Wirtschaft zwischen Hoffen und Bangen
16. April 2020Zumindest an der wichtigsten deutschen Börse in Frankfurt war die Reaktion zunächst optimistisch. Trotz schlechterer Vorgaben aus den USA und Asien startete der Deutsche Aktienindex (Dax) mit deutlichen Pluszeichen in den Donnerstag. Anders und auch erwartbar fallen die Reaktionen aus den verschiedenen Wirtschaftszweigen und -verbänden unterschiedlich aus.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte die ersten Lockerungen, übte aber Kritik an einzelnen Regelungen geäußert. "Mir erschließt sich die 800-Quadratmeter-Grenze zum Beispiel nicht", sagte Industriepräsident Dieter Kempf im Deutschlandfunk. Bund und Länder hatten sich am Mittwoch darauf verständigt, Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern wieder zu öffnen. Handel und Gastronomie hatten zuvor Kritik an den aus ihrer Sicht zum Teil unzureichenden Lockerungen geäußert. Die "klaren Entscheidungen" zur Öffnung seien aber grundsätzlich positiv zu bewerten.
Dem stimmt auch Veronika Grimm zu, neuernanntes Mitglied im Rat der sogenannten Wirtschaftsweisen. "Die Regierung ist dem Ratschlag verschiedener Expertengruppen, darunter auch unserer Experten, gefolgt, die gesagt haben, dass unter strengen Auflagen die Wirtschaft wieder zum Leben erweckt werden kann, wenn auch nur schrittweise", so Grimm im DW-Interview. Sie sei besorgt über den zu erwartenden Einbruch des BIP wegen der Corona-Krise, und eins sei klar: "Je länger es einen wirtschaftlichen Stillstand gibt, desto größer wird der Fall am Ende sein. Daher ist es so wichtig, so schnell wie möglich zu klären, welche Bereiche des wirtschaftlichen Lebens wiederbelebt werden können, natürlich unter strengen Sicherheitsvorkehrungen."
Für den Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Gabriel Felbermayr hingegen schaffen die Beschlüsse aus "ökonomischer Sicht keine nennenswerten Erleicherungen", teilte das IfW via Twitter mit.
Enttäuschte Familienunternehmer
So löste die Verlängerung der Beschränkungen für Bevölkerung und Wirtschaft bis zum 3. Mai Unmut aus. "Ich bin tief enttäuscht", sagte Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbandes Die Familienunternehmer. "Nach Wochen der Durststrecke schickt die Politik die um ihr Überleben ringenden Unternehmen in die dreiwöchige Verlängerung. Und das gefühlt wie kurz vor der rettenden Oase." Viele der Betriebe würden nicht bis Mai durchhalten, fürchtet er.
Auch der Handelsverband hatte die Maßnahmen kritisiert. Es gebe aus Sicht des Handels kein Sachargument für eine stufenweise Öffnung der Läden, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth mit Blick auf die Beschränkung der Öffnung auf kleinere Geschäfte. Andere Branchen äußerten sich erleichtert, dass ein Ende der Beschränkungen absehbar ist. "Es sind gute Nachrichten für das Friseurhandwerk" sagte Jörg Müller, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des deutschen Friseurhandwerks. "Wir können damit planen."
Weiterhin schwer getroffen von der Corona-Krise bleibt hingegen das Gastgewerbe. Restaurants, Kneipen und Clubs bleiben auf unbestimmte Zeit geschlossen. Der Branchenverband Dehoga hatte deshalb erneut ein Rettungspaket gefordert, das aus einem Fonds sowie der Kürzung der Mehrwertsteuer für die Vor-Ort-Gastronomie bestehen sollte.
Innenstädte "vor Überfüllung bewahren"
Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) verteidigte die schrittweise Lockerung. "Wir haben uns das alle nicht leicht gemacht, weil wir spüren, dass die Menschen gerne wieder auf die Straße wollen", sagte Braun am Donnerstag in der ARD. Doch die Epidemie sei "nicht weg", sie sei nur "massiv verlangsamt" worden. Dies sei "ein großes Verdienst der Menschen in Deutschland".
Die Kritik des Handels an dem Plan, dass zunächst nur Geschäfte von bis zu 800 Quadratmetern Fläche öffnen dürfen, könne er verstehen. "Aber wir müssen dafür sorgen, dass es nicht nur im Geschäft vernünftig läuft, sondern dass es auch in den Innenstädten nicht zu Überfüllung kommt", sagte Braun. "Normal gefüllte Fußgängerzonen, wie wir das von früher kennen, können wir momentan nicht riskieren." Deshalb müsse dafür gesorgt werden, dass der Publikumsverkehr etwas geringer ausfällt. Große Geschäfte, "die häufig Publikumsmagnete sind", müssten deshalb noch eine Weile geschlossen bleiben.
Aufatmen konnte hingegen die Autoindustrie, weil Kfz-Händler ab dem 3. Mai wieder öffnen dürfen. Die Entscheidung, den stationären Kfz-Handel für den Verkauf von Neu- und Gebrauchtfahrzeugen wieder zuzulassen, sei ein wichtiger und notwendiger Schritt auf dem Weg, auch den Hochlauf der Produktion wieder zu ermöglichen, teilte die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller, mit.
VW fährt Montag Produktion wieder an
Entsprechend fährt Volkswagen die Fahrzeug-Produktion nach mehrwöchiger Zwangspause in der Corona-Krise europaweit schrittweise wieder an. Den Auftakt sollen in der kommenden Woche die VW-Werke in Zwickau und Bratislava machen, wie die Wolfsburger am Mittwoch mitteilten. Eine Woche später folgen die übrigen deutschen Produktionsstätten sowie die Fertigung in Portugal, Spanien, Russland und den USA, im Mai dann sukzessive auch Südafrika, Argentinien, Brasilien und Mexiko. Ob der Plan gelingt, hängt auch davon ab, ob die Werke mit genügend Teilen versorgt werden können und es zu keiner neuen Infektionswelle kommt, die die Produktion erneut lahmlegten könnte.
VW hatte - wie andere Hersteller auch - die Bänder in der zweiten März-Hälfte angehalten, weil in der Pandemie die Lieferketten rissen und die Ansteckungsgefahr die Konzerne dazu zwang, ihre Fabriken dichtzumachen. Zehntausende Mitarbeiter wurden daraufhin in Kurzarbeit geschickt. "Mit den Beschlüssen der Bundes- und Landesregierungen sowie den Lockerungen von Maßnahmen in weiteren europäischen Staaten sind die Rahmenbedingungen geschaffen, die Produktion wieder schrittweise aufnehmen zu können", erklärte der operative Chef der Marke VW, Ralf Brandstätter. Darauf habe sich Volkswagen in den letzten drei Wochen intensiv vorbereitet. Neben einem umfangreichen Gesundheitsschutz der Mitarbeiter sei auch am Wiederaufbau der Lieferketten gearbeitet worden.
Mit dem Produktionsstart in Zwickau, wo der Elektrowagen ID.3 vom Band rollt, soll die Kurzarbeit schrittweise reduziert werden. In einigen Werken gilt sie noch bis zum 27. April und damit eine Woche länger als ursprünglich vorgesehen. Anfangs hatte VW rund 80.000 Mitarbeiter in Zwangspause geschickt. Ob der Wiederhochlauf klappt, hängt neben dem Gesundheitsschutz davon ab, ob Lieferketten stabil sind. VW hatte bereits Anfang April begonnen, die Produktion in einigen seiner Komponentenwerke wieder anzufahren - zunächst in Braunschweig und Kassel, später auch in Salzgitter, Chemnitz und Hannover sowie an den polnischen Standorten. Damit sollte zunächst die Versorgung der Fahrzeugproduktion in China sichergestellt werden. Beim Wiederanlaufen greift VW auf Erfahrungen in China zurück, wo die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus greifen und 32 der 33 Werke dort wieder produzieren.
hb/ul (DW, dpa,rtr,afp)