Corona-Krise: Entlassungen trotz Kurzarbeit
28. April 2020"Wir erleben jetzt den größten konjunkturellen Schock seit dem Zweiten Weltkrieg", sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) im Gespräch mit der DW. Und das setze den Arbeitsmarkt von einem Tag auf den anderen massiv unter Druck. Mit einer massiven Ausweitung der Kurzarbeit hat sich die Politik gegen das Corona-Virus gestemmt. Kosten reduzieren ohne Mitarbeiter zu entlassen, das ist die Idee hinter Kurzarbeit. Was während der Finanzkrise gut geklappt hat, scheint in der Coronakrise nicht so gut zu funktionieren.
"Wir erwarten, dass die Zahl der Erwerbstätigen über die nächsten Monate um rund eine Million sinken und die Arbeitslosigkeit, über die drei Millionen-Markte steigen wird", so Weber. Auch beim Ifo-Institut in München rechnet man mit einem Einbruch des Arbeitsmarktes. "Die Personalabteilungen der deutschen Unternehmen bereiten sich auf Entlassungen vor", fasste das Ifo-Instiut am Dienstag das Ergebnis einer Umfrage zusammen.
Beschäftigungsindices im Sinkflug
Das Ifo-Beschäftigungsbarometer ist im April auf ein Rekordtief von 86,3 Punkten abgestürzt, von 93,4 Punkten im März. Der Rückgang des Indexwertes war der stärkste, der vom Ifo-Institut jemals ermittelt wurde. "Die Arbeitslosigkeit in Deutschland wird daher steigen", glauben die Ifo-Wirtschaftsforscher.
Beim Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung wird ebenfalls ein Index ermittelt, der die Situation der Beschäftigten spiegelt. Auch das IAB-Arbeitsmarktbarometer ist im April auf den niedrigsten Stand seit seiner Erst-Erhebung 2008 gefallen. Das IAB-Arbeitsmarktbarometer wird anhand einer monatlichen Umfrage der Bundesagentur für Arbeit unter allen lokalen Arbeitsagenturen erstellt.
In anderen Ländern wirkt sich das Coronavirus schon jetzt viel stärker auf den Arbeitsmarkt aus. Noch im Februar feierten die USA die niedrigste Arbeitslosenquote seit Jahrzehnten. Inzwischen haben fast 27 Millionen US-Amerikaner ihren Arbeitsplatz verloren. Die US-Arbeitslosenquote dürfte Experten zufolge bereits deutlich über zehn Prozent liegen, manche Analysten rechnen sogar mit etwa 15 Prozent.
In Spanien kletterte die Arbeitslosenquote im ersten Quartal auf über 14 Prozent. In Großbritannien und Australien fürchtet man, die Arbeitslosenquote könne auf zehn Prozent steigen. Neuseeland erwartet eine Arbeitslosenquote von bis zu 26 Prozent.
Ein Problem: Millionen Neueinstellungen fallen weg
Auch wenn er mit einer steigenden Arbeitslosenzahl in Deutschland rechnet, lobt Enzo Weber die bisherigen Maßnahmen der Politik. In kürzester Zeit sei vieles getan worden, um Unternehmen zu stützen und bestehende Jobs über Kurzarbeit zu erhalten. "Das alles war dringend notwendig, sonst würde der Arbeitsmarkt in eine ganz andere Richtung laufen", so Weber. Es sei auch zu sehen, dass viele Betriebe ihre Beschäftigten halten wollen. Daher rechnet er damit, dass die Kurzarbeiterzahlen sehr viel stärker steigen als die Arbeitslosenzahlen. "Der Arbeitsmarkt wird also nicht ins Bodenlose stürzen", glaubt Weber.
Was jetzt aber zusätzlich die Situation beeinflusst, ist, dass in normalen Zeiten jedes Jahr viele Millionen Menschen neue Jobs in Deutschland erhalten würden. "Ohne diese Neueinstellungen wird der Arbeitsmarkt abstürzen", glaubt er. Kurzarbeit sei nicht das geeignete Mittel, um Betriebe zu motivieren, neue Mitarbeiter einzustellen. Deswegen plädiert Weber für einen Rettungsschirm für Neueinstellungen. Würde der Staat bis zum Jahresende bei Neueinstellungen auf die Sozialbeiträge verzichten, wäre das ein erheblicher finanzieller Anreiz, neue Mitarbeiter anzuheuern, schlägt Weber vor. So könne man die gestiegene Arbeitslosenzahl möglichst zügig wieder reduzieren.
In Fortbildung investieren
Mehr Arbeitslose wird es geben, das scheint ziemlich sicher. Die dürften aber nicht zu Langzeitarbeitslosen werden, die schwer wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden könnten, so Weber. Das passiere vor allem dann, wenn die Arbeitserfahrung und die Qualifikation der Arbeitslosen veralten. Gerade in Zeiten, in denen sich die Wirtschaft an einen digitalen und ökologischen Wandel anpassen müsse, könne das schnell passieren. Daher müsse jetzt in Qualifizierung investiert werden, so Weber.
Die meisten Branchen betroffen
Während der Corona-Schließungen ist die deutsche Wirtschaftsleistung nach Schätzung des Ifo-Instituts um 16 Prozent eingebrochen. So eine Auswertung der April-Umfrage unter 8800 Unternehmen aus nahezu allen Branchen. "Damit dürfte das Bruttoinlandsprodukt bereits im ersten Vierteljahr um 1,9 Prozent gesunken sein und dann im zweiten um 12,2 Prozent einbrechen", erläuterte Timo Wollmershäuser, Leiter der Ifo-Konjunkturprognosen am Dienstag.
Dementsprechend wird es auch in allen Bereichen der Wirtschaft zu Stellenabbau kommen, so die Ifo-Forscher. Im Dienstleistungssektor werde es erstmals seit der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009 wieder Entlassungen geben.
In der Industrie, wo sich schon vor der Coronakrise ein Stellenrückgang abgezeichnet hatte, werde dieser sich nun verstärkt fortsetzen. Im Handel dürfte die Zahl der Mitarbeiter ebenfalls sinken, wobei die Ifo-Forscher die Supermärkte als einzige Ausnahme nennen. "Auch der zuletzt boomende Bausektor kann sich der negativen Beschäftigungsdynamik nicht mehr entziehen", hieß es vom Ifo-Institut.
Insgesamt werden Akademiker und Höherqualifizierte wohl besser davonkommen, meint Weber vom IAB. "Bei akademischen Jobs gibt es sehr viel häufiger die Möglichkeit der Heimarbeit, was im Moment sehr wichtig ist."
Besserung in Sicht?
Insgesamt dürfte die Wirtschaft in diesem Jahr um 6,2 Prozent einbrechen und damit stärker als während der Finanzkrise 2009, als sie um 5,7 Prozent zurückgegangen war, heißt es vom Ifo-Institut. Erst Ende 2021 sei man wieder bei einem Zustand wie vor der Coronakrise, so Wollmershäuser. "Dann werden wieder so viele Waren und Dienstleistungen produziert wie in einer Situation ohne Coronakrise."
Wenn sich die Infektionszahlen jetzt nach den ersten Öffnungsschritten einigermaßen im Rahmen halten würden, könne es über das zweite Halbjahr eine klare Erholung geben, meint Weber. "Aber eine Erholung von einem sehr, sehr niedrigen Niveau aus."