Chinas Hightech-Offensive lässt junge Leute ohne Job zurück
17. September 2024Als Chinas Jugendarbeitslosenquote im vergangenen Jahr einen Rekordwert von 21,3 Prozent erreichte, tat Peking das, was autoritäre Regierungen immer tun, wenn unangenehme Wahrheiten ans Licht kommen: Man stellte die Veröffentlichung der Daten ein. Nachdem sechs Monate lang an der Methodik herumgetrickst wurde, schloss das Nationale Statistikamt Chinas Studenten aus den Daten aus - und siehe da: Bis Dezember war die Jugendarbeitslosigkeit um fast ein Drittel gesunken.
Das von vielen China-Beobachtern angesprochene Beschönigen der Daten lässt das Problem aber nicht verschwinden. Im Juli stieg die Zahl jugendlicher Arbeitsloser nach mehreren Monaten mit leichten Rückgängen wieder stark an - um ein Drittel auf 17,1 Prozent
Jiayu Li von der Beratungsfirma für öffentliche Politik Global Counsel in Singapur, erklärte gegenüber der DW, dass selbst in den früheren Daten Millionen von Landarbeitern nicht berücksichtigt wurden, für die es "schwieriger ist, eine Vollzeitbeschäftigung zu finden" als für Menschen in städtischen Zentren.
"Die offiziellen Zahlen geben die tatsächliche Situation vor Ort nicht genau wieder. Selbst nach fragwürdigen methodischen Korrekturen steigen die Zahlen weiter an, was die Schwere des Problems verdeutlicht", so Li.
Auch wenn die chinesische Wirtschaft nicht mehr mit zweistelligen Werten pro Jahr wächst wie in den frühen 2000er Jahren, wird für das Reich der Mitte in diesem Jahr immer noch ein Wachstum von fünf Prozent prognostiziert - eine Zahl, von der die meisten westlichen Länder nur träumen können. Warum also kann China nicht genügend Arbeitsplätze für die rund zwölf Millionen Hochschulabsolventen und Millionen weiterer Schulabgänger schaffen, die jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt drängen?
Was ist mit Xis Versprechen eines "gemeinsamen Wohlstands"?
Schuld daran waren strukturelle Probleme, COVID-19, die schleppende Erholung nach der Pandemie und Handelsspannungen mit dem Westen. Aber ebenso lähmend für das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigungsaussichten vieler junger Menschen war das weitreichende Durchgreifen von Präsident Xi Jinping gegen den Technologie-, Immobilien- und privaten Bildungssektor in den Jahren 2020/21.
Chinas Tech-Giganten, deren Beinahe-Monopol durch Xis Reformen ins Visier genommen wurde, verloren mehr als eine Billion Dollar an Marktwert. Der Immobiliensektor brach zusammen und nahm die Ersparnisse von Dutzenden Millionen Menschen mit sich. Chinas florierender Bildungssektor, in dem schätzungsweise 75 Millionen Studenten privat unterrichtet wurden, wurde zerschlagen. Massenentlassungen waren die unvermeidliche Folge, und viele der Betroffenen waren jüngere Arbeitnehmer.
Online-Nachhilfeplattformen sind seit Jahren zunehmend beliebt. Dafür sorgt der intensive Wettbewerb unter chinesischen Studenten, wenn es um die Hochschulausbildung geht und die starke kulturelle Bedeutung von guten Noten. Im Jahr 2019 waren schätzungsweise zehn Millionen Menschen in Chinas privatem Nachhilfesektor beschäftigt, viele von ihnen mit Hochschulabschluss.
"Xis hartes Durchgreifen hat diesen Sektor massiv erschüttert", sagte Diana Choyleva, Chefvolkswirtin bei Enodo Economics in London, gegenüber der DW. "Auch wenn Nachhilfejobs nicht vollständig wegfielen, wurden sie doch viel instabiler und unzuverlässiger. So entfiel eine Möglichkeit für nicht ausgelastete Hochschulabsolventen, etwas gegen ihre verschlechterten wirtschaftlichen Perspektiven zu tun."
Junge Menschen meiden Arbeiterjobs
Ein weiteres Problem ist die Diskrepanz zwischen Erwartungen und Realität. Junge Menschen meiden nach wie vor Arbeiterjobs und streben nach gut bezahlten Angestelltenstellen. Die Logik legt nahe, dass jüngere Menschen aufgrund ihrer Fitness und Beweglichkeit die große Mehrheit der Arbeiterschaft stellen müssten. Chinesische Medien zitierten jedoch im vergangenen Jahr eine Studie der Pekinger Capital University of Economics and Business, wonach etwa die Hälfte der 400 Millionen Arbeiter des Landes über 40 Jahre alt ist.
"Handwerkliche oder technische Fähigkeiten sind oft sehr gefragt, aber diese Berufsfelder und Jobs werden [von jungen Arbeitnehmern] als weniger erstrebenswert angesehen", sagte Nicole Goldin von der Denkfabrik Atlantic Council in Washington. Die chinesische Regierung habe zwar einige Anreize und Reformen im Bildungssystem eingeführt, um diese strukturellen Probleme anzugehen, "aber es wird einige Zeit dauern, bis das wirkt", fügte sie gegenüber der DW hinzu.
Mehr Chips als Arbeitskräfte benötigt?
Weil die Staats- und Parteiführung eine globale technologische Vormachtstellung Chinas anstrebt, wird die Wirtschaft stärker als in der Vergangenheit auf eine hochwertigere Wertschöpfung ausgerichtet. Riesige Investitionen in künstliche Intelligenz (KI), Chip-Produktion und grüne Energie sollen dazu beitragen, Chinas Abhängigkeit vom Westen zu verringern. Aber diese Sektoren brauchen nicht unbedingt viele neue Arbeitskräfte.
"Der Staat konzentriert sich auf aufstrebende Sektoren wie KI und Elektrofahrzeuge, die klein und nicht arbeitsintensiv sind und nur begrenzt Arbeitsplätze schaffen", so Li von Global Counsel. "Dadurch werden Innovationen und technologische Durchbrüche unterdrückt - ironischerweise genau das, worauf Peking setzt, um künftig Chinas Wachstum voranzutreiben."
Die anhaltenden Handelsspannungen mit dem Westen setzten auch die chinesische Exportindustrie unter Druck, so Li. Denn "hochwertige Aufträge aus dem Westen, der weniger stark von China abhängig sein will, müssen mit Aufträgen von geringerem Wert aus dem globalen Süden ersetzt werden." Das wirke sich auch auf die Beschäftigung aus.
Keine Lust auf Selbstausbeutung
Mittlerweile ist der Arbeitsmarkt in der Gig-Economy, die durch digitale Plattformen für Essenslieferungen, die Vermittlung von Mitfahrgelegenheiten oder die Arbeit von Influencern auf sozialen Medien geprägt ist, mehr als gesättigt. Etwa 200 Millionen Chinesen verdienen ihren Lebensunterhalt mit dieser Art von prekären Tätigkeiten und viele junge Menschen haben den Versuch aufgegeben, sich in der Hoffnung auf einen besseren Job noch mehr abzurackern.
"Wohlhabendere Jugendliche sind wohl eher an mehr Bildung interessiert, und viele entscheiden sich dafür, 'flach zu liegen'", sagte Goldin. Damit ist eine wachsende soziale Bewegung gemeint, die in Mandarin als Tang Ping bekannt ist und in der junge Menschen den gesellschaftlichen Druck ablehnen, übermäßig viel zu leisten. Sie streben ein weniger materialistisches Leben an."
Sie beschreibt auch, wie eine wachsende Zahl junger Chinesen zu "hauptberuflichen Kindern oder Enkeln" wird, die ältere Angehörige pflegen - eine Aufgabe, die aufgrund der alternden Bevölkerung und steigender Kosten immer wichtiger wird.
Unternehmer sind zunehmend risikoscheu
Indem Xi so rigoros im Privatsektor durchgegriffen hat, hat er Investitionen in Start-ups abgewürgt und die Risikobereitschaft junger Unternehmer im Keim erstickt. Wie die britische Wirtschaftszeitung Financial Times diese Woche berichtete, ist die Zahl chinesischer Neugründungen in den letzten sechs Jahren um 97 Prozent zurückgegangen - von über 51.000 im Jahr 2018 auf rund 1200 im vergangenen Jahr.
Diana Choyleva von Enodo Economics erklärte gegenüber der DW, dass Unternehmer und Risikokapitalfirmen aufgrund strenger neuer Vorschriften, die den privaten Sektor zwingen, sich an den Werten der Kommunistischen Partei auszurichten, "extrem vorsichtig" geworden sind, was ihrer Meinung nach einen "ernsten Widerspruch zur Agenda der Regierung" darstellt.
"Wie kann der private Sektor Innovationen vorantreiben, wenn Unternehmer nicht bereit sind, das Risiko einer Unternehmensgründung einzugehen? Langfristig gehen Unternehmen verloren, die in großem Umfang junge Menschen hätten beschäftigen können, und die Multiplikatoren-Effekte, die sie für das Land hätten haben können", sagte sie.
"Wenn China auf dem Weg ist, die USA als größte Volkswirtschaft der Welt zu überholen, müssen junge Talente eine entscheidende Rolle dabei spielen, solch ein Wachstum anzutreiben", bestätigte Nicole Goldin vom Atlantic Council.
"Die hohe Jugendarbeitslosigkeit schadet der Produktivität und erschwert Chinas Fähigkeit, im globalen Wettbewerb mitzuhalten. Diese jungen Arbeitslosen werden nicht in der Lage sein, sich in die Mittelschicht hochzuarbeiten. Das wirkt sich negativ auf den Konsum aus und hat potenziell destabilisierende gesellschaftliche Folgen, die das Wachstum weiter behindern", warnte sie.
Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert