Corona, China und die Neue Seidenstraße
18. April 2020Mittlerweile sind weltweit mehr als zwei Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert. China, wo die Pandemie ihren Anfang nahm, scheint schon fast über den Berg. Trotzdem droht das Virus eines der ehrgeizigsten Projekte der Volksrepublik zum Scheitern zu bringen: die sogenannte Neue Seidenstraße. Sie sollte Chinas Weg zur Weltmacht ebnen, doch COVID-19 mit mittlerweile fast 150.000 Todesopfern führt zu Verzögerungen bei vielen Seidenstraßen-Projekten. Denn die sind von chinesischen Arbeitskräften und Materialien abhängig, aber die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben wichtige Lieferungen verzögert und die Bauarbeiten verlangsamt. Betroffen sind Milliarden schwere Projekte in Indonesien, Kambodscha, Malaysia, Sri Lanka und Pakistan.
Auch in der Volksrepublik hat die Pandemie wirtschaftlich tiefe Wunden hinterlassen. Das könnte die globalen Ambitionen der Chinesen bremsen. Denn Investitionen in die Gesundheit und die Erholung der eigenen Wirtschaft werden wohl wichtiger sein, als die Vergabe von Krediten an Seidenstraßen-Länder. Das zumindest legt ein Bericht der New Yorker Beratungsfirma Rhodium Group nahe.
Rückschlag für das ambitionierte Projekt?
"Die Lust, weitere Kredite im Ausland zu vergeben, könnte durch einen Lawine von Schulden-Neuverhandlungen gebremst werden." Das liege angesichts des weltweiten Schocks für die Wirtschaft auf der Hand, so die Analysten aus New York.
Das Coronavirus ist der jüngste Rückschlag für Chinas ambitioniertes Seidenstraßenprojekt - oft auch Belt and Road Initiative genannt. Dabei handelt es sich um ein Infrastrukturentwicklungsprojekt, das hauptsächlich von Peking unterstützt wird. Schon vor dem Ausbruch der Corona-Epidemie stand das Projekt immer wieder im Fokus der Kritik. Sei es wegen Chinas verlangsamtem Wirtschaftswachstums, der Kritik einiger Seidenstraßen-Länder an zu hohen Projektkosten oder dem Vorwurf räuberischer Kreditpraktiken.
"China wird nicht die Kreditsummen aufnehmen, die wir in der Vergangenheit beispielsweise bei einem großen Eisenbahnprojekt, einem großen Hafenprojekt oder einem riesigen Staudammprojekt gesehen haben", sagt Agatha Kratz, Hauptautorin des Rhodium-Berichts, gegenüber der DW.
"Die chinesischen Banken, die zu Hause mit Turbulenzen konfrontiert sind, verfügen möglicherweise nicht über so viel Liquidität, um riesige neue Kredite an Entwicklungsländer zu vergeben. Außerdem könnten sie in der chinesischen Öffentlichkeit dafür kritisiert werden, dass sie sehr wichtige Ressourcen vom heimischen Markt auf ausländische Märkte umleiten", so Kratz.
Zu den Fakten gehört auch, dass chinesische Banken schon lange vor der aktuellen Krise damit begonnen hatten, die Kreditvergabe zu verlangsamen - vor allem als Reaktion auf die weltweite Kritik am Seidenstraßen-Projekt. Die Corona-Krise dürfte diesen Trend nun beschleunigen.
"Jeder fünfte Dollar, den China verliehen hat, war bereits potenziell in Gefahr. Aber jetzt mit COVID-19 wird China zum Schluss kommen, dass Kreditvergabemuster und Kreditqualität verbessert werden müssen", so Kratz.
Ein chinesischer Marshall-Plan
Einer Schätzung des Bergbauunternehmens BHP zufolge könnten die Gesamtausgaben für Seidenstraßen-Projekte im Jahrzehnt bis 2023 fast 1,3 Billionen US-Dollar (1,16 Billionen Euro) erreichen. Das ist mehr als das Siebenfache der Investitionen, die im Rahmen des US-Marshallplans zum Wiederaufbau der europäischen Volkswirtschaften nach dem Zweiten Weltkrieg getätigt wurden.
Der Vergleich mit dem Marshallplan wird öfters gemacht. Dieser Argumentation zufolge könnte das Seidenstraßen-Projekt die Handelskosten erheblich senken, den Warenaustausch erhöhen und am Ende auch die Armut vieler Länder reduzieren. Kritiker hingegen werfen China vor allem vor, ärmere Länder zu finanzieren, um dort Einfluss zu gewinnen - auch wenn das bedeutet, Kredite für wirtschaftlich unrentable Projekte zu vergeben. Sie berufen sich auf die Geschichte des Hafens Hambantota in Sri Lanka. China übernahm 2017 die Kontrolle über den strategisch wichtigen Hafen, nachdem Sri Lanka bei der Kredit-Rückzahlung Schwierigkeiten hatte.
Eine Analyse von Rhodium aus dem Jahr 2019, die 40 Fälle chinesischer Umschuldungsverhandlungen mit 24 Ländern analysierte, zeigt jedoch, dass die Behauptungen über Chinas "Schuldenfallendiplomatie" übertrieben sein könnten. Der Fall Sri Lankas ist demnach der einzige bestätigte Fall, in dem Peking tatsächlich die seine Kreditmacht bis zum Entziehen des Vermögens ausgespielt habe.
Selbst in der aktuellen Krisenzeit, in der viele Seidenstraßen-Länder an die finanziellen Grenzen stießen, seien Zustände wie in Sri Lanka unwahrscheinlich, sagt Kratz. "Der Fall Sri Lanka war eigentlich ein großer Weckruf für Peking", sagt die Analystin. Die Kritik sei so groß und die Auswirkungen auf den internationalen Ruf Pekings so negativ gewesen, "dass ich wirklich keine ähnlichen Schritte in der Zukunft erwarten würde."
Retter spielen ist günstiger
Dennoch wird China weiter sein diplomatisches Netz spannen und sich als verlässlicher Entwicklungspartner präsentieren - insbesondere in einer Zeit, in der die USA unter Donald Trump an dieser Rolle wenig Interesse zeigen.
Da die Pandemie von allen Volkswirtschaften einen hohen finanziellen Tribut fordert, liegt hier auch die Chance Chinas. Peking könnte den sogar noch mehr Einfluss erlangen, selbst wenn die Volksrepublik weniger investiert als in der Vergangenheit, so der Rhodium-Bericht. "Angesichts der Corona-Krise wird jede Unterstützung aus China willkommen sein", sagt Kratz. Schon Spenden, Ausrüstung oder kleine Darlehen für den Bau von Lazaretten könnte ausreichen.
China hat bereits damit begonnen, medizinische Ausrüstung und Personal in die vom Coronavirus befallenen Seidenstraßen-Länder zu entsenden - darunter auch Italien.
Umstrukturierung der Schulden
Viele der Länder südlich der Sahara und Lateinamerikas schulden der asiatischen Wirtschaftsmacht etwa 30 bis 40 Prozent ihrer Auslandsverbindlichkeiten. Die ärmsten dieser Länder werden Corona-bedingt wahrscheinlich Mühe haben, ihre Kredite zurückzuzahlen. China könnte Neuverhandlungen über Schulden auch als Instrument nutzen, um politische Gefallen zu erwirken. Dabei wird die Verlängerung von stundungs- oder tilgungsfreien Zeiten voraussichtlich das häufigste Ergebnis sein wird.
Peking befindet sich nach wie vor in einer guten Ausgangsposition, um das zu finanzieren. Die meisten Auslandskredite, die China in den letzten 15 Jahren gewährt hat, wurden über Banken wie die China Development Bank und die China Export-Import Bank vergeben. Beides sind Staatsbanken und verfügen über viel finanziellen Spielraum. "Wenn die chinesische Regierung also der Meinung ist, dass es politisch gesehen eine gute Idee ist, neue Kredite zu vergeben, die Rückzahlung zu verschieben oder Schulden zu erlassen, dann werden diese Banken es tun", so Kratz.