EU-Grenzen öffnen sich wieder
13. Mai 2020Die Grenzschließungen Mitte März waren ein Schock für viele Europäer. Freies Reisen quer durch Europa ohne jede Kontrolle gehörte zum europäischen Lebensgefühl und ist Voraussetzung für den Binnenmarkt. Doch damit war Mitte März plötzlich Schluss: Zahlreiche Staaten, auch Deutschland, ließen die Schlagbäume wieder herunter, um die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen.
An den Grenzen zu Dänemark, Frankreich, Luxemburg, der Schweiz und Österreich wurde seitdem wieder kontrolliert und auch zurückgewiesen. Zwar gab es vielfach Ausnahmen, zum Beispiel für Lastwagenfahrer, medizinisches Personal oder für Pendler. Manche Grenzen blieben auch offiziell offen, etwa die zu den Niederlanden. Von freiem Reisen war trotzdem keine Rede mehr, denn Urlauber fanden nirgendwo Quartiere, und Rückkehrer hätten in Quarantäne gemusst. Für manche Wirtschaftszweige hatten die Grenzschließungen gravierende Auswirkungen: Polnische Erntehelfer und Pflegekräfte zum Beispiel konnten nicht mehr nach Deutschland.
Manche zögern noch
Jetzt will Deutschland seine Grenzen zu einigen Nachbarn wieder schrittweise öffnen. Von diesem Samstag an gibt es bei Reisen nach Frankreich, Österreich und in die Schweiz zwar noch Kontrollen, aber nur noch stichprobenartig. Gar keine Kontrollen soll es an den Übergängen zu Luxemburg geben. Mit der dänischen Regierung ist man noch im Gespräch. Ziel der Bundesregierung ist ein wieder vollkommen freier Reiseverkehr von Mitte Juni an, wie Innenminister Horst Seehofer, CSU, am Mittwoch sagte. Da es die Bundesländer sind, die Quarantänevorschriften erlassen, rät Seehofer ihnen, die Regelungen für Reisende aus anderen EU-Staaten aufzuheben.
Doch die Lockerung gilt nicht für jedes Land. Und wo eine Regierung noch zögert, ist es nicht immer die deutsche. So will Polen seine Grenzen bis zum 12. Juni geschlossen halten. Mit Polen und Tschechien werden noch Gespräche über Erleichterungen bei Grenzkontrollen und Quarantänebestimmungen geführt. Schon seit dem 4. Mai sind Polen, die in Deutschland und drei weiteren Ländern arbeiten oder studieren, von der Quarantänepflicht befreit. Dies gilt allerdings nicht für medizinisches Personal und Pflegekräfte. Kliniken und Pflegeheime in Deutschland sind dringend auf sie angewiesen.
Gar keine Erleichterungen sind dagegen zunächst bei Einreisen aus Spanien und Italien zu erwarten. Das liegt an den besonders hohen Infektionszahlen in diesen beiden Ländern. Spanien verschärft seine Bestimmungen sogar. Die spanische Regierung hat eine zweiwöchige Quarantäne für alle Menschen angeordnet, die vom 15. Mai an ins Land kommen.
Öffnungen sind kein Selbstläufer
Kritiker pauschaler Grenzschließungen hatten immer argumentiert, wenn die Infektionszahlen auf beiden Seiten einer Grenze etwa gleich seien, habe eine Schließung keinen Sinn. Außerdem ist die Situation selbst innerhalb eines Staates oft sehr unterschiedlich, etwa zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Bayern. Lars Schaade, Vizepräsident des Robert Koch-Instituts, hat dieses Argument bestätigt: "Wenn es einen gewissen Gleichklang gibt und eine ähnliche epidemiologische Situation in den verschiedenen Staaten, dann, denke ich, kann man so eine Grenzöffnung auch rechtfertigen."
Alle geplanten Lockerungen im grenzüberschreitenden Verkehr sind an die Bedingung geknüpft, dass die Neuinfektionen im Nachbarland oder einer Nachbarregion nicht wieder deutlich steigen. Als Richtwert gibt die Bundesregierung die Zahl von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen vor. Liegt sie darüber, könnten Kontrollen wiederaufgenommen werden.
Die EU-Kommission will unterdessen speziell dem Fremdenverkehr helfen, der in der EU für fast zehn Prozent der Wirtschaftsleistung steht und in manchen Ländern noch für deutlich mehr, der aber wegen der Reiseeinschränkungen fast völlig zum Erliegen gekommen ist. Die Kommission empfiehlt nun eine "stufenweise und abgestimmte" Aufhebung von Grenzschließungen und -kontrollen, zunächst dort, wo es auf beiden Seiten ähnlich niedrige Ansteckungszahlen gibt. Die Bundesregierung war der Erklärung der Kommission um nur wenige Stunden zuvorgekommen.
Der Druck wurde immer stärker
In Deutschland hat nicht so sehr die Kanzlerin, sondern ihr CDU-Parteifreund, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, zu möglichst raschen Grenzöffnungen gedrängt. Laschet hatte darauf hingewiesen, dass man von Deutschland aus nicht einmal in den luxemburgischen Grenzort Schengen dürfe, den Namensgeber des eigentlich grenzkontrollfreien Schengen-Raums. Laschet dürfte bei seinem Vorstoß auch an sein Ziel gedacht haben, Merkels Nachfolger zu werden, als er sich von ihr und anderen eher vorsichtigen Bewerbern absetzte.
Er war aber nicht der einzige. In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war bereits von einem drohenden "Aufstand der Randständigen" die Rede, von Abgeordneten in Grenzgebieten, die in ihren Wahlkreisen den Druck zu Grenzöffnungen besonders zu spüren bekamen. Es geht dabei um Hoffnungen auf eine Wirtschaftsbelebung, um schiere Reiselust nach langer Corona-Pause, aber auch um die europäische Idee: dass Europa ein großer Raum ist, in dem man sich frei bewegen kann.