Deutschland fährt wieder runter
2. November 2020Bundesweit bleiben Kultur- und Freizeiteinrichtungen bis Ende des Monats geschlossen. Cafés und Restaurants ist nur noch der Verkauf von Speisen und Getränken außer Haus erlaubt. Auch für persönliche Treffen gelten strengere Regeln: In den meisten Bundesländern dürfen nur noch zwei Haushalte zusammenkommen, teilweise gilt das sogar für Treffen in den eigenen vier Wänden. Übernachtungsangebote für touristische Zwecke sind untersagt. Der Einzelhandel hingegen kann seine Läden weiterhin öffnen. Auch Schulen und Kitas bleiben offen.
Die Maßnahmen gelten zunächst bis Ende November. Mitte des Monats wollen Bund und Länder eine Zwischenbilanz ziehen. Einige Bundesländer weichen in Details von dem vereinbarten Maßnahmenkatalog ab. Insgesamt sind die neuen Maßnahmen weniger drastisch als im Frühjahr. Die Schließungen und Kontaktbeschränkungen sollen verhindern, dass Gesundheitsämter und das gesamte Gesundheitssystem überlastet werden, insbesondere die Intensivstationen.
Infektionszahlen in Deutschland steigen
Aktuell meldet das Robert-Koch-Institut (RKI) 12.097 neue Infektionen binnen 24 Stunden. Insgesamt haben sich 545.027 Menschen in Deutschland nachweislich mit dem Coronavirus angesteckt. Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit einer Infektion steigt um 49 auf 10.530. Die Zahlen am Sonntag fallen für gewöhnlich niedriger aus, da die Gesundheitsämter am Wochenende häufig nicht alle Daten übermitteln.
In der von der Corona-Krise besonders schwer getroffenen Veranstaltungs- und Kulturbranche sowie Gastronomie herrscht großer Unmut über die neuen Regeln. Viele bangen um ihre Existenz. Neben den bereits laufenden Wirtschaftshilfen soll ein zusätzliches Paket im Umfang von bis zu zehn Milliarden Euro den Betrieben und Selbstständigen helfen, die nun im November keinen Umsatz machen können. Juristen rechnen dennoch mit einer Klagewelle.
Klinge: Super-GAU für Tourismus und Gastronomie
Der Tourismusexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Marcel Klinge, kritisierte die Schließung von Gaststätten und Hotels. "Mit der pauschalen Schließung der Gastronomie und dem Verbot von Übernachtungen im Inland wurde der Super-GAU für alle Anbieter von touristischen Leistungen wahr", sagte er der "Augsburger Allgemeinen".
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder verteidigte die strengeren Maßnahmen hingegen. "Es gibt auf der ganzen Welt kein anderes Konzept als das Reduzieren von Kontakten, um auf Corona zu reagieren", so Söder. "Wenn es ein besseres, leichteres gäbe, würden wir es ja sofort anwenden." Außerdem sei der jetzige Teil-Lockdown nicht ganz so umfassend wie im Frühjahr und in anderen europäischen Ländern.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schwor die Deutschen auf "Monate der Einschränkungen und des Verzichts" ein. Selbst wenn das öffentliche Leben in einigen Wochen wieder hochfahre, könnten danach erneut strenge Beschränkungen drohen. "Niemand kann ausschließen, dass es nicht irgendwann in der Folge wieder dazu kommt", sagte der CDU-Politiker in einem ZDF-Interview.
Höchststand an Intensivpatienten erwartet
Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, rechnet unterdessen mit einem neuen Höchststand an Intensivpatienten während der Corona-Pandemie. "In zwei bis drei Wochen werden wir die Höchstzahl der Intensivpatienten aus dem April übertreffen - und das können wir gar nicht mehr verhindern. Wer bei uns in drei Wochen ins Krankenhaus eingeliefert wird, ist heute schon infiziert", sagte er der "Bild"-Zeitung.
Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, warnte vor dramatischen Entwicklungen. "Viele Intensivpfleger arbeiten schon heute am Limit, und zu Recht warnen sie vor einer Verschlimmerung", sagte er der "Bild"-Zeitung. Nur ein
ganzes Bündel von Maßnahmen könne "eine Katastrophe verhindern" - dazu gehöre zum Beispiel, planbare Operationen nötigenfalls zu verschieben.
Österreich sieht Probleme auf Intensivstationen
Ohne eine Trendwende bei den Corona-Neuinfektionen steuert Österreich nach den Worten von Gesundheitsminister Rudolf Anschober auf eine baldige Überlastung des Gesundheitssystems zu. Mit einer kritischen Lage wäre dann in der zweiten Novemberhälfte zu rechnen, sagte Anschober in Wien. Binnen einer Woche sei die Anzahl der mit COVID-19-Patienten belegten Intensivbetten um 78 Prozent gestiegen. Daher sei es notwendig, dass sich die Bevölkerung strikt an die neuen Maßnahmen im teilweisen Lockdown halte.
Diesen Dienstag schließen die Gastronomie und fast das gesamte Kultur- und Freizeitangebot. Landesweit ist das Verlassen der Wohnung zwischen 20 und 6 Uhr nur zu bestimmten Zwecken erlaubt. Am Montag wurden laut Anschober in Österreich 4135 Neuinfektionen verzeichnet. Das sei zwar deutlich weniger als zuletzt, liege aber wohl an dem Umstand, dass am Wochenende weniger getestet werde. Die Regierung rechne in dieser Woche weiterhin mit stark steigenden Zahlen, sagte Anschober. Der Effekt des teilweisen Lockdowns werde sich erst in rund zwei Wochen zeigen.
Belgien steigt auf die Bremse
In Belgien sind wegen der dramatisch gestiegenen Corona-Fallzahlen neue Beschränkungen in Kraft getreten. Alle Geschäfte, die nicht unbedingt notwendige Waren verkaufen, müssen geschlossen bleiben. Lediglich die Abholung und Hauslieferung vorbestellter Waren ist möglich. Um faire Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten, dürfen auch in Supermärkten nur noch Waren des täglichen Bedarfs angeboten werden. Die Schließung von Kneipen, Restaurants und Cafés sowie nächtliche Ausgangssperren waren bereits Mitte Oktober beschlossen worden. Zudem gilt seitdem die Regel, dass die Bürger außerhalb des eigenen Haushalts nur noch zu einer anderen Person engeren Kontakt pflegen dürfen. Die Maßnahmen gelten zunächst bis 13. Dezember.
An den Schulen werden die derzeitigen Herbstferien mindestens bis Mitte November verlängert. Die Hochschulen sollen bis mindestens ausschließlich 1. Dezember nur per Fernunterricht unterrichten. Belgien zählt zu den am schwersten von der Corona-Pandemie betroffenen Ländern Europas.
Weltweite Entwicklung der Pandemie
Weltweit haben sich nachweislich mehr als 46,37 Millionen Menschen mit dem Coronavirus angesteckt. Das ergibt eine Reuters-Erhebung auf Basis offizieller Daten. Demnach starben mehr als 1,19 Millionen Menschen in Zusammenhang mit dem Virus. Die meisten Infektionsfälle verzeichnen die USA, gefolgt von Indien, Brasilien, Russland, Frankreich und Spanien.
bri/kle (dpa, rtr, afp)