Chinas neue Seidenstraße
12. Mai 2017Vier Jahre sind nicht viel Zeit für eines der ambitioniertesten Infrastrukturprojekte des 21. Jahrhunderts. Im Herbst 2013 gab Chinas Präsident Xi Jinping den Startschuss für die "One Belt, One Road"-Initiative (OBOR), auch bekannt als Chinas "neue Seidenstraße". Das Ziel: Die Volksrepublik will ein Netz aus Straßen, Pipelines, Schienen und Schifffahrtsrouten über Europa, Afrika und Asien werfen, um die Länder näher an China zu binden. Rohstoffe sollen so nach China strömen, Waren Richtung Westen verfrachtet werden. Vier Jahre nach der Ankündigung gibt es immer noch keine offiziellen chinesischen Stellungnahmen zum genauen Verlauf der Routen oder den wichtigsten Knotenpunkten. Auch die genaue Zahl der Projekte und beteiligten Nationen ist unsicher - China selbst sagt, 65 Länder hätten Interesse bekundet.
Vielleicht werden einige der offenen Fragen am Wochenende auf dem "Gipfel zur neuen Seidenstraße" in Peking beantwortet. 28 Staats- und Regierungschefs haben ihre Teilnahme zugesagt; darunter Russlands Präsident Putin, der türkische Präsident Erdogan und Präsident Nasarbajew aus Kasachstan. Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres fliegt nach Peking. Bundeskanzlerin Angela Merkel war zwar eingeladen, schickt aber an ihrer Stelle die deutsche Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries.
Was wir wissen
Alles, was sich bisher über OBOR sagen lässt, basiert letztlich auf der Analyse von einzelnen Projekten, die OBOR zugerechnet werden, oder auf den raren, in der Regel knapp gehaltenen offiziellen Stellungnahmen chinesischer Vertreter.
Es ist klar, dass OBOR in Peking höchste Priorität hat. Das zeigen die entscheidende Beteiligung Xi Jinpings, der bevorstehende internationale Gipfel, sowie Pekings Bereitschaft, erhebliche finanzielle Mittel zu investieren. Die Seidenstraßen-Initiative wird durch einen eigenen Fonds in Höhe von fast 50 Milliarden US-Dollar und über die 2013 gegründete Asiatische Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) mit 100 Milliarden US-Dollar Kapital gefördert.
Das Projekt ist zwangsläufig langfristig angelegt, denn eine derartig große Infrastruktur-Initiative lässt sich nicht in wenigen Jahren realisieren. OBOR wird die chinesische Außenpolitik demnach für die nächsten Jahre prägen.
Das Konzept ist flexibel und auf Expansion ausgerichtet, wie Alice Ekman, Leiterin der Chinaabteilung des Zentrums für Asienstudien beim französischen Forschungsinstitut IFRI, schreibt. Flexibel bedeute, dass die chinesische Regierung die Ziele und Details den Reaktionen der beteiligten Staaten anpasst. Expansion bedeute, dass immer mehr Regionen und Sektoren einbezogen werden, inzwischen z.B. auch die Telekommunikation.
China kommuniziert mit Bedacht
Das Projekt wird von China mit einer umfassenden Kommunikationsstrategie flankiert. China achte darauf, so Ekman in ihrer Studie, dass OBOR als Initiative und nicht als Strategie wahrgenommen werde. OBOR sei, so China, offen und jedes Land sei herzlich willkommen. Die Initiative sei für alle Beteiligten von Vorteil. Sie ergänze bestehende Initiativen und stünde nicht in Konkurrenz zu Ihnen. Nicht zuletzt handle es sich vor allem um ein wirtschaftliches Projekt, nicht aber um ein geostrategisches – beteuert China.
Diese PR im Zusammenhang mit der "neuen Seidenstraße" zeigt, dass sich China der Skepsis und dem Misstrauen, dass der aufstrebenden Weltmacht, der OBOR-Initiative und ihrer geostrategischen Implikationen entgegengebracht wird, bewusst ist. Die bisherigen Reaktionen auf OBOR reichen von offener Ablehnung über Skepsis und Misstrauen, bis zu pragmatischer Kooperation.
Konkurrenz und Kooperation
Ablehnend verhält sich beispielsweise Japan, die einzige große Industrienation neben den USA, die sich nicht an der AIIB beteiligt. Die Beziehungen zwischen Japan und China sind aufgrund ihrer Geschichte und den Entwicklungen der letzten Jahre angespannt. Während die ehemals zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt Japan seit langem in einer wirtschaftlichen Stagnation steckt, hat China in den letzten Jahrzehnten einen rasanten wirtschaftlichen Aufstieg erlebt. Für Japans nationalistisch gesinnten Premier Shinzo Abe kommt eine Beteiligung an OBOR nicht infrage, er setzt auf Konkurrenz. Japan kündigte 2015 an, für die kommenden fünf Jahre 110 Milliarden US-Dollar für Infrastrukturprojekte in Asien bereitzustellen.
Südasien zeigt, wie Chinas Wirtschaftsinitiative sich auf bestehende regionale Konflikte auswirken kann. So ist Pakistan ist einer der engsten Partner des OBOR-Projekts. Mehr als 50 Milliarden US-Dollar sollen in den Bau von Straßen und Eisenbahntrassen, Kraftwerken, Sonderwirtschaftszonen und einen Tiefseehafen in Gwadar an der pakistanischen Küste fließen, in den sogenannten chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor. Das wiederum beunruhigt Indien. Mehrfach hat die Regierung in Neu-Delhi Einspruch gegen den Wirtschaftskorridor erhoben, unter anderem, weil die Route auch durch umstrittenes Territorium in Kaschmir führt. Pakistans Premier Nawaz Sharif wird am Gipfel in Peking teilnehmen, sein Amtskollege aus Indien, Narendra Modi, nicht.
Zentralasien und Russland
Zentralasien, geographisch das Herzstück der Initiative und für China besonders wegen der Gas- und Ölressourcen interessant, hat chinesische Kredite in den vergangenen Jahren bereitwillig angenommen, um die Infrastruktur zu modernisieren und auszubauen. Im Fall von Kasachstan hat das dazu geführt, dass sich die ehemalige Sowjetrepublik von Russland lösen und seine Abhängigkeit reduzieren konnte. Im Falle Turkmenistans wurde die Abhängigkeit von Russland durch die Abhängigkeit von China ersetzt, wohin das Land heute den größten Teil seines Erdgases exportiert.
Russland wiederum fürchtet den wachsenden Einfluss Chinas in Zentralasien und damit den eigenen Bedeutungsverlust in der Region schon länger. So hat Moskau immer wieder eine Freihandelszone im Rahmen der "Shanghai Organisation für Zusammenarbeit" (SCO), die die VR China, Russland sowie Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan umfasst, aus Angst vor der chinesischen Dominanz abgelehnt, wie Tatiana Kastouéva-Jean in einer Studie für IFRI schreibt. Russland verfolgt sein eigenes Wirtschaftsprojekt, die eurasische Wirtschaftsunion (EAEU). Allein, Russland fehlt das Geld, um China effektiv Paroli bieten zu können.
Und seit sich die Beziehungen zum Westen aufgrund der Ukraine-Krise deutlich verschlechtert haben, haben sich Russland und China einander angenähert. Beide Länder betonen nun die komplementären Eigenschaften ihrer beiden Initiativen, indem sie vor allem die gemeinsamen Interessen in der Sicherheitspolitik betonen, etwa den Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Dass Putin an dem Gipfel teilnimmt, deutet darauf hin, dass sich die Kooperation vertiefen könnte. Russland ist insbesondere daran interessiert, dass eine geplante neue Eisenbahnstrecke Richtung Europa über russisches Territorium und nicht nur durch Zentralasien führt.
Zielbahnhof Europa
Von europäischer Seite gibt es grundsätzlich großes Interesse an einem Ausbau der sogenannten Konnektivität mit Asien, die auch den europäischen Volkswirtschaften, insbesondere Exportnationen wie Deutschland zugute kommen könnte. Bislang freilich eher theoretisch, wie Jörg Wuttke, der Vertreter der europäischen Wirtschaft in China, in einem Gastbeitrag für die FT schreibt. Es kämen zwar derzeit fünf volle Güterzüge in der Woche aus Chongqing in Deutschland an, aber nur ein voller fahre in die Gegenrichtung.
Ein Papier des Europäischen Parlaments (EP) vom Juli 2016 betont, dass OBOR mit Initiativen der EU koordiniert werden müsse. Dafür wurde eigens die "EU-China Connectivity Platform" ins Leben gerufen. Die bisherigen OBOR-Projekte in Europa seien bilateraler Natur, wie etwa die chinesischen Investitionen im griechischen Hafen Piräus. Die EU müsse eine gemeinsame Position vertreten. Es bestehe sonst die Gefahr, dass China in Europa erfolgreich sei mit einer "Teile-und-herrsche-Taktik", so das Papier des EP.
Nicht zuletzt ist die EU, wie eine aktuelle Studie des Generaldirektorats für Außenpolitik des Europäischen Parlaments von 2017 zeigt, besorgt, ob China sich im Rahmen der Initiative an internationale Regeln und Gesetze hält. Insbesondere mit Blick auf die maritime Seidenstraße und das internationale Seerecht ist die Skepsis groß. Hier, so das Ergebnis der Studie, müsse Europa proaktiver auftreten und verstärkt für eigene Interessen eintreten.