Corona-Lockdown hat Schlimmeres verhindert
9. Juni 2020Forscher der Universität Kalifornien/ Berkeley (UC Berkeley) und des Imperial College London haben am 8. Juni zeitgleich Studien in der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht, in denen sie der Frage nachgehen, wie schlimm sich die Corona-Pandemie entwickelt hätte, wenn die Regierungen keine Lockdown-Maßnahmen und andere Abstandsregeln erlassen hätten.
Das Team um Solomon Hsiang vom Global Policy Laboratory der UC Berkeley untersuchte die Lage in sechs großen Ländern: China, Südkorea, Italien, Frankreich, Iran und den USA. Ihr Ergebnis: Die Notmaßnahmen in all diesen Ländern hätten die Pandemie "signifikant und substantiell verlangsamt".
In sechs Ländern 530 Millionen Erkrankungen vermieden
In der wissenschaftlich begutachteten Studie schreiben die Autoren, dass Reisebeschränkungen, die Schließungen von Unternehmen und Schulen, Ausgehverbote und andere "nicht-pharmazeutische Interventionen", wie etwa Masken- oder Distanzgebote, etwa 530 Millionen Infektionen abgewendet hätten.
Davon wären vermutlich allerdings nur 62 Millionen als bestätigte Fälle registriert worden, weil die betroffenen Länder nur begrenzte Testkapazitäten hatten. Das Forscherteam hatte für seine Beobachtungen eine Periode bis zum 6. April zugrunde gelegt, und dabei 1717 politische Einzelmaßnahmen unter die Lupe genommen.
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Hsiang hob hervor, wie hilfreich die Opferungsbereitschaft jedes Einzelnen in der Coronakrise war: "Die letzten Monate waren außerordentlich schwierig, aber durch unsere individuellen Opfer haben Menschen überall zu einer der größten kollektiven Errungenschaften der Menschheit beigetragen," sagte Hsiang.
"Keine menschliche Anstrengung hat je so viele Menschenleben in so kurzer Zeit gerettet. Das hat riesige persönliche Kosten verursacht, indem Menschen zuhause geblieben sind und Veranstaltungen abgesagt haben," betonte der Politikwissenschaftler. "Aber die Daten zeigen, dass jeder Tag einen grundlegenden Unterschied gemacht hat. Indem wir die Wissenschaft genutzt und zusammengearbeitet haben, haben wir den Verlauf der Geschichte geändert."
Die Autoren der Berkeley-Studie haben nicht analysiert, wie viele Menschenleben durch die Maßnahmen gerettet wurden. Das lag daran, dass eine derartige Schätzung bei dramatisch steigenden Infektionszahlen und dadurch entsprechend überlasteten Gesundheitssystemen zu große Unsicherheiten beinhaltet hätte.
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In 11 Ländern 3,1 Millionen Menschenleben gerettet
Das Forscherteam um Samir Bhatt vom Zentrum für die Analyse globaler Infektionskrankheiten hat diese heikle Analyse hingegen gewagt. Dafür untersuchten sie elf europäische Länder. Die Studie betrachtete die Periode bis zum 4. Mai 2020 und zeigt ebenfalls, dass Lockdown-Maßnahmen die Pandemie wirksam zurückgedrängt haben. Ihr zentrales Augenmerk lag dabei auf der Entwicklung der Reproduktionszahl R.
Die Forscher haben errechnet, dass sich bis zu diesem Zeitpunkt zwischen 12 und 15 Millionen Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert hatten. Das entspricht zwischen 3,2 und 4 Prozent der jeweiligen Bevölkerung der untersuchten Länder. Nach ihren Berechnungen konnten durch verschiedene Schutzmaßnahmen 3,1 Millionen Menschenleben gerettet werden.
Nicht nachlässig werden - eine zweite Welle droht!
"Unser Modell legt dar, dass die Maßnahmen, die im März 2020 in verschiedenen Ländern ergriffen wurden, die Epidemie erfolgreich eingedämmt und die Reproduktionszahl unter 1 gedrückt haben", sagt Seth Flaxman, der die Studie von Seiten der Mathematischen Fakultät begleitet hatte.
Auch in Zukunft sei es notwendig, die Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit zu verfolgen, um ein erneutes Ansteigen der Infektionen zu verhindern, ergänzte sein Kollege Bhatt.
Zwar gebe es bei der Forschung Unsicherheiten: "Eine Schwäche des Modells ist, dass es davon ausgeht, dass jede Maßnahme in allen Ländern den gleichen Effekt hatte. In Wahrheit gab es aber große Variationen darin, wie der Lockdown in verschiedenen Ländern umgesetzt wurde". Das ändere aber nichts an der Hauptaussage der Studie, so Epidemiologe Bhatt.
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