Intensivmediziner in Heinsberg
21. April 2020Freie Betten auf "seiner" Intensivstation? Fehlanzeige. "Nach wie vor sind wir gut ausgelastet, was die Betten angeht", sagt Intensivmediziner Aiko Liedmann. Bei der Auslastung der Station gibt es also offenbar kaum eine Veränderung zum Anfang des Monats, als die Deutsche Welle schon einmal mit Liedmann gesprochen hat. Dabei sind derzeit in Deutschland rund 13.000 Intensivbetten frei.
Dennoch hat sich in den rund drei Wochen zwischen den Telefonaten vieles verändert. Liedmann und sein Team sind selbstsicherer geworden - im Umgang mit den Vorurteilen, dem Virus, den Kranken: "Man hat das Gefühl, dass man die Patienten nun besser behandeln kann." Die Krankheitsverläufe ähnelten sich. Eine gewisse Routine habe sich eingestellt.
Nach Auskunft der Krankenhausverwaltung sind bislang 17 Patienten im städtischen Krankenhaus von Heinsberg gestorben. 17 von insgesamt 58 Menschen, die durch den COVID-19-Erreger im Kreis Heinsberg mit seinen 250.000 Einwohnern ihr Leben verloren haben (Stand 20.4., Angaben der Kreisverwaltung).
Corona war für Heinsberg der "GAU"
Aiko Liedmann ist Oberarzt auf der Intensivstation des städtischen Krankenhauses, einem von drei Krankenhäusern in Heinsberg. Der Kreis im äußersten Westen Deutschlands zwischen Aachen und Düsseldorf war so etwas wie das Epizentrum der Pandemie in Deutschland. Keine Region war früher so intensiv betroffen.
Schon seit Ende Februar kämpften Ärzte, Pfleger, Politiker und die Verwaltung gegen die Corona-Infektionen an. Es war der "GAU", der größte anzunehmende Unfall, sagte der Landrat von Heinsberg, Stephan Pusch (CDU), in einem Interview mit der Deutschen Welle.
Aiko Liedmann war beim Kampf gegen die Seuche ganz vorne mit dabei. Er hat Tage erlebt, an denen er am Vormittag nicht wusste, ob Schutzmasken, Brillen und Einweghandschuhe bis zum Nachmittag reichen würden. Das waren die Zeiten, als ständig neue Corona-Patienten eingeliefert wurden, die Seuche sich in Windeseile ausbreitete.
Jetzt, sagt Liedmann, "haben wir das Gefühl, dass wir gut ausgerüstet und aufgestellt sind". Schutzkleidung ist keine Mangelware mehr. Schwere Krankheitsverläufe gebe es noch, aber "seit längerem keine Todesfälle mehr". Aus dem Team von Liedmann kommen nun auch die Pfleger und Ärzte zurück, die sich im Krankenhaus selbst mit dem COVID-19-Erreger infiziert hatten. Zum Glück waren alle Krankheitsverläufe mild.
Angst vor einer zweiten Infektionswelle
Seit Anfang der Woche gelten in vielen Regionen der Republik erste Lockerungen im öffentlichen Leben. Intensivmediziner Aiko Liedmann bereitet es "schon ein bisschen Angst", dass der derzeitige "zerbrechliche Zustand, den wir durch die Beschränkungen haben", wieder gefährdet sein könnte. Andererseits, so argumentiert er, brauche es eine "gewisse Durchseuchung, damit wir eine Herdenimmunität erreichen", jedenfalls, solange es noch keinen Impfstoff gegen den Erreger gibt.
Unter Herdenimmunität versteht man, dass eine gewisse Anzahl von Menschen in der Bevölkerung immun sein muss, damit sich eine Krankheit nicht weiter ausbreiten kann. Bezogen auf Deutschland wäre eine Herdenimmunität erreicht, wenn mehr als 50 Millionen Menschen immun wären.
Es bleibt auch Positives
Liedmann beobachtet, dass nach und nach wieder schwere Fälle mit "normalen" Krankheitsbildern eingeliefert werden: "Viele Leute haben sich wegen Corona lange nicht in die Behandlung getraut." Solche Fälle kämen jetzt vermehrt. Ein Schritt hin zur Normalität.
Eine Zeit lang war der Kreis Heinsberg verschrien: Was Wuhan für China, sei Heinsberg für Deutschland - das Zentrum der Seuche, hieß es in vielen Berichten. Liedmann und sein Team haben unter dieser Stigmatisierung gelitten. Wenn Patienten wegen Überfüllung vom Heinsberger Krankenhaus aus in Nachbargemeinden verlegt werden mussten, hieß es häufig: "Von euch nehmen wir keine Corona-Patienten. Wir wollen uns doch die Krankheit nicht ins Haus holen", sagt Liedmann.
Am Anfang habe ihn das - genauso wie unbedachte negative Politiker-Äußerungen über den Kreis Heinsberg - sehr aufgeregt und enttäuscht. Heute heiße es oft unter Medizinerkollegen aus den Nachbarkreisen: "Wir können uns von euch eine Menge abgucken." Das mache einen schon stolz, sagt Liedmann.
Ein Held der Corona-Krise, das sei er aber nicht: "Wir machen unseren Job - und zwar bestmöglich." Aiko Liedmann und sein Team vom städtischen Krankenhaus Heinsberg haben sich vor allem über die Anerkennung für ihre Arbeit gefreut - von Freunden, Patienten, Politikern und Angehörigen: "Es ist schon positiv, dass die Leute mal sehen, was in den Krankenhäusern geleistet wird."