China trumpft auf der IAA groß auf
14. September 2019Noch vor wenigen Jahren wurden Autos "Made in China" im Westen belächelt: plumpes Design, katastrophale Crashtest-Ergebnisse und schlampige Verarbeitung - so fiel die vernichtende Kritik damals aus. Mittlerweile aber strömen Fachbesucher und Medienvertreter in Scharen auf die Messestände chinesischer Hersteller wie Byton, Wey oder Hongqi, wenn die ihre neuen Modelle auf der IAA präsentieren. Alle drei Marken sind in diesem Jahr in Frankfurt vertreten und präsentieren mit ihren rein elektrischen Modellen oder Plug-in Hybriden, wie weit sie bei Design und Technik aufgeholt haben.
Dabei verfolgt Byton den radikalsten Ansatz. Die E-Automarke, die es erst seit wenigen Jahren gibt, hat ihre Wurzeln in China. Das internationale Team um den deutschen Vorstandschef Daniel Kirchert hat aber von Anfang an den globalen Markt für Edel-Limousinen und -SUVs im Blick. "Es gehört ein gewisser Grad an Mut und Verrücktheit dazu, so etwas zu machen, was wir gemacht haben", erinnert sich Kirchert an die Anfänge von Byton im DW-Interview. "Im Prinzip haben wir uns vor dreieinhalb Jahren entschieden, auf einem weißen Blatt Papier zu starten. Und der Grund, warum wir glauben, eine Chance zu haben, wenn wir gegen die etablierte Industrie antreten, ist nicht nur, dass wir momentan sehen, wie die Industrie sich komplett elektrifiziert", sagt Kirchert, "sondern, weil wir wirklich auf Connectivity setzen, darauf, dass unser Fahrzeug selber ein Connected Device wird und das ein Riesentrend ist."
Vernetzte Mobilität aus der Cloud
Die Vision: Ganz gleich, wo sich ein Fahrer in Zukunft ins Cockpit eines Byton setzt, werden Präferenzen wie Sitzeinstellung, Telefonkontakte oder Musik-Playlisten automatisch vom System erkannt und eingestellt. Die dafür nötigen Daten sollen aus einer firmeneigenen Cloud kommen. Geht es nach den Byton-Machern, werden die Geschäftsreisenden der automobilen Zukunft ihren Byton abends in Frankfurt am Flughafen abstellen und elf Stunden später in Shanghai in ein anderes Auto der Marke einsteigen, das sich dann sofort auf die Präferenzen des Mobilitäts-Kunden einstellt. Die Interaktion erfolgt über Kameras, Sensoren und das mehr als ein Meter breite Riesen-Display im Fahrzeug.
Dass - anders als bei der Great Wall Motors-Tochter Wey oder der Marke Hongqi des Staatskonzerns First Automotive Works (FAW) - bei Byton kein traditioneller Autokonzern im Hintergrund steht, sieht Kirchert durchaus als Vorteil: "Ich glaube, wir als Start-up haben den Riesenvorteil, auf einer grünen Wiese anfangen und eine neue Kultur kreieren zu können."
Diese grüne Wiese liegt am Rand der chinesischen Metropole Nanjing rund 300 Kilometer nordwestlich von Shanghai. Dort entstehen die rein elektrischen Fahrzeuge, die ab Sommer 2020 in China ausgeliefert werden sollen. Ein knappes Jahr später soll das SUV-Modell M-Byte (Artikelbild) in den USA und Europa zu haben sein - Kostenpunkt: 45.000 Euro plus Mehrwertsteuer.
Internationales Team
Seit Byton sein Konzeptauto 2018 auf der CES in Las Vegas präsentierte, hat das Unternehmen immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Damals war Ex-BMW-Manager und Byton-Mitgründer Carsten Breitfeld noch dabei, der Anfang 2019 von Bord ging. Auch Daniel Kirchert, der seit mehr als zwei Jahrzehnten in China lebt und fließend Chinesisch spricht, hat eine BMW-Vergangenheit. Chefdesigner Benoît Jacob kam über Stationen bei Renault, VW, Audi und BMW zu Byton. Einer seiner bekanntesten Entwürfe ist der rein elektrische BMW i3. Genauso wie Jacob, der bis heute sein Design-Büro in München hat, mussten auch die Software und Interface-Entwickler von Byton nicht nach China umziehen.
CEO Kirchert betont immer wieder diesen globalen Ansatz des Unternehmens: "Wir sind kein klassischer chinesischer Hersteller. Wir sind ein globales Team. Wir haben viele Deutsche, viele Amerikaner, mehr als 30 Nationalitäten." Byton habe seine Zentrale in China gewählt, weil dort die besten Rahmenbedingungen für solche Projekte herrschten, unterstreicht er. Dort gebe es genug Kapital und die nötige Unterstützung durch Staat und Behörden. "Aber ohne das Designzentrum in München, wo der M-Byte in der frühen Phase entwickelt wurde, und das Entwicklungszentrum im Silicon Valley hätten wir das nie geschafft. Wir haben eine globale DNA."
Die Mitarbeiter im kalifornischen Santa Clara und die Auto-Profis aus München sollen auch künftig die Visionen für vernetzte Elektro-Autos und autonomes Fahren à la Byton liefern, die dann in Nanjing von Kuka-Robotern und chinesischen Arbeitern zusammengeschraubt werden.
Beste Verbindungen nach Peking
Für Daniel Kirchert ist das Byton-Projekt die ideale Verschmelzung zweier Welten: "Unser ganzes Interieur, der große Bildschirm, das Touchpad im Lenkrad und so weiter, wurde von einem Team gemacht, das aus Tech-Leuten besteht, die von Apple, Google und anderen Internetunternehmen kommen, und der traditionelle Teil des Autos sowie das Design von sehr erfahrenen Automobil-Leuten. Das haben wir kombiniert. Ich glaube, da ist es manchmal gar nicht so schlecht ein Startup zu sein."
Doch trotz aller Vergleiche mit hippen Start-ups aus dem Silicon Valley oder Berliner Hinterhöfen ist der chinesische DNA-Anteil am Byton-Projekt nicht zu übersehen: Mit dem Staatskonzern FAW, der nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg einer der Hauptinvestoren bei Byton ist, sitzt ein mächtiger Akteur mit direktem Draht in die Spitze der Staats- und Parteiführung mit im Boot.
Das und die Tatsache, dass der Name der FAW-Tochter Hongqi "Rote Fahne" bedeutet und seit den Zeiten des großen Vorsitzenden Mao Zedong die Staatskarossen für die Nomenklatura der Volksrepublik produzierte, passt dann allerdings nicht mehr so perfekt in die innovative Byton-Saga.