Impft Deutschland zu zögerlich?
4. Januar 2021Schweres Geschütz fährt Deutschlands größtes Boulevard-Blatt, die "Bild-Zeitung", an diesem Montag auf: "So bremste Merkel den Ankauf von Impfstoff aus", heißt es in großen Buchstaben. Kern des Vorwurfs: Als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Juni vergangenen Jahres eine Allianz mit seinen Kollegen aus Frankreich, Italien und den Niederlanden schmieden wollte, um beim Hersteller AstraZeneca 400 Millionen Impfdosen gegen das Corona-Virus zu bestellen, soll die Bundeskanzlerin ihn ausgebremst haben.
Die Kanzlerin wollte angeblich nicht in Verruf kommen, mit anderen EU-Partnern Alleingänge bei der Beschaffung von Impfstoffen zu starten und setzte auf eine Lösung für alle 27 EU-Länder, ausgehandelt von der Europäischen Kommission in Brüssel.
Das bestätigte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag auch grundsätzlich: "Wir haben ganz bewusst ein gemeinsames europäisches Vorgehen mit den Partnern in der EU gesucht." Und weiter: "Das ist der Weg, zu dem wir stehen." Ein Ausbremsen des Ministers wollte Seibert darin aber nicht sehen. Aber, dass da dann doch noch einige Punkte offenbleiben, ist auch für Seibert klar: "Die Ungeduld, die vielen Fragen, sind völlig berechtigt."
EU arbeitete wenig effektiv
Denn die EU soll wenig effektiv gearbeitet und etwa mit dem nun weltführenden Hersteller BioNTech, einem Unternehmen aus Mainz, erst Mitte November einen Vertrag ausgehandelt haben. Zum Vergleich: Die USA bestellten schon im Juli 600 Millionen Impfdosen von BioNTech und seinem amerikanischen Partner Pfizer. Im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" wird der Chef von BioNTech, Ugur Sahin, mit den Worten zitiert, ihn habe die zögerliche Bestellung der EU schon verwundert.
Glaubt man Medienberichten, dann sollen vor allem osteuropäische EU-Länder und auch Frankreich Vorbehalte gegen den Impfstoff des deutschen Herstellers gehabt haben, auch wegen des vergleichsweise hohen Preises. Kritik daran kam von der SPD, dem Koalitionspartner von CDU und CSU in der Regierung. Partei-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte in der ARD, es sei zwar richtig gewesen, auf eine europäische Lösung zu setzen, "aber Europa muss ja nicht automatisch langsamer bedeuten!" Und weiter: "Es kann nicht sein, dass ein Land, in dem der Impfstoff sogar erforscht wurde, dass wir am Ende zu wenig Dosen davon haben."
In Deutschland erst rund 1,3 Millionen Dosen ausgeliefert
Bereits im September, so die "Bild-Zeitung" weiter, soll ein Abkommen mit dem Sanofi-Konzern aus Frankreich fertig gewesen sein, über die Lieferung von bis zu 300 Millionen Impfdosen. Aber Sanofi kann den Impfstoff offenbar erst Ende 2021 liefern. Hat Deutschland auf das falsche Pferd gesetzt? Und ist das der Grund, warum der Start der Impfkampagne in Deutschland so schleppend verläuft?
Die Fakten bislang: 1,3 Millionen Dosen des BioNTech-Impfstoffes wurden an die Bundesländer geliefert, bis Mitte Januar sollen nach Angaben des Gesundheitsministeriums noch rund 600.000 weitere dazukommen. Damit werden zunächst Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, Menschen über 80 Jahre sowie Pflegekräfte und besonders gefährdetes Krankenhauspersonal versorgt. Noch in dieser Woche, darauf will Spahn dringen, soll die europäische Arzneimittelbehörde EMA mit Sitz in Amsterdam weitere zwei Impfstoffe genehmigen.
Spahn will jetzt offenbar Beschleunigungen
Fest steht in jedem Fall: Das Impfen geht in Ländern wie Israel, den USA oder in Großbritannien wesentlich schneller als in Deutschland. In Großbritannien etwa wurde am Montag ein weiterer Impfstoff erstmals eingesetzt, der des Herstellers AstraZeneca, der zusammen mit der Universität Oxford entwickelt worden war. Nach Medienberichten prüft Jens Spahn jetzt, wie das Impfen in Deutschland beschleunigt werden kann. Das hat er in einem Schreiben an die Gesundheits-Fachpolitiker des Bundestages angekündigt.
So soll die zuständige Kommission des Robert-Koch-Instituts in Berlin, der obersten Infektionsbehörde des Landes, prüfen, ob zwischen der ersten und zweiten Impfung ein größerer Zeitraum eingeplant werden kann, um mehr Dosen für die Erstimpfung parat zu haben. Vorgesehen ist bislang, die notwendige zweite Dosis spätestens nach 42 Tagen zu verabreichen. Spahn denkt offenbar darüber nach, den Zeitpunkt nach hinten zu schieben. Auch könnten aus einem Impffläschchen bis zu sechs Dosen entnommen werden, nicht wie bisher nur fünf. Tatsächlich sind die Flaschen offenbar überfüllt. All das zeigt, wie besorgt die Politik den eher schleppenden Impfstart in Deutschland beobachtet.
Start der Impfzentren in mehreren Bundesländern
Im gleich mehreren Bundesländern starteten derweil am Montag viele der bundesweit rund 440 Impfzentren mit ihrer Arbeit. Auch von Zentren, die bereits in Betrieb waren, wie etwa in Berlin, wird von einem schleppenden Start berichtet. Das Zentrum etwa im Veranstaltungskomplex "Arena" im Stadtteil Treptow hatte bereits geöffnet, dann über Silvester mehrere Tage geschlossen, jetzt öffnet es wieder seine Tore. Allein dieses Zentrum verfügt über 80 Impfkabinen. Am Montag fanden sich aber zunächst nur eine Handvoll Impfwillige ein. Auch das ein Zeichen der großen Verunsicherung über den Ablauf der Impfungen in Deutschland.
Dazu kommt, dass in den Bundesländern das Verfahren unterschiedlich ist. Einige laden die Zielgruppen, zunächst also Menschen, die älter als 80 Jahre sind, gezielt zum Impfen ein. In anderen Ländern müssen sich Impfwillige über Webseiten oder per Anruf anmelden, oft sind die Leitungen belegt.
Ohnehin ist die Impfbereitschaft in Deutschland nicht besonders hoch, erstaunlicherweise vor allem unter Mitarbeitern im Gesundheitswesen. Zu diesem Ergebnis kommt etwa eine Studie der "Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin". Darin heißt es, rund die Hälfte der Pflegekräfte und ein Viertel der Ärztinnen und Ärzte wollen sich momentan nicht impfen lassen, und begründen das vor allem mit der Sorge vor möglichen Langzeitfolgen. Da nützt es dann wenig, wenn Minister Spahn immer wieder betont, die Impfungen seien "der Weg raus aus der Pandemie".