Costa-Gavras im Interview
29. September 2019Der neue Film des griechisch-französischen Regisseurs Costa-Gavras ("Adults in the Room", 2019) hat am 29. September 2019 seine Griechenland-Premiere. Er handelt von der Finanzkrise im Heimatland des bereits in den 50er Jahren nach Frankreich ausgewanderten Kultregisseurs. Seine Weltpremiere hatte "Adults in the Room" Ende August beim Filmfestival in Venedig. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch des früheren griechischen Finanzministers und politischen Dissidenten Yanis Varoufakis. Er erzählt von den Umständen der griechischen Rettungsaktion durch den EU-Rettungsring im Jahr 2015, die dramatische innenpolitische Folgen hatten.
Costa-Gavras ist Gewinner von zwei Oscars für seine hochpolitischen Kinofilme "Z" (1969) und "Missing" (1982). Mit seinem aktuellen Film hat der international bekannte Regisseur einen aufschlussreichen, wütenden, aber manchmal auch lustigen Thriller gedreht – auf der Basis der Erinnerungen von Varoufakis. In seinem Kinofilm beleuchtet der Altmeister des politischen Thrillers eine der schlimmsten nationalen Krisen, die aus der EU-Finanzkrise hervorgegangen ist – und in Griechenland bis heute Nachwirkungen zeigt. DW-Autor Hans Christoph von Bock stellte dem berühmten Regisseur im Vorfeld der Premiere einige Fragen zur Intention seines neuesten Films.
DW: "Adults in the Room" basiert auf dem Sachbuch von Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis. Was hat Sie glauben lassen, dass aus einem Buch über die Finanzkrise ein guter Film entstehen würde?
Costa-Gavras: Das Buch hat eine starke Hauptfigur, die über einen bestimmten Zeitraum während dieser Krise darüber reflektiert, was mit ihm persönlich in dieser Zeit geschah. Es war wirklich hilfreich, dass Varoufakis so viele Audioaufzeichnungen hatte und auch Notizen gemacht hat. So konnte ich alles, was er in dem Buch geschrieben hat, überprüfen, indem ich seine Reden las und mir anhörte, was andere gesagt haben.
In Ihren anderen Filmen haben Sie oft die Perspektive der einfachen Menschen aus dem Volk eingenommen, um zu zeigen, wie Diktaturen funktionieren - zum Beispiel in Lateinamerika. Warum haben Sie in "Adults in the Room" die Perspektive gewechselt?
Es gibt zwei Hauptprotagonisten im Film: Griechenland und Europa. Jeder verteidigt seine Seite mit Nachdruck, offensiv und, wie ich finde, auch gewaltsam. Und in gewisser Weise denke ich, dass beide Seiten Recht haben. Auch Leute, die wie Schurken oder Bösewichte aussehen, haben Recht, weil sie etwas für sie sehr Ernstes verteidigen.
Der frühere deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble ist ein gutes Beispiel. Er traut den Griechen nicht, zumindest nicht dem alten System in Griechenland. Aber es gibt junge, aufstrebende Politiker, denen er zuhört.
Aber ihre politischen Ideen sind anfangs völlig realitätsfern, also behält er seine Skepsis. Er weiß auch, dass frühere griechische Regierungen jahrelang in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Deshalb glaubt er, mit seiner harten Position die Stabilität des Euro zu verteidigen.
Tatsächlich verteidigt er im Grunde das europäische Wirtschaftssystem und die deutsche Wirtschaft. Für mich gibt es da kein Gut oder Böse. Jeder verteidigt seine eigenen Ideen und die Dinge, die ihm wichtig sind. Das ist wichtig für diesen Film: Es gibt keine Guten oder Bösen.
Heißt das, dass es am Ende keine Gewinner gibt?
Nein, es gibt keine Gewinner, jeder verliert etwas. Aber was wir verlieren, ist ein starkes Europa. Es kann kein Europa geben, das nur aus wirtschaftlichen Fragestellungen besteht. Man muss sich die persönlichen Geschichten wirklich genau ansehen. Denn alles, was in dieser Zeit der Finanzkrise geschah, auch der Versuch, Griechenland aus der Verschuldung zu befreien, hat nichts verändert.
Die meisten Menschen haben sehr negative Erfahrungen gemacht. Die Schulden sind immer noch da, höher als je zuvor - und die Menschen leiden immer noch. Niemand spricht von den 500.000 Griechen mit qualifizierten Abschlüssen, die das Land verlassen haben. Viele von ihnen sind nach Deutschland, in die USA, nach Kanada gegangen, und sie werden nie mehr wiederkommen. Das ist ein großer Verlust für Griechenland. Und die Mehrheit im Land lebt immer noch in einer schrecklichen Lage.
Ist der damalige Finanzminister Yanis Varoufakis ein Held?
Nein. Er ist kein Held für mich. Er ist jemand, der in der Lage ist, über diese Zeiten zu sprechen. Und er schreibt sehr gut. Er hat viel Erfahrung. Aber ich tangiere im Film sein Privatleben nicht, und ich zeige nicht, wer er wirklich ist. Er ist als Hauptperson aus einem einzigen Grund da: um Griechenland zu verteidigen.
"Adults in the Room" ist wie ein Polit-Thriller gedreht, aber vollkommen realistisch erzählt. Und Sie haben auch ein paar groteske, völlig absurde Szenen eingefügt - wie den Tanz der Europäischen Kommission mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Warum?
Wenn ich einen Film drehe, dann mache ich eine Show. Und ich versuche, die Dinge in dieser Show klar und deutlich zu zeigen. Das ist keine akademische Rede, nichts für die Politiker. Es ist wirklich eine Show! Ich versuche, Geschichten im Film zu erzählen. Die Tanzszene ist ein gutes Beispiel dafür.
Die Kommission versuchte, Alexis Tsipras zur Zustimmung (zu den EU-Bedingungen, Anmerk. d. Red.) zu bewegen. Die Verhandlungen dauerten die ganze Nacht. Und niemand weiß genau, was dort gesagt wurde. Der einzige Weg, das zu zeigen, war, eine absurde Tanzszene zu schaffen: eine elegante filmische Lösung. Und eine Metapher.
Und was hat es mit dem Fisch auf sich? Fühlte sich Tsipras damals wie ein Schwertfisch am Haken?
Die Fischszene ist natürlich auch eine Metapher. Das ist etwas, was der griechische Premierminister später selbst über sich gesagt hat. Ich war überrascht, dass ein Politiker sich mit einem Schwertfisch vergleicht. In gewisser Weise ist es wirklich tragisch. Wo ist die ganze Energie hin? Wo ist die Demokratie geblieben? Das ist es, worum es bei diesen filmischen Details wirklich geht.
Was ist Ihre Hoffnung für das griechische Volk heute?
Die griechische Regierung und die EU werden Lösungen finden, damit Griechenland aus dem Schulden-Gefängnis herauskommt. Diese Schulden - Madame Lagarde (Christine Lagarde, frühere Chefin des Internationalen Währungsfonds, Anm.d.Red.) sagt es mehrmals im Film - können einfach nicht zurückgezahlt werden. "Es gibt nicht genug Geld in Griechenland, wenn man nicht alles verkauft." Also muss dafür eine Lösung gefunden werden, denn die Schuldenberge durch die Zinsen steigen jedes Jahr.
Seit Jahrzehnten sind Sie jetzt schon im Filmgeschäft. Wie schätzen Sie die Zukunft des Films ein?
Das Kino erlebt zur Zeit eine gigantische Revolution. Schauen Sie sich zum Beispiel nur mal Netflix an. Das Gute daran ist, das jetzt jeder Zugang zu Filmen hat, überall - egal, ob man in kleinen Dörfern oder Großstädten wohnt. Und das Ganze kostet auch nicht mehr viel, was früher nicht der Fall war.
Andererseits fallen Filme dadurch schneller unter den Tisch und geraten in Vergessenheit. Man hört von manchen Filmen kaum etwas, und es ist auch schwer, Informationen zu bekommen, zum Beispiel, wie viele Leute einen Film gesehen haben. Das ist die Kehrseite solcher Dienstanbieter wie Netflix.
Was sollen die Zuschauer von "Adults in the Room" mit nach Hause nehmen?
Das liegt an ihnen. Ich will es ihnen nicht vorschreiben. In meinen Filmen erzähle ich die Geschichten, genauso wie ich sie meinen Freunden erzählen würde. Ich erzähle nur die Geschichte, und sage ihnen nicht, wann sie zu lachen haben. Als Regisseur ist es genauso. Wir stellen Fragen zu diesem und jenem Thema. Und wenn wir gute Fragen haben, dann ist das noch besser. Wir bieten keine Lösungen.