Chipperfield: "Berlin fühlt sich unfertig an"
1. Oktober 2015David Chipperfields Rekonstruktion des Neuen Museums wird gefeiert, seine Ideen fließen ein in den Masterplan der Berliner Museumsinsel. Seine aktuellen Projekte: das neue Empfangsgebäude des Museumsensembles in Berlins historischer Mitte und die Sanierung von Mies van der Rohes legendärer Nationalgalerie. Im Gespräch mit der DW verrät der Architekt, welche Themen ihn bewegen:
Berliner Lücken:
"Während man bei vielen Städten das Gefühl hat, dass sie irgendwie fertig sind, fühlt sich Berlin unfertig an. Es ist eine Stadt der Lücken: physische und konzeptuelle Lücken. Ich denke, dass das der Grund ist, warum die Menschen Berlin so zugänglich finden."
Charme der Platte:
"Ich wohne in einer Straße, in der die Hälfte der Gebäude Plattenbauten sind. Und um ehrlich zu sein, stört mich das überhaupt nicht. Denn sie fügen sich in die Struktur der Straßen ein. Und es gibt eine Art soziale Kontinuität. Wenn dort keine Plattenbauten ständen, wäre die Gegend viel anfälliger für Gentrifizierung. Doch Plattenbauten bieten einen gewissen Widerstand. Sie können nicht wirklich gentrifiziert werden."
Bauboom in London:
"Ich bin nicht besorgt um London aus einer architektonischen Sicht. Ich mache mir eher Sorgen, welche Auswirkungen der Bauboom auf die Gesellschaft hat. Im Grunde genommen evakuieren wir das Stadtzentrum. Es wird zu einem Ort für die Reichen und zum Shoppen und Essen."
Lieblingsorte:
"Ich lebe an verschiedenen Orten: London, Berlin und ich besitze ein Haus in Spanien, welches ein toller Rückzugsort ist. Fühlt es sich gut an, hier vor dem Neuen Museum zu stehen? Ja. Meine wahrscheinlich intensivsten Berufs-Jahre waren meine 15 Jahre in Berlin."
Star-Architektur:
"Es gibt aktuell die Tendenz in der Architektur, dass alles Grenzen sprengen muss. Mit anderen Worten, alles muss berühmt werden. Es ist gefährlich, wenn jedes Gebäude spektakulär aussehen muss. Wenn es aussehen muss, als ob es die Welt verändern würde. Es ist mir egal, wie ein Gebäude aussieht, wenn es etwas bedeutet: nicht den Architekten, sondern den Menschen, die es benutzen."
Wettlauf der Architekten:
"Das Problem ist, dass Architektur zu einer Art Wettbewerb wird. Und um besser zu sein als die anderen, um Aufträge zu erhalten, muss sich ein Architekt oder eine Architektin von anderen unterscheiden. Also muss man eine Art Marke erschaffen – dabei denke ich, dass Architektur nach Gemeinsamkeiten suchen sollte, um für die Gesellschaft zu bauen."
Das Gespräch führte Rainer Traube.