Corona-Krise: Hausärzte protestieren nackt
3. Mai 2020Es war eine politische Entscheidung, die die Wut der Hausärztinnen und Hausärzte zum Überkochen brachte. Anfang März, als sich das Coronavirus in Deutschland stärker ausbreitete, wurde beschlossen, dass ein Patient mit leichten Atemwegsinfekten für eine Krankschreibung nicht mehr zum Arzt gehen muss. Es genügt ein Telefonat mit dem Hausarzt. Damit sollten Praxen entlastet und die Ausbreitung von SARS-CoV-2 eingedämmt werden.
Gut einen Monat später, Mitte April, sollte damit plötzlich Schluss sein. "An einem Freitagnachmittag sind wir informiert worden, dass ab Montagfrüh wieder die alte Regel gilt", sagt Hannes Blankenfeld, Hausarzt in München, im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Das hat uns sehr empört. Wer sind denn jetzt die Menschen mit den leichten Atemwegssymptomen? Das sind wahrscheinlich auch Corona-Patienten."
Diese gefährden nicht nur chronisch Kranke, die auch die Praxis aufsuchen. Der Frust der Ärzte hat in dem Zusammenhang auch mit dem Mangel an Schutzausrüstung in der Coronavirus-Pandemie zu tun. "Wir verbrauchen unsere Schutzkleidung für die Untersuchung eines Menschen mit leichten Symptomen, der vielleicht überhaupt keinen Arzt sehen muss."
"Blanke Bedenken"
Blankenfeld gehört zu einer deutschlandweiten Gruppe gut vernetzter Hausärzte. Sie wollten ihrer Empörung Luft machen. "Es war uns klar, wenn wir nur eine Protestnote schreiben, werden wir wenig Echo bekommen." Also nahmen sie sich den französischen Arzt Alain Colombié zum Vorbild, der mit einem Nacktfoto in seiner Praxis den Mangel an Schutzausrüstung anprangerte, und die Initiative "Blanke Bedenken" war geboren.
Sie posieren in oder vor ihren Praxen ohne Kleidung, oft nur mit Schutzmaske, Stethoskop oder Blutdruckmessgerät ausgestattet. Doch völlig "nackt" sind sie nicht: Die intimen Bereiche sind verdeckt von einem Tisch, einem Stuhl, einem Protestplakat, sie sind weggedreht von der Kamera, oder eingewickelt in Binden. Auf der Webseite der Initiative heißt es in Anspielung auf fehlende Materialien: "Wenn uns das Wenige, was wir haben, ausgeht, dann sehen wir so aus." Ohne Schutz seien sie verletzlich.
Einfallsreiche Motive
Da wird schon einmal die Bohrmaschine der verlängerte Arm, um aus sicherer Entfernung einen Abstrich nehmen zu können, oder ein durchsichtiger Regenschirm das Schutzschild, um dem Patienten trotzdem in den Rachen sehen zu können. Bei zwei Ärztinnen halten auch ihre langen Haare mal als Ersatz-Mundschutz her.
Hannes Blankenfeld, der Hausarzt aus München, hat Verständnis, dass die Verteilung von Schutzausrüstung stockt. Schließlich braucht die ganze Welt gerade Masken, Kittel oder Desinfektionsmittel. Wofür er aber kein Verständnis hat: Der Mangel sei seit Wochen bekannt, "dann kann man uns doch nicht gleichzeitig in den Rücken fallen", kommentiert Blankenfeld.
Die Sonderregel für die telefonische Krankschreibung verlängerte das entscheidende Gremium, der "Gemeinsame Bundesausschuss", die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, dann doch noch. Rückwirkend. Nicht nur die Initiative "Blanke Bedenken", auch andere Ärzteverbände und Politiker hatten parteiübergreifend protestiert. Doch seitdem wurde die Regel jeweils nur für weitere zwei Wochen verlängert. Aktuell läuft sie am 18. Mai aus.
"Keine weitsichtige Planung"
Den Ärztinnen und Ärzten von "Blanke Bedenken" reicht das nicht aus. Sie fordern, dass sie bis zum Ende der Pandemie ihre Patienten mit leichten Atemwegserkrankungen am Telefon krankschreiben können. "In so einer Pandemie-Situation alle zwei Wochen kleckerweise so eine Entscheidung zu treffen, zeugt überhaupt nicht von einer vernünftigen, weitsichtigen Planung", kritisiert Blankenfeld.
Die Ärzte haben durchaus auch Krankenkassen auf ihrer Seite. Der Vorstandsvorsitzende der DAK-Gesundheit, Andreas Storm, sprach sich in einer Mitteilung des Unternehmens dafür aus, die Regel bis Ende Juni beizubehalten. Im Auftrag der DAK hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa eine Umfrage durchgeführt. "Die Daten zeigten, dass Arbeitnehmer verantwortungsvoll mit der neuen Regelung umgehen", so das Urteil von Storm. Nur ein Zehntel der Befragten, die sich die Krankschreibung per Telefon holten, hätten sich überhaupt nicht krankschreiben lassen, wenn es diese neue Möglichkeit nicht gegeben hätte.
Arbeitgeber befürchten Missbrauch
Dies spielt auf die Sorge von Arbeitgebern an, Mitarbeiter könnten die Sonderregel ausnutzen. Als es Mitte April noch nicht klar war, dass die Ausnahme doch noch einmal verlängert wird, hatte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) deren Ende begrüßt. Es sei richtig, mit der schrittweisen Normalisierung zum Regelzustand zurückzukehren, hieß es in einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur.
Neben Ärzteverbänden vermutet auch Hannes Blankenfeld: Die Interessen der Arbeitgeber spielen eine entscheidende Rolle, warum die Ausnahme nur in kleinen Schritten verlängert wird. Blankenfeld schildert, er habe in der Praxis eher Fälle, bei denen Menschen mit leichten Beschwerden zur Arbeit wollen, statt zuhause zu bleiben, als dass sich Patienten wegen "vermeintlicher Beschwerden nur mal ganz schnell krankschreiben lassen wollen". Das sei die absolute Minderheit. "Nur aus Bedenken, dass wir zu viele Krankschreibungen vergeben, uns in so eine Situation hineinzutreiben, das ist ein Skandal", sagt der Hausarzt.
Welches durchaus auch weltweite Echo die Initiative mit den Nacktfotos ausgelöst hat, hat Blankenfeld und seine Mitstreiter überrascht. Inzwischen sind rund 50 Fotos zusammengekommen. Sie wollen aber nicht auf die Bilder reduziert, sondern gehört werden. "Wir wollen durch die Krise mitführen. Wir wollen unsere Patienten schützen. Wir wollen arbeitsfähig bleiben, um gemeinsam diese Krise zu meistern", sagt Blankenfeld.
Dafür bräuchten sie materielle Unterstützung in Form von Schutzkleidung. Aber auch politische Unterstützung, damit keine falschen Entscheidungen getroffen werden, "die dann an der Basis zu mehr Chaos führen als notwendig".