Flüchtlinge: Gekommen, um zu gehen?
14. Juni 2018Bundesinnenminister Horst Seehofer will, dass Migranten an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden, wenn sie schon in einem anderen EU-Land registriert wurden. Davon wäre aufgrund der geographischen Lage vor allem Deutschlands Nachbarland Österreich betroffen. Seehofers Vorbild ist eine entsprechende Einigung zwischen Frankreich und Italien. Frankreich hatte 2017 rund 87.000 Migranten an der Grenze zurück nach Italien geschickt.
Sind Zurückweisungen rechtlich überhaupt möglich?
Darüber streiten sich nicht nur CSU und CDU, sondern auch Juristen. Eine Zurückweisung an der Grenze hält Rechtswissenschaftler Thomas Groß, Professor für Europarecht an der Universität Osnabrück, für grundsätzlich schwierig. "Sie würde voraussetzen, dass es überhaupt Grenzkontrollen gibt", sagte Groß der Deutschen Welle. "Solche Grenzkontrollen sind innerhalb der EU aber untersagt, unabhängig von der Staatsangehörigkeit." Grundlage hierfür ist Artikel 77 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
Ausnahmen gebe es nur für Fälle gravierender Störung der öffentlichen Ordnung oder bei Mängeln bei der Kontrolle an den Außengrenzen. Beide Ausnahmen seien aber zeitlich begrenzt und ermöglichten keine dauerhafte Grenzkontrolle, wie sie Seehofer plant. "Eine dauerhafte Maßnahme wäre von vornherein europarechtlich unzulässig", sagte Groß. Auch die EU-Kommission, die die Kontrollen genehmigen muss, habe immer wieder gemahnt, dass diese Maßnahmen nur vorübergehend möglich seien.
Das war in jüngster Vergangenheit bereits der Fall: So hatten Deutschland, Österreich, Dänemark, Schweden und Norwegen 2015 Grenzkontrollen im Schengen-Raum eingeführt, um zu verhindern, dass Flüchtlinge ohne Durchsicht der Papiere einreisen können. Immer wieder wurden die stichprobenartigen Kontrollen verlängert, zuletzt im November 2017.
Wer kann wohin geschickt werden?
Grundsätzlich gilt für alle Asylsuchende nach EU-Recht die sogenannte Dublin III-Verordnung. Die besagt, dass ein Flüchtling in dem EU-Land Asyl beantragen muss, das er zuerst betreten hat. Dabei gelten jedoch einige Voraussetzungen, die zunächst geprüft werden müssten, zum Beispiel, ob jemand Angehörige in Deutschland hat. "Die Herstellung der Familie geht vor", sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl der DW. Eine Abweisung wäre dann nicht mehr möglich. Auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dürfe man nicht in einen anderen Staat überstellen.
Die Länder können auch entscheiden, mit einem sogenannten "Selbsteintritt" das Asylverfahren zu übernehmen - auch wenn formal ein anderes Land zuständig wäre. So hatte Deutschland zuletzt 2017 wegen Sicherheitsbedenken keine Flüchtlinge nach Ungarn zurück geschickt. Auch Überstellungen nach Griechenland wurden in der Vergangenheit gestoppt, weil die Möglichkeit für ein faires Asylverfahren angezweifelt wurde. Bei Italien führten mangelnde Sozialstandards dazu, dass Deutschland zwischenzeitlich keine Flüchtlinge dorthin zurück schickte.
Welche praktischen Hürden würden sich bei einer Zurückweisung an der Grenze auftun?
An der Grenze zu Deutschland müsste also die Voraussetzungen für eine Abweisung gründlich geprüft werden, um die Dublin-Verordnung nicht zu verletzen. "Das dauert seine Zeit und ist bei einer Grenzkontrolle gar nicht möglich. Das heißt: Auch diese Regelungen würden unterlaufen, wenn man einfach an der Grenze zurückweisen würde", sagte Rechtsexperte Groß. Außerdem dürfte es an entsprechendem Personal fehlen. Nach der Dublin-Verordnung könne nicht einfach in den Nachbarstaat abgewiesen werden, sondern - sofern keine anderen Gründen dagegen sprechen - in das Land, wo der Flüchtling zum ersten Mal die Grenze zur EU überschritten hat.
Wie wahrscheinlich ist es, dass eine solche Regelung mit Österreich zustande kommt?
Eine Zurückweisung an der Grenze wäre unter Umständen also nur dann möglich, wenn eine entsprechende Ausnahme von der EU-Kommission genehmigt würde. Zudem müsste Österreich der Aufnahme zustimmen, erklärte Constantin Hruschka, Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik gegenüber "tagessschau.de". Sonst bestünde die Gefahr, dass sich der Asylsuchende ohne Aufenthaltsrecht im Schengenraum aufhält. Österreich müsste zudem garantieren, dass es die Durchführung eines Dublins-Verfahrens in allen Fällen ermöglicht.
Für Jurist Groß wäre eine entsprechende Regelung dennoch nicht haltbar. "Zwei Mitgliedsstaaten können nicht durch eine Vereinbarung europäische Rechtsvorschriften außer Kraft setzen", sagt er. Für eine dauerhafte Möglichkeit müssten diese Rechtsvorschriften geändert werden. "Über die wird zurzeit verhandelt, aber die Möglichkeit der internen Grenzkontrollen ist da bisher nicht vorgesehen", sagt Groß.
Die Hilfsorganisation Pro Asyl hält eine solche Regelung, wie sie Seehofer plant, trotz aller rechtlichen Bedenken nicht für ausgeschlossen. "Wir haben im Moment in Europa eine Situation, wo elementare rechtliche Grundlagen der Europäischen Union zu Boden gerissen werden", sagt Geschäftsführer Jung - auch mit Blick auf die jüngste Schließung italienischer Häfen für das Rettungsschiff "Aquarius". "Es scheint vieles möglich zu sein, was nicht rechtens ist."
Wen würde eine solche Regelung treffen?
Laut "Süddeutscher Zeitung" hätte es im vergangenen Jahr etwa 64.000 Menschen betroffen. Da aber alle Asylsuchenden, die über den Landweg gekommen sind, über einen anderen EU-Staat kommen, könnten rein theoretisch alle zurück geschickt werden, die in diesem EU-Staat registriert wurden. "Das Problem wird sein, dass diese andere EU-Staaten sich dann möglicherweise ihrerseits nicht mehr an die Vereinbarungen halten und nicht registrieren", sagte Jung von Pro Asyl. Somit könnten sich auch Straftäter unbehindert frei in Europa bewegen.
"Letztlich geht es darum dass der Bundesinnenminister die Axt an die Wurzeln der Europäischen Union, nämlich die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union setzt", sagte Groß. Denn eine Rückkehr der Kontrollen betreffe nicht nur Migranten, sondern im Prinzip alle - Touristen, Geschäftsleute, aber auch den Transport von Waren.
In welchen Fällen wurden bislang Menschen an der deutschen Grenze abgewiesen?
Bislang wurden an der Grenze nur Menschen abgewiesen, die keine gültigen Dokumente bei sich führen. Laut Angaben der Bundespolizei war dies von Januar bis Ende April 2018 bei etwa 3900 Migranten der Fall. Insgesamt macht dies nur einen kleinen Anteil aus: Im gleichen Zeitraum kamen rund 55.000 Asylsuchende nach Deutschland. Wer Asyl in Deutschland beantragen möchte, konnte bislang passieren. Doch genau das will Seehofer nun ändern.