Mit rund 578.300 bestätigten COVID-19-Fällen auf dem ganzen Kontinent (Stand: 11.7.2020) scheint Afrika bisher nicht so hart von der Pandemie getroffen worden zu sein wie andere Weltregionen. Die Zahlen könnten jedoch höher liegen, denn vielen Regierungen des Kontinents fehlen Material und Mittel für Tests auf das Virus. Die Gesundheitssysteme in den meisten der 54 Länder sind schlecht vorbereitet und chronisch unterfinanziert, was sich besonders auf die Gesundheit von Frauen und Mädchen auswirkt, die von geschlechtsspezifischer Gewalt bedroht sind. Die Zunahmen von häuslicher, sexualisierter Gewalt und ungewollter Schwangerschaften sind zu verzeichnen, was schlimme Auswirkungen hat für Mütter, Neugeborene, Kinder und Jugendliche.
Mehr HIV und ungewollte Schwangerschaften
Es gibt zu wenige Ärzte, und es mangelt an Schutzkleidung. Und wenn insbesondere Frauenärzte nur noch eingeschränkt aufgesucht werden können, erhöht sich das Risiko für schwangere Frauen und ihre Familien: weniger Zugang zu Verhütungsmitteln und damit ein größeres Risiko, sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten zu infizieren, mehr unsichere Geburten. All das hat auch langfristige Auswirkungen auf die Frauen, ihre Familien und die Gesellschaft:
In Simbabwe wurden bereits 42 Prozent weniger Kaiserschnitte durchgeführt als vor der Krise. Und im April fanden im Vergleich zum Vorjahr nur noch 15 Prozent der Geburten mit medizinisch fachkundigem Personal statt. Der Zugang zu Verhütungsmitteln ist in vielen Gebieten um 90 Prozent zurückgegangen. In einigen Gegenden Kenias konnte nur noch ein Viertel der schwangeren Frauen eine Mütterberatungsstelle aufsuchen.
Die weitaus meisten Afrikanerinnen sind im Bereich der reproduktiven Gesundheit auf die öffentlichen Gesundheitseinrichtungen angewiesen. Doch der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) hat in einem Bericht festgestellt, dass gerade in Krisenzeiten die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen missachtet werden .
Recht auf Familienplanung - auch in der Pandemie
Doch selbst während der COVID-19-Pandemie müssen afrikanische Regierungen genau diese Dienstleistungen weiterhin anbieten. Das bedeutet, dass der öffentliche Gesundheitssektor in der Lage sein muss, Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen, sexuell übertragbare Infektionen, einschließlich HIV und andere Probleme bei Sexualität und Kinderwunsch, zu behandeln sowie den Zugang zu Verhütungsmitteln sicher zu gewährleisten. Hebammen müssen in der Lage sein, Frauen zu besuchen, Informationskampagnen müssen fortgesetzt werden - auch wenn alle eine Gesichtsmaske tragen. Und Kondome müssen auch an entlegenen Orten verteilt werden. Und selbst während der Pandemie haben afrikanische Frauen (und ihre Partner) das Recht auf ein befriedigendes und sicheres Sexualleben - und sie müssen entscheiden können, ob und wann sie Kinder haben wollen.
Wenn dies nicht gesichert ist, ist in den Ländern Afrikas mit einem Anstieg sexuell übertragbarer Infektionen einschließlich HIV, mit einer Zunahme unbeabsichtigter Schwangerschaften und damit unsicherer Abtreibungen sowie mit einem Anstieg der Todesfälle bei Müttern und Neugeborenen zu rechnen.
Kein Geld für das Gesundheitswesen
Schon vor der Pandemie hatten viele afrikanische Regierungen mit Problemen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit zu kämpfen. Vielerorts gelingt es nicht, das Gesundheitswesen ausreichend zu finanzieren - einschließlich der sexuellen und reproduktiven Gesundheitsversorgung. Trotz mancher Fortschritte im Laufe der Jahre kommen viele afrikanische Frauen und Mädchen bis heute immer noch nicht in den Genuss ihrer reproduktiven Rechte. Viel zu viele Frauen haben keinen Zugang zu modernen Verhütungsmitteln, zu viele Jugendliche und junge Menschen werden ungewollt schwanger oder infizieren sich mit HIV. Die Müttersterblichkeit ist nach wie vor inakzeptabel hoch. Auf die afrikanischen Länder südlich der Sahara entfielen 66 Prozent der geschätzten weltweiten Müttersterblichkeit im Jahr 2017.
Über Jahrzehnte erzielte Verbesserungen stehen jetzt auf dem Spiel, wenn wir inmitten der Pandemie nicht auf die reproduktive Gesundheitsversorgung achten.
Umfassende Verpflichtung der Regierungen Afrikas
Hoffnung besteht darin, dass wir die Selbstverpflichtungen der höchsten politischen Funktionsträger für die Verbesserung reproduktiver Gesundheit haben. Auf dem Gipfeltreffen in Nairobi zum 25. Jahrestag der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung (ICPD+25) im Jahr 2019 haben sich die afrikanischen Regierungen umfassend verpflichtet: Sie wollen dringend benötigte Informationen und Dienstleistungen zur Familienplanung bereitstellen, die Müttersterblichkeit senken sowie sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und schädliche Praktiken verbieten.
Wenn nun die afrikanischen Regierungen die öffentlichen Gesundheitssysteme reorganisieren, um gegen COVID-19 gewappnet zu sein, müssen die Entscheidungsträger zugleich bedenken: Es ist ebenfalls unerlässlich, endlich angemessene Mittel bereitzustellen, um den Bedarf an reproduktiver Gesundheitsversorgung für afrikanische Frauen und ihre Partner zu decken.
Evelyn Samba ist Landesdirektorin der Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) in Kenia. Die NGO arbeitet in mehreren afrikanischen Ländern und in Europa zu Fragen der nachhaltigen und Rechte basierten Bevölkerungsentwicklung. Ein Schwerpunkt liegt auf der Beratung und Unterstützung des Zugangs von Frauen und Jugendlichen zu Aufklärung und Mitteln der Familienplanung.