Chinas Hunger noch nicht gestillt
21. November 2016Es war eine Sensation, als 2002 der insolvente Flugzeugbauer Dornier von der chinesischen Firma D'Long übernommen wurde. Denn bis dahin gingen die Direktinvestitionen nur in die umgekehrte Richtung: Deutsche Unternehmen gründeten mit chinesischen Partnern Joint-Venture-Firmen und produzierten im Reich der Mitte für den Weltmarkt. Mit dieser Einbahnstraße sollte nun Schluss sein.
Doch den ersten chinesischen Investoren fehlten Erfahrung und Geld. Das erklärt den beliebten Zugriff auf Insolvenzmasse. Doch das trübte die Erfolgsbilanz der Frühphase der chinesischen Übernahmen hierzulande, meint Wang Wei, Partner von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC). "Die Quote des totalen Ausfalls war mit knapp 30 Prozent ziemlich hoch", schreibt der Berater chinesischer Investoren in Deutschland in einer neuen Studie. So endete auch die Ehe zwischen Dornier und D'Long mit einer Pleite für alle Beteiligten. Diese Frühphase ging nach Meinung von Wang Wei bis 2010.
Doch auch in dieser Zeit gab es gelungene Investitionen. Das Paradebeispiel war Waldrich Coburg. Der fränkische Weltmarktführer für Fräsmaschinen blühte nach der Übernahme durch Beijing No. 1. im Jahr 2005 regelrecht auf. Der Umsatz hat sich seitdem mehr als verdoppelt. Die Zahl der Mitarbeiter ist von 500 auf 800 angestiegen.
Auf die Frühphase folgt die Reifephase
Als eine Reifephase bezeichnet China-Experte Wang Wei den Zeitraum zwischen 2010 und 2015. Das Jahr 2010 markierte den Wendepunkt. Dynamisch wachsende chinesische Unternehmen, die es auf die deutsche Technologie und den europäischen Markt abgesehen haben, trafen auf deutsche Firmen mit der Einsicht, eine solche Krise wie 2009 ohne einen finanzstarken Partner nicht nochmal überleben zu können. "Das Wechselspiel zwischen Nachfrage und Angebot hatte zur Folge, dass man in den ersten Nachkrisen-Jahren 2010/11 gleich 20 Transaktionen aus China in Deutschland sah. Sechs davon überschritten die 100-Millionen-Euro-Grenze", so der PwC-Partner in seiner Studie. Bis Ende 2015 summierten sich die chinesischen Zukäufe auf 150.
Nun gilt der Fokus der chinesischen Firmen nicht mehr finanzschwachen Unternehmen, sondern gesunden Mittelständlern. Auch Weltmarktführer wie Putzmeister, Kiekert oder Kion sind dabei. Sorgen in der Belegschaft, dass mit dem chinesischen Geld auch die asiatischen Arbeitsbedingungen Einzug halten, haben sich als grundlos erwiesen. So nahm die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung 2014 drei Traditionsunternehmen mit chinesischen Inhabern unter die Lupe und stellte fest, dass in allen drei Fällen Tarifverträge eingehalten und neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Fünf Totalausfälle gab es in diesem Zeitraum, was einer 3,3 Prozent-Quote bei 150 Transaktionen entspreche, heißt es in der Studie.
Neue Dynamik und neue Trends
2016 wird in die Geschichte eingehen als das Jahr mit den ersten Milliardenübernahmen aus dem Reich der Mitte. Eine davon betrifft den Roboterhersteller Kuka. Der Fall hat die Gemüter hierzulande erhitzt. Wieder einmal ist die Rede vom Ausverkauf deutscher Spitzentechnologie an China.
Dabei ist diese Angst leicht mit Zahlen zu zerstreuen. Laut Bundesbank machten 2014 die chinesischen Übernahmen von insgesamt 1,6 Milliarden Euro nur 0,4 Prozent aller ausländischen Investitionen in Deutschland aus. Umgekehrt haben deutsche Unternehmen knapp 60 Milliarden in China investiert.
Mit anderen Worten: Es sieht danach aus, dass der chinesische Appetit noch längst nicht gesättigt ist. Und ihr Interessenspektrum habe sich erweitert, stellt Experte Wang Wei fest. Während bisher vor allem Maschinenbauer, Autozulieferer und Elektrounternehmen hoch im Kurs der chinesischen Investoren standen, gilt nun ihre Aufmerksamkeit stärker der deutschen Hightechbranche, dem Gesundheitswesen und der Konsumgüterindustrie. 2015 wurde sogar eine deutsche Bank (Hauck&Aufhäuser) zu hundert Prozent von Chinesen erworben.