Impfen trotz Risiko einer Herzmuskelentzündung?
13. September 2021Impfen oder nicht? Diese Entscheidung müssen Eltern nicht nur für sich selber, sondern auch für ihre minderjährigen Kinder treffen. Als Entscheidungshilfe hatte sich die Ständige Impfkommission (STIKO) erst Mitte August - nach massivem Druck auch aus der Politik - für eine generelle Impfempfehlung für 12- bis 17-Jährige ausgesprochen. Zuvor hatte das Fachgremium Corona-Impfungen nur für Jugendliche mit Vorerkrankungen wie Diabetes empfohlen.
Für Verwirrung sorgt nun eine neue statistische Studie aus den USA, wonach das Risiko einer Herzmuskelentzündung (Myokarditis) nach einer Impfung mit BioNTech/Pfizer für Jungen mehr als sechsmal höher ist als das Risiko, schwer an COVID-19 zu erkranken.
Verglichen haben die Forschenden von der University of California, wie häufig Jugendliche ohne Vorerkrankungen zwischen 12 und 17 Jahren nach der Impfung eine Herzmuskelentzündung entwickelten und wie viele Jugendliche aus derselben Altersgruppe im selben Zeitraum wegen einer COVID-Erkrankung ins Krankenhaus mussten.
Risiko für Jungen nach Impfung größer
Untersucht wurden 257 Fälle von Herzmuskelentzündungen bei Jugendlichen, die im ersten Halbjahr 2021 nach einer Corona-Impfung diagnostiziert wurden. Die Herzmuskelentzündungen verliefen meistens milde, es gibt keine registrierten Todesfälle.
Insgesamt trat diese schwere Nebenwirkung allerdings extrem selten auf, bei den Jungen lag die Rate bei 162,2 pro eine Million Geimpfte, bei Mädchen bei 13,0 pro eine Million.
Verdacht erhärtet sich
Inzwischen gilt es also als weitgehend gesichert, dass diese seltene Nebenwirkung nach einer SARS-CoV-2-Impfung mit einem der beiden mRNA-Impfstoffe auftreten kann.
Erstmals hatte es im vergangenen April in Israel Berichte über Herzmuskelentzündungen bei jungen Männern nach Impfungen mit dem BioNTech/Pfizer-Impfstoff gegeben.
Auch bei Impfungen mit dem Corona-Impfstoff von Moderna, der ebenfalls auf der neuen mRNA-Technik basiert, sind diese Nebenwirkungen vereinzelt aufgetreten.
Einen Zusammenhang hält auch die US-Gesundheitsbehörde CDC mittlerweile für "wahrscheinlich". Entsprechend haben die Pharmakonzerne BioNTech/Pfizer und Moderna in einem gemeinsamen Rote-Hand-Brief über einen möglichen Zusammenhang informiert.
Trotzdem lieber impfen?!
Viele Gesundheitsexperten raten trotzdem, Jugendliche wenn möglich zu impfen. Sie halten das Risiko einer COVID-19-Erkrankung bzw. mögliche Langzeitfolgen nach wie vor für größer als das einer Herzmuskelentzündung.
"Myokarditiden nach Impfungen mit COVID-19-mRNA-Impfstoffen sind gesicherte, aber sehr seltene unerwünschte Ereignisse, die bei Jungen häufiger als bei Mädchen auftreten (…) Der akute Verlauf der Myokarditiden ist unter stationärer Behandlung meist mild; über mögliche Langzeitfolgen liegen bisher keine Erkenntnisse vor", schrieb das RKI in seinem "Epidemiologischen Bulletin" vom 19. August 2021.
Selbst wenn Kinder und Jugendliche oftmals einen milden Verlauf haben oder weniger schwer erkranken, bleibt zudem das Risiko vonLong-COVID, also das Risiko einer lang anhaltenden Schädigung auch bei Heranwachsenden.
Ähnlich äußerte sich auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf Twitter. Es sei eine "gute Studie" mit "nicht gewünschten Ergebnissen".
Langzeitfolgen bei Kindern und Jugendlichen
Die fortschreitende Durchimpfung der Bevölkerung wird wahrscheinlich dazu führen, dass in Zukunft zunehmend Kinder und Jugendliche erkranken werden, die noch nicht geimpft sind oder die nicht geimpft werden können.
Über den Verlauf in dieser Altersgruppe ist bisher wenig bekannt, aber Langzeitfolgen nach einer COVID-19-Infektion treffen immer häufiger Kinder und Jugendliche. "Bei zunehmenden Fallzahlen ist jedoch auch bei niedriger Inzidenz von Long-COVID ein Anstieg von Langzeitfolgen anzunehmen", heißt es im "Epidemiologischen Bulletin" des RKI.
Laut einer schwedischen Studie zu Langzeitfolgen können auch Kinder und Jugendliche schwer und lange von Long-COVID betroffen sein. Dazu gehören das multisystemische Entzündungssyndrom (MIS-C), das Posttarife Entzündungssyndrom (PIMS) und das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) .
Allerdings werden solche Langzeitfolgen nach einer COVID-19-Infektion bei Kindern und Jugendlichen seltener erkannt und gemeldet als bei Erwachsenen, ergab eine britische Untersuchung im April 2021.
Auch Herzmuskelentzündungen werden oftmals übersehen
Eine Entzündung des Herzmuskels wird oftmals nicht rechtzeitig erkannt, weil man die ersten Symptome wie Husten oder Schnupfen, Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen gar nicht mit einer Herzmuskelentzündung in Verbindung bringt.
Während einer Myokarditis leiden Patienten unter Atemnot, ihnen wird schwindlig, sie spüren eine Enge in der Brust, ihr Herz klopft stark oder es gibt Herzrhythmusstörungen.
Eine Myokarditis folgt oftmals auf eine Infektion der Atemwege oder des Magen-Darm-Trakts mit Viren. Das können zum Beispiel Masern-, Herpes- oder Influenzaviren sein. Manchmal lösen auch bakterielle Infektionen wie Borrelien, Streptokokken oder Legionellen eine Myokarditis aus.
Wird eine Herzmuskelentzündung durch ein EKG oder bei der Blutabnahme diagnostiziert, ist das Wichtigste, das Herz zu schonen und Belastungen zu vermeiden.
Früher verordneten die Ärzte eine strikte Bettruhe, heutzutage sind kleine Spaziergänge erlaubt. Zusätzlich erhalten die Patienten Medikamente, die das Herz entlasten und die Pumpfunktion stabilisieren. Danach wird ein Kardiologe das Herz anfangs in kurzen Abständen alle zwei bis drei Wochen untersuchen.
Nach einem Infekt nicht zu früh Sport treiben
Grundsätzlich sollte man sich nach einem starken Infekt schonen und zum Beispiel seine sportlichen Aktivitäten erst langsam wieder steigern. Starke körperliche Belastungen oder sportliche Höchstleistungen sollte man ein halbes Jahr nach einem Infekt vermeiden.
Schon für den ausgewachsenen Körper ist eine Herzmuskelentzündung eine große Belastung. Aber noch heikler ist die Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen. Eine Überanstrengung kann nach einer Myokarditis zu Komplikationen bis hin zu Herzschwäche mit Atemnot, Herzrhythmusstörungen oder zum plötzlichen Herztod führen.