Ukraine: Wie China Russlands Kriegswirtschaft versorgt
13. Mai 2024Nach der Ernennung des Ökonomen Andrej Beloussow zum neuen Verteidigungsminister, reist Russlands Präsident Wladimir Putin diese Woche zum chinesischen Präsidenten Xi Jinping. China ist nach einer neuen US-Studie seit 2023 der wichtigste Lieferant für Mikroelektronik und Werkzeugmaschinen für die russische Rüstung. Putin zeigt, dass er die russische Industrie weiter auf Kriegswirtschaft trimmen will.
Bereits Ende 2023 hat die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in einer Analyse errechnet, dass der NATO damit im schlechtesten Falle nur noch fünf Jahre blieben, um ihr Abschreckungspotential gegen einen möglichen russischen Angriff auf ein NATO-Land zu erhalten.
Studien-Autor Christian Mölling, Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung der DGAP, erneuerte seine Analyse nun mit Blick auf Russlands Aufrüstung im Krieg gegen die Ukraine. "Putin lebt nur noch durch diesen Krieg", sagt Mölling im DW-Interview. "Er braucht den Krieg, weil er so viele Geister gerufen hat, die einen Frieden möglicherweise gar nicht akzeptieren können."
Konfrontation mit der NATO?
Die Aufrüstung der NATO ist damit unmittelbar mit den Waffenlieferungen der gut 50 Unterstützernationen der Ukraine unter Führung der USA verwoben.
Der US-Thinktank CSIS (Center for Strategic and International Studies) kommt in einer im April veröffentlichten Studie zu dem Schluss, dass "die laufenden umfassenden militärischen Reformen" Putins im Krieg gegen die Ukraine darauf hindeuten, "dass sich Russland möglicherweise auf eine Konfrontation mit der NATO innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte, einschließlich eines groß angelegten konventionellen Krieges, vorbereitet."
Das Institut in Washington, das nach US-Medienberichten der US-Rüstungsindustrie nahesteht, hat zum zweiten Mal seit Beginn von Russlands Großinvasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 die Versorgung der russischen Waffenindustrie mit Gütern aus dem Ausland und die Umgehung westlicher Sanktionen untersucht. Dieses Mal unter dem Titel: Der Zustand von Russlands Verteidigungsindustrie nach zwei Jahren Krieg.
Russland importiert Elektronik - vorbei an westlichen Sanktionen
Dafür analysierten die Forscher öffentlich zugängliche Daten über den Warenverkehr nach Russland – vor allem bezogen auf Mikroelektronik für Raketen und Gleitbomben. Auch den Handel von sogenannten CNC-Maschinen, also computergesteuerte Maschinen zur Metallverarbeitung, nahm das CSIS in den Blick.
Die werden für den Bau von Artilleriegranaten und anderer Munition gebraucht. "Die russische Rüstungsindustrie hat Wege gefunden, sich das zu beschaffen, was sie braucht, um die Waffenproduktion hochzufahren", heißt es in der CSIS-Analyse.
"Der Kreml ist weiterhin auf ausländische Komponenten angewiesen, die über ein kompliziertes Netz von Zwischenhändlern eingeführt werden. Dies hat sich als entscheidend für die Versorgung des russischen Militärs in der Ukraine erwiesen."
Demnach ist China seit Frühjahr 2023 zu Russlands wichtigstem Lieferanten aufgestiegen: "Fast alle der führenden Exporteure von Mikroelektronik haben ihren Sitz in China und Hongkong, ein Unternehmen hat seinen Sitz in der Türkei."
Sprunghafter Anstieg von China-Importen im März 2023
Chinas Export von Mikroelektronik nach Russland ist im März 2023 sprunghaft nach oben geschnellt. Damals besuchte der chinesische Präsident Xi Jinping den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau.
"Die russischen Importe von CNC-Maschinen chinesischer Unternehmen - die zur Herstellung von Präzisionsteilen für verschiedene Waffensysteme von Munition bis hin zu Flugzeugen verwendet werden - haben in den Monaten nach dem Treffen zwischen Xi und Putin im März 2023 ebenfalls stark zugenommen", konstatiert das CSIS.
In mehreren Grafiken zeigt das Institut, dass zwischen März und Juli 2023 Firmen aus China und Hong Kong jeden Monat zwischen 200.000- bis 300.000-mal Russland mit Elektronik beliefert haben.
Viele Drohnen für Moskau, wenige für Kiew
Besonders pikant ist der Vergleich bei gelieferten Drohnen: "Russland hat mindestens 14,5 Millionen US-Dollar (13,4 Millionen Euro) an direkten Drohnenlieferungen von chinesischen Handelsunternehmen erhalten, während die Ukraine nur Drohnen und Komponenten aus chinesischer Produktion im Wert von etwa 200.000 US-Dollar erhielt, die meisten davon von europäischen Zwischenhändlern", heißt es in dem CSIS-Bericht.
Dabei sollen einige der Firmen aus China und Hong Kong, die nach Russland liefern, auch Geschäfte mit der Ukraine machen. Sind sie mit EU- oder US-Sanktionen belegt, führt das zu einem Dilemma. Denn die Handelsbeschränkungen könnten letztlich auch die Ukraine treffen.
Schließlich kommen die US-Forscher zu dem Schluss, dass "der russische Industriesektor bei Werkzeugmaschinen und Komponenten, die für die Rüstungsproduktion wichtig sind, vollständig von China abhängig geworden" sei.
Das deckt sich mit Untersuchungen in der Ukraine. Dort werden von der ukrainischen Flugabwehr abgefangene russische Raketen, Gleitbomben und Drohnen in ihre Einzelteile zerlegt.
Seit vergangenem Jahr identifiziert die ukrainische Armee vor allem Elektronik aus chinesischer Produktion in den russischen Waffen, sagt der ukrainische Sanktionsexperte Vladislav Vlasiuk aus der ukrainischen Präsidialverwaltung im DW-Interview.
Weniger High-Tech in russischen Waffen
Russland produziert - anders als vor der Invasion in der Ukraine - mehr und mehr Munition und Waffen, für die westliche High-Tech-Komponenten vollkommen verzichtbar sind. Vor allem Gleitbomben und die ursprünglich aus dem Iran stammenden Shaed-Kampfdrohnen.
Damit überwindet Russlands Luftwaffe seit Anfang 2024 immer erfolgreicher die ukrainische Luftabwehr, der es wiederum an westlichen Abwehrraketen fehlt. Es ist derzeit ein Kampf billig hergestellter Artilleriegranaten und Gleitbomben mit chinesischer Elektronik gegen westliche Flugabwehr-Raketen mit viel High-Tech, von denen die Ukraine viel zu wenige hat.
"Wenn morgen alle Importe von Mikroelektronik nach Russland gestoppt würden, wären sie nicht in der Lage sein, die Waffen zu produzieren", ist Vlasiuk überzeugt.
Damit hätte Russland bereits jetzt erfolgreich seine Rüstungsindustrie auf einfachere Komponenten umgestellt, die vor allem aus China bezogen werden. Noch im ersten Kriegsjahr konnte die Ukraine zahlreiche westliche High-Tech-Produkte in russischen Waffen sicherstellen – viele davon aus Europa und vor allem aus Deutschland.
"Bei den Schlüsselkomponenten und der Elektronik, die der Kreml für seine Kriegsmaschinerie benötigt", schreibt der Washingtoner Thinktank CSIS in seiner Analyse, "hat er sich von maßgeschneiderten militärischen Hochleistungskomponenten" auf sogenannte Dual-Use Technologien, die für zivile wie militärische Zwecke einsetzbar sind, "oder sogar rein zivile Technologien verlegt". Güter also, die bis heute von westlichen Rüstungs-Sanktionen gar nicht belegt sind.
Mitarbeit: Mykola Berdnyk
Dieser Text wurde am 14. Mai 2024 um den Besuch Putins in Peking aktualisiert.