Corona-Krise: Es wird so teuer wie noch nie
23. März 2020Für Jan hat die Woche schlecht angefangen. Am Montagmorgen rief ihn sein Chef an und sagte ihm mit bedrückter Stimme, dass er ihn entlassen müsse. Der 31-jährige arbeitet für ein Berliner Startup-Unternehmen, das Internetauftritte für Hotels kreiert. Normalerweise saßen die Mitarbeiter an rund 1000 Aufträgen aus ganz Europa gleichzeitig. Letzte Woche waren es noch 60.
20 Mitarbeiter und damit die Hälfte seiner Belegschaft hat Jans Chef entlassen müssen. Für die anderen hat er Kurzarbeit beantragt. Dabei wird die Arbeitszeit entweder teilweise oder sogar auf Null herabgesetzt und der Verdienstausfall zum Teil vom Staat übernommen. Die finanziellen Einbußen seien schlicht zu groß, um alle Mitarbeiter behalten zu können, sagt Jans Chef.
750 Milliarden Euro für die Wirtschaft
Die Zahlung von Kurzarbeitergeld ist nur eine von vielen Maßnahmen, mit der die Bundesregierung in der Corona-Krise möglichst viele Unternehmen am Leben und damit auch Arbeitsplätze erhalten will. Das Bundeskabinett brachte an diesem Montag das größte Rettungspaket auf den Weg, das je eine Bundesregierung geschnürt hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel leitete die Sitzung per Telefon aus dem Home Office. Auch sie ist mittlerweile zuhause isoliert, da sie Kontakt zu einem Corona-Infizierten hatte.
Rund 750 Milliarden Euro will der Bund insgesamt zur Verfügung stellen, um die Wirtschaft vor dem Absturz zu retten. Um diese Zahl erfassbar zu machen: Das ist in etwa das Doppelte dessen, was der gesamte Bundeshaushalt für 2020 an Ausgaben vorsieht.
Das Ende der schwarzen Null
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatten bereits am 13. März angekündigt, dass der Staat "die Bazooka" herausholen werde. Das bedeutet vor allem, dass sich der Staat von der sogenannten schwarzen Null verabschiedet. Jahrelang war er ohne neue Schulden ausgekommen. Jetzt sollen für 2020 mit einem Schlag 156 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen werden.
Der Bundestag soll das noch in dieser Woche in einem Nachtragshaushalt für das laufende Jahr bewilligen. Deutschland habe aktuell nur noch einen Schuldenstand von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und außerdem ein gutes Finanzpolster, das es nun erlaube, entschlossen zu handeln, so Scholz.
Deutsche Firmen als Übernahme-Schnäppchen?
400 Milliarden Euro sind vorgesehen, damit der Staat Garantien für Firmen übernehmen kann, die in Zahlungsschwierigkeiten sind. Mit weiteren 100 Milliarden Euro will sich der Staat gegebenenfalls an Unternehmen direkt beteiligen. Nach der Krise sollen diese Beteiligungen dann reprivatisiert werden. Für Kredit-Sonderprogramme der bundeseigenen KfW-Bank sind ebenfalls 100 Milliarden Euro als Refinanzierungszuschuss vorgesehen.
Außerdem soll verhindert werden, dass deutsche Firmen zum Schnäppchen werden. Das Land müsse sich vor Übernahmen schützen, so Wirtschaftsminister Altmaier. "Das sage ich jetzt in Richtung von Hedgefonds, die sich bereits darauf freuen, dass eine oder andere günstig zu übernehmen: Wir sind entschlossen, unserer Wirtschaft zur Seite zu stehen."
Den Großen, aber auch den Kleinen helfen
Unter den Rettungsschirm des Wirtschaftsstabilisierungsfonds können Unternehmen schlüpfen, die eine jährliche Bilanzsumme von mehr als 43 Millionen Euro, Umsatzerlöse von mehr als 50 Millionen Euro und mehr als 249 Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt haben. "Gute Unternehmen mit vielen Arbeitsplätzen sollen durch diese schwere Zeit kommen", so Finanzminister Olaf Scholz.
Für kleinere Unternehmen gibt es einen eigenen Hilfsfonds, der mit zunächst 50 Milliarden Euro ausgestattet ist. Er richtet beispielsweise an Handwerker, Buchhändler, Taxifahrer und Künstler. Wer bis zu fünf Angestellte hat, bekommt für drei Monate je 9000 Euro ausgezahlt, um damit beispielsweise die Miete oder andere Verbindlichkeiten zu bezahlen. Wer bis zu 15 Beschäftigte hat, bekommt drei Monate lang je 15.000 Euro. "Damit die Banken oder die Vermieter die Sicherheit haben, dass das Geld nicht ausbleiben wird", so Wirtschaftsminister Altmaier.
Fünf Prozent weniger Wachstum …
Aus dem Münchener Ifo-Institut kommt Zustimmung für die Regierungspläne. "Das ist ein gutes Paket", urteilt Ifo-Präsident Clemens Fuest im Gespräch mit der DW. Allerdings reiche es nicht, um die Schäden auszugleichen. "Das Problem besteht darin, dass wir ja hier die Wirtschaft gewissermaßen einfrieren, die Produktion wird reduziert und das kann öffentliches Geld überhaupt nicht wettmachen."
Das ifo-Institut hat Berechnungen angestellt, wie hoch der Schaden durch die Corona-Krise ausfallen wird und dabei mehrere Szenarien angenommen. "Wenn man jetzt relativ schnell wieder herauskommt aus diesem Shutdown, dann wird der Einbruch wahrscheinlich fünf bis sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten", so Fuest, der damit die Berechnungen der Bundesregierung stützt. Finanzminister Scholz geht derzeit von einem Minus von fünf Prozent aus und beziffert die Ausfälle bei den Steuereinnahmen auf rund 35 Milliarden Euro.
…. oder sogar 20 Prozent?
Fuest warnt davor, dass es aber auch deutlich schlimmer werden könne. Bei einem Shutdown von drei Monaten und einer anschließend monatelangen Rückkehr zum Normalniveau könnten Wachstumseinbrüche von bis zu 20 Prozent möglich sein. Jetzt sei jeder gefragt, so Wirtschaftsminister Altmaier. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Staat allein gefordert ist."
Einzelne Arbeitgeber könnten das Kurzarbeitergeld im Rahmen von Tarifverträgen aufstocken oder den beschäftigungslosen Mitarbeitern die Möglichkeit eines Nebenverdienstes eröffnen. Es gebe genug Arbeit, die kurzfristig und auf Zeit anfalle, so Altmaier, beispielsweise bei Ernteeinsätzen oder in Firmen, die zusätzliche Arbeitskräfte brauchen. "Auch das wird dazu beitragen, die sozialen Folgen abzumildern." Beispiele dafür gibt es bereits. So arbeiten derzeit die Angestellten der geschlossenen Fast-Food-Kette McDonalds beim Lebensmitteldiscounter Aldi.
Im Moment gibt man wenig aus
Ob das auch für den Webdesigner Jan in Frage kommt? "Ich kann mir schwer vorstellen, welche Firmen jetzt Mitarbeiter suchen werden", zweifelt er. Ihm bleibt Zeit bis Juni, denn bis dahin läuft seine Kündigungsfrist. Derzeit kann sich der 31-jährige noch trösten. Seine Miete sei gering, "außerdem gibt es gerade kein soziales Leben mehr, also ich gebe wenig aus".
Mitarbeit: Grzegorz Szymanowski