Wer ist der Menschenrechtler Daniel Bekele?
18. November 2021"Ich hoffe, dass dieser Bericht eine einzigartige Gelegenheit bietet, ein neues Kapitel in der Geschichte dieser politischen Krise aufzuschlagen", sagte Daniel Bekele als er kürzlich eine Untersuchung über angebliche Menschenrechtsverletzungen in Tigray vorstellte.
Die äthiopische Menschenrechtskommission (EHRC), die von Daniel Bekele geleitet wird, hat bei der Durchführung der Untersuchung mit den Vereinten Nationen (UN) zusammengearbeitet. "Es ist sehr besorgniserregend", sagte der Menschenrechtsaktivist.
"Der Konflikt weitet sich aus. Wir erhalten immer mehr Berichte über Misshandlungen und Verstöße". Bekele hofft, dass der Bericht angesichts der weiteren Eskalation des Tigray-Konflikts zu mehr Verantwortlichkeit ermutigen werde. Als wichtigen Mahner und Kritiker in dieser explosiven Gemengelage hat die Deutsche Afrika-Stiftung Bekele zum Träger des renommierten Deutschen Afrika-Preises 2021 erkoren, der am Donnerstag in Berlin verliehen wurde. Doch sind Bekele und seine EHRC in dem vielschichtigen ethnischen Konflikt auch kritisiert worden.
Rechtsverletzer anprangern
Die anhaltenden Kämpfe zwischen den äthiopischen Streitkräften, die von eritreischen Soldaten unterstützt werden, und den Kämpfern der TPLF (Volksbefreiungsfront von Tigray), deren Partei einst die äthiopische Regierung kontrollierte, haben seit November 2020 Tausende von Menschen getötet und mehr als zwei Millionen vertrieben. Die TPLF zwingt mit ihren Verbündeten die Armee der Zentralregierung immer weiter in die Defensive.
Bekele zufolge müssen sich alle Seiten für die während des Krieges begangenen Gräueltaten verantworten. Dazu gehören gezielte Angriffe auf Zivilisten, außergerichtliche Tötungen, Folter und Vertreibung sowie brutale sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, wie Bekele in einem DW-Exklusivinterview Anfang November sagte. "Die Schlussfolgerung ist, dass alle Konfliktparteien glaubhaft in schwere Menschenrechtsverletzungen und -missbräuche verwickelt sind", sagte Bekele. „Einschließlich der äthiopischen und eritreischen Streitkräfte sowie der tigrayischen Streitkräfte und der mit ihnen verbündeten Milizen."
Von den Beschuldigten kam mitunter scharfe Kritik an der EHRC. "Es überrascht nicht, dass die Kommission in diesem Zusammenhang auch Kritik ausgesetzt war", schreibt der Afrika-Verein in seiner Begründung für die Preisvergabe. Darin wird Bekeles Offenheit für Kritik und sein Ausbau der staatlichen Kommission zu einem wirkmächtigen Gremium gelobt. Explizit stellt die Stiftung auch Bekeles Kritik an Sicherheitskräften und den Einsatz für inhaftierte Oppositionspolitiker heraus.
Die Auszeichnung ist die höchste ihrer Art in Deutschland und würdigt herausragende afrikanische Persönlichkeiten, die sich für Frieden, Versöhnung und sozialen Fortschritt einsetzen.
Vom Gefangenen zum Menschenrechtsverteidiger
Daniel Bekele wurde am 17. Februar 1967 geboren und beendete sein Studium mit Master-Abschlüssen in Addis Abeba und Oxford in Entwicklungsstudien und Rechtswissenschaften.
Die frühere äthiopische Regierung der EPRDF (Revolutionäre Demokratische Front des äthiopischen Volkes), eine Parteienkoalition, die Äthiopien von 1991 bis 2019 regierte, verhaftete Bekele 2005. Mit der Begründung: Er hatte die umstrittenen Verfahren im Zusammenhang mit den allgemeinen Wahlen in jenem Jahr kritisiert. Zu dieser Zeit verfügte die TPLF über immense Macht in der Regierungskoalition.
Vor seiner Abführung wurde er von unbekannten bewaffneten Männern schwer verprügelt. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bezeichnete ihn als Gefangenen aus Gewissensgründen.
"Als sie ihn ins Gefängnis steckten und sich alle möglichen Rechtssysteme ausdachten, um zivilgesellschaftliche Aktivitäten aufzulösen, war ich empört", sagte Fikre Zewde, ein Freund von Bekele, der DW. "Aber [Daniel] war sehr ruhig. Diese Gelassenheit bewundere ich immer."
Zweieinhalb Jahre später wurde er freigelassen und wurde 2011 zum Direktor der Afrika-Abteilung von Human Rights Watch ernannt.
"Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der eine brutale Militärdiktatur herrschte und in der viele Menschen willkürlich verhaftet, getötet, verprügelt und gefoltert wurden", sagte Bekele zur DW.
"Ich habe gesehen, wie mein eigener Vater und meine Mutter willkürlich verhaftet wurden. Und dann wurde diese Militärdiktatur von einer bewaffneten Rebellenbewegung gestürzt, und es begann eine Ära der Hoffnung, aber sie endete in einer weiteren Periode der politischen Unterdrückung."
Bekele auf Seiten der Regierung?
Im Jahr 2019 ernannte Abiy Ahmed, Äthiopiens Premierminister, Daniel Bekele zum Leiter der Menschenrechtskommission des Landes. Unter seiner Leitung wurde die Kommission vielfach kritisiert - vor allem von der TPLF -, weil sie zu nachgiebig gegenüber Abiys Regierung sei. Bekeles Kritiker argumentieren, dass er aufgrund seiner Inhaftierung durch die TPLF nicht unparteiisch in dem laufenden Konflikt sein kann.
In einem von Regierungsgegnern auf YouTube veröffentlichten Video wird behauptet, Bekele habe sich während der Oromo-Proteste 2020 nach der Ermordung des Oromo-Sängers Hachalu Hundessa auf die Seite der Regierung gestellt. Die Regierung reagierte daraufhin mit einem starken Sicherheitsaufgebot.
Den Untertiteln des Videos zufolge verteidigte Bekele das Recht der Regierung, Recht und Ordnung wiederherzustellen. Nach Angaben von Amnesty International wurden bei den gewaltsamen Protesten mindestens 160 Menschen getötet. Andere Beobachter haben jedoch festgestellt, dass Bekele auch die Verfehlungen der Bundesregierung anprangert.
So veröffentlichte die Kommission im Mai Ergebnisse zu Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Teilen Äthiopiens. Die Untersuchung schlug Alarm wegen der schlechten Bedingungen in den Polizeistationen im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Oromia, dem Heimatstaat von Premierminister Abiy Ahmed.
"Derartige Wahrnehmungen von Voreingenommenheit und Kritik an Institutionen, die Menschenrechtsarbeit leisten, gibt es nicht nur bei der äthiopischen Menschenrechtskommission", sagte Bekele. "Wir berichten über ein breites Spektrum von Menschenrechtsverletzungen durch alle möglichen Akteure, einschließlich der staatlichen Sicherheitskräfte."
Äthiopien hat seit Jahren mit komplexen ethnischen und politischen Krisen zu kämpfen, die das Land schließlich in eine Welle gewaltsamer Konflikte stürzten, die zu weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen führten.
Anfang dieses Jahres behaupteten die Vereinigten Staaten, dass es in Tigray zu ethnischen Säuberungen komme - Anschuldigungen, die die äthiopische Regierung zurückwies.
Harte Zeiten für die Menschenrechte
Anfang November verhängte die äthiopische Regierung den landesweiten Ausnahmezustand. Damit erhielten die Sicherheitskräfte mehr Befugnisse zur Festnahme und Inhaftierung von Verdächtigen. Viele Beobachter befürchten, dass dadurch Menschenrechtsverletzungen weiter legitimiert werden könnten.
Daniel Bekele lässt sich jedoch nicht entmutigen und behauptet, er werde jede Partei, die Menschenrechtsverletzungen begeht, anprangern. Er sagte, die Kommission habe der Regierung und den internationalen Partnern bereits Empfehlungen vorgelegt, um die Rechenschaftspflicht und die Rehabilitation der Opfer sicherzustellen.
"Diese Empfehlungen zielen auf eine nachhaltige und friedliche Lösung der politischen Krise, der Menschenrechtskrise und der humanitären Krise, mit der Äthiopien konfrontiert ist", sagt Bekele.
Mitarbeit: Maria Gerth-Niculescu und Marika Julien.
Adaptiert aus dem Englischen von Martina Schwikowski.