Chronist von Zerstörung und Tod
14. März 2016Was immer in Syrien passiert - die internationalen Medien erfahren es meist zuerst auf dem Umweg über Mittelengland. Dort, in der Industriestadt Coventry, hat die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights, SOHR) ihren Sitz. Der einzige Mitarbeiter des 2006 gegründeten Instituts ist Rami Abdulrahman, ein Exilsyrer, der seit 15 Jahren in England lebt. Umso größer ist die Zahl der Mitarbeiter und Informanten in Syrien selbst. Insgesamt 236 Personen versorgen das Büro von Abdulrahman mit täglich neuen Informationen zu dem seit fünf Jahren anhaltenden Krieg in dem arabischen Land.
"Unsere Leute berichten aus sämtlichen Gebieten des Landes", sagt Abdulrahman im Gespräch mit der DW. "Sie sammeln Informationen in den Gegenden, die unter Kontrolle des Regimes stehen ebenso wie aus jenen, die die Rebellen kontrollieren oder der 'Islamische Staat' oder auch die Kurden."
Der Beobachtungsstelle ist es zu verdanken, dass der Krieg in Syrien weniger Geheimnisse hat. Welche Gruppe auch immer eine Rakete abschießt, auf ein Gebiet vorstößt oder es erobert, wer Menschen gefangen nimmt oder tötet: Sie muss damit rechnen, dass es registriert und nach Coventry weitergegeben wird. Dort wird es aufbereitet und ins Internet gestellt. So ergänzt das SOHR die vielen Informationen, die beispielsweise über soziale Netzwerke von Aktivisten in Syrien verbreitet werden.
Unabhängigkeit als Prinzip
Vor allem zu Beginn des Krieges in Syrien war die Arbeit der Beobachtungsstelle immer wieder kritisiert worden. Im Jahr 2013 etwa veröffentlichte die zum Vatikan gehörende Nachrichtenagentur AsiaNews einen Bericht. Darin warfen Kritiker dem SOHR vor, es verteidige auch islamistische Extremisten, um sich der Unterstützung aller Rebellengruppen sicher zu sein.
Im Gespräch mit der DW bestreitet Abdulrahman Vorwürfe der Parteilichkeit. Die Beobachtungsstelle sei unabhängig - auch finanziell. Wenn er dafür, dass er Informationen beschaffe, Geld annähme, etwa von einer Regierung, verlöre er seine Unabhängigkeit. "Dann wird man immer tendenziös berichten, aus dem Blickwinkel und dem Interesse einer bestimmten Seite. Das tun wir nicht. Wir berichten, weil wir an Demokratie und Menschenrechte glauben."
Exakte Informationen
Medien weltweit berufen sich auf die Beobachtungsstelle und übernehmen die von ihr veröffentlichten Zahlen, etwa zu den Opfern des Krieges. Diese Praxis zeigt, wie schwer es ist, an verlässliche Informationen über das Geschehen in Syrien zu kommen. Es zeigt aber auch, dass diese Zahlen weitgehend verlässlich sind. Seriöse Journalisten betonen, dass es - wie in jedem Krieg - unerlässlich bleibe, andere Quellen hinzuzuziehen.
Tatsächlich hätten sich sämtliche Informationen, die das SOHR seit Beginn des Krieges vor fünf Jahren veröffentlichte und nicht selbst korrigierte, als zutreffend erwiesen, bestätigt Hasan Hussain aus der arabischen Redaktion der DW. "Bislang ist noch nicht eine Zahl, die das SOHR veröffentlicht hat, widerlegt worden." Die Berichterstattung der Beobachtungsstelle bewertet er als neutral.
Die Verlässlichkeit der Informationen habe oberste Priorität, sagt auch Abdulrahman im DW-Interview. Das Team der Informanten sei groß. Sie würden sich aus der Zeit vor der Revolution kennen. Die Personen, die aus Syrien berichteten, täten dies um der politischen Zukunft des Landes wegen. Angetrieben würden sie von der Hoffnung, dass Syrien sich eines Tages zum Rechtstaat entwickeln möge. Die vergleichsweise hohe Zahl der Mitarbeiter erlaube es, Informationen kritisch zu bewerten. "Alles, was wir veröffentlichen, muss vorab von drei unterschiedlichen Quellen in Syrien bestätigt worden sein."
Politische Sympathien
Ihre politischen Sympathien verschweigen die Mitarbeiter der Beobachtungsstelle nicht. Dies tun sie allerdings da, wo man es erwartet: in der Rubrik "Opinions and Articles". Die dort veröffentlichten Texte lassen erkennen, dass sich das SOHR vor allem den Anliegen der säkularen Rebellen verbunden fühlt.
Die Beobachtungsstelle habe viele Feinde, sagt Abdulrahman. "Denn wir berichten über Verbrechen aller Seiten. Das müssen wir, denn wir glauben an die Zukunft des syrischen Volkes."