Dänemarks Linke werden rechts
5. Juni 2019Wohlfahrt für die Dänen, Härte gegen die anderen, so ließe sich das Wahlprogramm der dänischen Sozialdemokraten unter Mette Frederiksen zusammenfassen. Ein Ansatz, der bei der Parlamentswahl fruchten könnte, wie erste Prognosen nach Schließung der Wahllokale andeuten. Den Parteien des sogenannten Roten Blocks, die momentan in der Opposition sind, wird mit mehr als 50 Prozent der Stimmen der Wahlsieg vorhergesagt. Damit würde Frederiksen als Parteichefin der stärksten Oppositionspartei Premierministerin werden.
Die Sozialdemokraten verfolgen inzwischen eine strengere Einwanderungspolitik, was in Dänemark mittlerweile normal geworden ist. Frederiksen vertritt die Ansicht, Asylbewerber sollten unter UN-Aufsicht auf dem afrikanischen Kontinent in Lagern untergebracht werden.
Im Februar verabschiedete die Minderheits-Regierung unter der Mitte-Rechts-gerichteten Liberalen Partei ein Gesetz, wonach mehr Einwanderer in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden sollen. Statt auf Integration setzt Dänemark künftig verstärkt auf Rückführung, was als Paradigmenwechsel in der Flüchtlings- und Asylpolitik bezeichnet wurde. Das Gesetz brachte die Regierung mit Unterstützung der Sozialdemokraten und der Rechtspopulisten der Dänischen Volkspartei durch.
Mit dieser härteren Haltung könnten die Sozialdemokraten Wähler zurückgewinnen, die zwar grundsätzlich links, aber Einwanderung gegenüber ablehnend eingestellt sind und sich deshalb rechten Parteien zugewandt hatten.
Rechte Parteien werden bei dieser Parlamentswahl nach Einschätzung von Kasper Moller Hansen, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kopenhagen, weniger Stimmen als zuvor bekommen. Aber eine Partei befindet sich seit gut zwei Monaten im Aufwind: der rechtsextreme "Stramme Kurs".
Aufruhr sorgt für Aufmerksamkeit
Vor Kurzem war die Partei nur wenigen Dänen bekannt - bis im April Parteichef Rasmus Paludan eine Anti-Islam-Demonstration im ethnisch diversen Kopenhagener Stadtteil Nørrebro abgehalten hatte, bei der es zu Krawallen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten kam. Das bescherte "Strammer Kurs" in ganz Dänemark Aufmerksamkeit und der Partei gelang es, die nötigen 20.000 digitalen Unterschriften zu sammeln, um zur Parlamentswahl zugelassen zu werden.
Ebenfalls im April verurteilte ein dänisches Gericht Parteichef Paludan wegen rassistischer Äußerungen. Er hatte behauptet, schwarze Menschen aus Südafrika seien weniger intelligent. Im Dezember 2018 sagte er in einem Video: "Die Feinde sind der Islam und Muslime. Es wäre das Beste, wenn nicht ein einziger Muslim auf dieser Erde übrig bliebe. Dann hätten wir unser Endziel erreicht." Bei einer Demonstration zündete er kürzlich einen Koran an. Die absichtliche Verbrennung des Korans gilt im Islam als Blasphemie.
Stimmen für Rechtsextreme
"Endlich gibt es einen Politiker, der es wagt auszusprechen, was er über den Islam denkt, und der zum Thema Einwanderung eine harte Haltung vertritt", sagt René Struve, der als Abrissunternehmer in Kopenhagen arbeitet. Wegen Berichte über Kriminalität von Immigranten-Gangs fühle er sich in Gegenwart von muslimischen Gruppen nicht wohl.
In den vergangenen 15 Jahren habe er die rechtspopulistische Dänische Volkspartei gewählt. Aber ein "extremerer Standpunkt" sei nötig, sodass er dieses Mal für "Strammer Kurs" stimmen will, sagt der 51-Jährige. Umfragen zufolge liegt die Partei bei zwei Prozent, was der Sperrklausel in Dänemark entspricht. Sollte es dabei bleiben, würden die Rechtsextremen ins Parlament einziehen.
"Multikulturalismus funktioniert in der Realität einfach nicht", findet Unternehmer Struve. Seiner Ansicht nach erwarteten Muslime oft, "die dänische Gesellschaft müsse sich an sie anpassen statt umgekehrt". Er beschwert sich, dass einige öffentliche Kindertageseinrichtungen kein Schweinefleisch mehr anböten.
Seiner Meinung nach respektierten Muslime "dänische Normen und Werte wie die Meinungsfreiheit nicht". Er nennt als Beispiel: Von Anfang des Jahres bis Ende April gab die dänische Polizei rund 5,5 Millionen Euro für ihre Arbeit rund um die Demonstrationen von "Strammer Kurs" und Gegendemonstrationen aus. Dieser Wert spricht nach Ansicht des 51-Jährigen Struve für sich. "Jedem sollte es erlaubt sein, den Islam zu kritisieren und einen Koran zu verbrennen, wenn man es möchte. Aber anscheinend kann man das nicht tun und auch keine Karikatur des Propheten Mohammed zeichnen, ohne sein Leben zu riskieren." Stuve betont, er sei kein Rassist und hasse auch Muslime nicht. Sie seien Menschen wie er.
"Eine harte Vorgehensweise gegen Flüchtlinge, Einwanderer und Muslime ist die einzige Agenda, die der 'Stramme Kurs' hat", sagt Wahlspezialist Moller Hansen der DW. Sollte die Partei den Sprung ins Parlament schaffen, wird sie sich aber "wahrscheinlich am rechtsextremen Rand isoliert sein und nicht viel im gesetzgebenden Prozess zu sagen haben", vermutet der Politikwissenschaftler.
Doch deren Parolen können sich in der Gesellschaft festsetzen. "Zuerst war 'Strammer Kurs' ein Witz, dann Realität", sagt Mehmet Kökten. Auf dem Rathausplatz nimmt Kökten an einem öffentlichen Abendessen zum Ramadan teil, bei dem sich einmal im Jahr Muslime und Nicht-Muslime zum Fastenbrechen treffen. "Verglichen mit 'Strammer Kurs' wirkt sogar die Dänische Volkspartei fast unschuldig", sagt Kökten. "Das ist beängstigend."
Auf der anderen Seite des Platzes rufen Unterstützer von "Strammer Kurs" anti-islamische Parolen. Von einem Balkon eines Hotels am Platz entrollen sie ein Banner mit der Aufschrift "Europa gehört uns".
Rechtspopulismus setzt unter Druck
Kökten wurde in Dänemark geboren und ist dort aufgewachsen; er fühlt sich "sehr dänisch". Das erste Mal in seinem Leben denkt er aber über einen Umzug nach Schweden oder in die Türkei nach, wo seine Eltern herkommen. "Ich liebe Dänemark, aber meine Identität wird durch die Entwicklungen in diesem Land bedroht. Die Politiker zwingen dich fast dazu, dich zu entscheiden, ob du Däne oder Muslim bist." In einer Facebook-Gruppe mit mehr als 24.000 Mitgliedern motivieren sich Muslime gegenseitig, unbedingt wählen zu gehen.
Kökten denkt, die Partei "Strammer Kurs" sei das Resultat vieler Jahre voller Rassismus und Hass in der dänischen Politik gegen Muslime. Selbst die Sozialdemokraten sind nach seiner Ansicht heute populistisch. "Die Sozialdemokraten habe ihre Seele verkauft, um an Macht zu gewinnen. Ihre Vorsitzende Mette Frederiksen könnte gut und gerne auch die Chefin der Dänischen Volkspartei sein, gemessen an ihrer Rhetorik zu Einwandern." Frederiksen sagte jüngst in einem Interview-Buch: "Ich stelle lediglich fest, dass heute drei Viertel aller Abgeordneten für eine harte Einwanderungspolitik sind."
Viele Bürger mit einem muslimischen Hintergrund trügen zur dänischen Demokratie und dem Wohlfahrtsstaat bei, sagt Kökten, in Richtung der Demonstrantengruppe nickend. "Meine Steuergelder werden beispielsweise auch dafür verwendet, Rasmus Paludan zu beschützen, obwohl er Hass und Gewalt gegen Muslime schürt."
Am anderen Ende des Rathausplatzes verbrennen Paludan und seine Anhänger wieder eine Koranausgabe.