Corona-Demos: Verbieten oder erlauben?
3. August 2020Zehntausende protestierten, als gäbe es das Virus nicht: Ohne Mund-Nasen-Bedeckung, dicht gedrängt, liefen die Menschen am Samstag durch Berlin. Vorbeikommenden Passanten, die einen Atemschutz trugen, riefen Teilnehmer des Demonstrationszugs entgegen: "Maske weg!"
Die Empörung darüber war noch am gleichen Tag laut geworden. So sprach die SPD-Vorsitzende Saskia Esken von "Covidioten". Brandenburgs CDU-Landtagsfraktionschef Jan Redmann erklärte: "Diesen gefährlichen Blödsinn können wir uns nicht mehr leisten."
"Mir fehlt jedes Verständnis"
Nun schlagen Politiker mehrerer Parteien in die gleiche Kerbe; die Debatte nimmt weiter an Fahrt auf. Die Demonstrationsfreiheit sei "ein besonders wichtiges Rechtsgut", sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) der "Süddeutschen Zeitung". Jedoch müssten die Auflagen zur Eindämmung der Pandemie eingehalten werden, um andere nicht zu gefährden. "Mir fehlt jedes Verständnis für Demonstranten, die sich hierüber selbstherrlich hinwegsetzen."
CDU-Innenexperte Armin Schuster sieht eine "Gefahr für die Allgemeinheit" und stellt Demonstrationen dieser Art generell infrage. Aus seiner Sicht wäre es verhältnismäßig, solche Versammlungen "nur noch unter sehr viel strengeren Auflagen oder gar nicht mehr zu genehmigen", sagte Schuster der Zeitung "Rheinische Post". Unionsfraktionsvize Thorsten Frei unterstrich, Protestkundgebungen dürften nur in absoluten Ausnahmefällen eingeschränkt werden. "Aber wenn die Demonstranten selbst zum Hochrisiko werden, darf der Staat nicht tatenlos zusehen", sagte der CDU-Abgeordnete der "Welt".
Geldstrafen bei Verstößen
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach fordert Geldstrafen bei Verstößen. "Wenn Zehntausende aggressiv dafür werben, Abstandsregeln nicht einzuhalten, dann ist das eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit", sagte Lauterbach im Sender NDR Info. Er verlangte, für Kundgebungen sollte eine Ausweispflicht verhängt werden, um Bußgelder durchsetzen zu können.
Der AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla verteidigte dagegen die Demonstranten. "Ich kann kein Fehlverhalten erkennen", sagte er der ARD. Der Protest sei friedlich gewesen; die Menschen seien für ihre Grund- und Bürgerrechte auf die Straße gegangen. "Und das kann man nur begrüßen."
"Leute, die verzweifelt sind"
Auch Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki zeigte Verständnis. Er sei sicher, dass unter den Demonstranten "eine Menge Leute dabei waren, die für uns nicht verloren sind, die einfach verzweifelt sind, weil sie nicht mehr wissen, warum diese Maßnahmen umgesetzt werden". Die Politik habe versäumt, dies besser zu erklären.
Der Deutsche Städtetag mahnt indes, aus einer Demonstration dürften sich keine neuen Corona-Hotspots entwickeln. "Es ist unverantwortlich, auf so engem Raum die Regeln und Auflagen nicht einzuhalten", sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Sein Kollege vom Deutschen Städte- und Gemeindebund sieht das ähnlich. Es sei nicht hinnehmbar, dass Tausende keinen Abstand hielten, keine Masken trügen und dies als verbrieftes Freiheitsrecht feierten, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der "Passauer Neuen Presse". "Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo er das Leben und die Gesundheit anderer gefährdet."
Strafanzeige gegen Veranstalter
An einem Demonstrationszug gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie am Samstag in Berlin hatten laut Polizei rund 17.000 Menschen teilgenommen; etwa 20.000 sollen es danach bei einer Kundgebung gewesen sein. Weil viele Demonstranten weder Abstandsregeln einhielten noch Masken trugen, lösten Einsatzkräfte die Abschlusskundgebung auf. Den vorangegangenen Protestzug hatte der Veranstalter selbst für beendet erklärt, nachdem die Polizei Strafanzeige gegen ihn gestellt hatte.
jj/kle (dpa, afp)