Spaß gemacht, diese Leute zu provozieren", sagt Chrislo Haas, der Mann am Synthesizer bei "Minus Delta", "Deutsch Amerikanische Freundschaft" (DAF) und später Gründer der Kultband "Liaison Dangereuses".
40 Jahre sind seitdem vergangen, der Punk ist längst Teil der etablierten Kulturindustrie. In der Mode, in der Designwelt und in der Musikszene werden immer wieder Punkelemente abgekupfert.
Die genialen Dilettanten, die damals mit subversiven Texten ("Zurück zum Beton, da ist der Mensch noch Mensch") und ihren schrägen Akkorden die Musikwelt schockten, haben sich Richtung New Wave, Punkrock oder Independent weiter entwickelt . Bands wie die "Toten Hosen" gehören zu den, auch international erfolgreichen Musikern, die ihre Platten längst in Millionenhöhe verkaufen.
Punk-Revival in London
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Punk London" wird aktuell an den Beginn dieser anarchischen, aber hoch kreativen Punkbewegung erinnert. Filme, Diskussionen, Lesungen, Ausstellungen in etablierten Kultureinrichtungen, wie der British Library, und natürlich Punkkonzerte rufen in London die musikalischen Anfänge wieder wach.
Oft kopiert und über die Neue Deutsche Welle bis zu Hardrock, Ska, Metal und Techno hinein adaptiert, ist der Drei-Akkorde-Minimalismus der Punkmusik längst Teil der kommerziellen Musikindustrie. Die "Toten Hosen", genauso wie Punklady Nina Hagen, haben sich lange ihren schrillen Bühnenauftritt bewahrt - und damit gut verdient. Heute gehören beide zum Establishment.
Der Punk in seiner ursprünglichen Form ist längst Geschichte. Er, der weit mehr war als laute Musik: Er war eine eigensinnige Lebensphilosophie.