China treibt Korridor durch Pakistan voran
5. Juni 2017Vieles an Chinas gigantischer Initiative für eine "Neue Seidenstraße", die seit neuestem als "Road and Belt Initiative" (BRI) firmiert, mag noch undeutlich sein und nach Zukunftsmusik klingen. Aber zumindest eine Route des vielfältig verzweigten Projektes, nämlich diejenige, die vom Südwesten Chinas durch Pakistan zum Indischen Ozean führt, nimmt immer konkretere Formen an. China will in diesen sogenannten Chinesisch-Pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) bislang umgerechnet rund 57 Milliarden US-Dollar investieren.
Drei Vereinbarungen, die Pakistan und China noch kurz vor dem Pekinger Seidenstraßen-Gipfel unterzeichneten, geben einen Hinweis auf Chinas Priorität im Rahmen des Wirtschaftskorridors, nämlich Handel und Warentransport. Rund 500 Millionen US-Dollar sollen demnach in die moderne Verkehrsanbindung der Hafenstadt Gwadar per Luft und zu Lande fließen sowie in die Errichtung des Warenumschlagplatzes Havelian nördlich von Islamabad.
Sicherheitsfragen
Drei Projekte - ein Motiv: China will den Hafen Gwadar, dessen Eigentümer es bereits ist, mit Nachdruck für den Warentransport aus und nach seinen westlichen Regionen nutzen. Dazu wird die östliche der verschiedenen Routen des Wirtschaftskorridors durch Pakistan zuerst ausgebaut, nicht zuletzt weil sie als die vergleichsweise sicherste Route gilt. (s. Infografik)
Dass die westliche Route, die durch die Provinz Belutschistan führt, besonders gefährlich ist, haben jüngst wieder zwei Überfälle gezeigt. 13 pakistanische Straßenbauarbeiter wurden von Unbekannten ermordet. Von dem Sicherheitsproblem will China sich aber nicht abschrecken lassen: Zum einen hat die pakistanische Armee eine Sondertruppe zum Schutz der chinesischen Arbeiter und Experten aufgestellt, zum anderen sollen auch diverse Sicherheitsvorkehrungen Bestandteil des CPEC-Projekts sein.
China und das "Malacca-Problem"
Südasien-Experte Christian Wagner von der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) erläutert gegenüber der DW die Strategie Chinas: "China geht es in erster Linie um Zugang zum Indischen Ozean. Man will die Zugangswege nach China diversifizieren. Die chinesische Führung hat ja schon seit Jahren das sogenannte 'Malacca-Problem' beklagt, dass also der ganze chinesische Seehandel durch die Straße von Malacca in Südostasien verläuft, die im Krisenfall relativ leicht blockiert werden kann. Mit der "Belt-and Road" Initiative " sollen neue Absatzwege nach Europa geschaffen, Überkapazitäten der chinesischen Wirtschaft ausgelagert und eine Diversifizierung der Transportwege nach China erreicht werden."
Neben dem Ausbau der Handelsverbindungen über Gwadar geht es bei CPEC vor allem um drei weitere Investitionsfelder: Erstens, den Bau und die Modernisierung von rund 20 Kraftwerken in dem von chronischen Stromausfällen geplagten Land. Dabei kommt vor allem Kohlekraft zum Einsatz - unter Nutzung der riesigen Vorkommen im Südosten Pakistans -, zu einem geringeren Anteil auch erneuerbare Energien. Allein 33 Milliarden der rund 57 Milliarden US-Dollar sollen in den Kraftwerksbau fließen. Zweitens sollen Straßen- und Eisenbahnverbindungen geschaffen werden, an denen sich, drittens, Sonderwirtschaftszonen etablieren sollen, mit Investitionen unter anderem in die Zement- und Textilindustrie.
Aber auch die Landwirtschaft ist im Fokus der chinesischen Planer, wie die pakistanische Zeitung "Dawn" unlängst berichtete. Die gesamte Wertschöpfungskette angefangen beim Saatgut über Düngemittel und Pestizide bis zur Veredlung, Lagerung und Distribution soll für chinesische Investoren in das pakistanische Agrobusiness offen stehen – ein Sektor, über den offiziell bislang so gut wie nichts an die Öffentlichkeit drang.
Welcher Nutzen unterm Strich für Pakistan?
Die Frage aus pakistanischer Sicht ist: Was kommt für das Land bei der chinesischen Investitionsoffensive herum? Pakistan müsste nach Einschätzung von Ökonomen ein dauerhaftes Wachstum von etwa sechs Prozent über fünf Jahre aufweisen, damit die Bevölkerung einen merklichen Schritt aus der Armut machen kann. Die Hoffnungen klammern sich an China, um eben ein solches Wachstum zu erreichen.
Aber das Ganze ist eine "gigantische Wette auf die Zukunft", sagt Christian Wagner und verweist auf das Beispiel Sri Lanka: "Dort hat China in den letzten Jahren massiv investiert, was die Verschuldung Sri Lankas mittlerweile in atemberaubende Höhen getrieben hat. Und genau deshalb gibt es natürlich in Pakistan mittlerweile auch deutliche Kritik, weil man nicht weiß, ob die erhofften wirtschaftlichen Gewinne, die man sich von dem Korridor verspricht, ausreichen werden, um die finanziellen Verpflichtungen gegenüber China zu erfüllen."
Wagner verweist darauf, dass die Chinesen die Kredite nicht zu Sonderkonditionen vergeben. Und auf Berichte in der pakistanischen Presse, dass die Regierung den chinesischen Investoren Eigenkapitalrenditen von über 20 Prozent zugesagt hat. "Das muss natürlich an irgendeiner Stelle in Pakistan erwirtschaftet, vom pakistanischen Verbraucher in Form von höheren Strom- und Energiepreisen aufgebracht werden." Gleichzeitig erhoffe man sich in Pakistan die Schaffung von Arbeitsplätzen. "Hier wird man abwarten müssen, bis solche Wirtschaftszonen in Betrieb sind, um zu sehen, welche Beschäftigungseffekte sich ergeben", sagt Wagner. "Ich würde davon ausgehen, dass das Projekt sicherlich positive Effekte hat, auch zum Nutzen Pakistans."
Gewollte Intransparenz
Auch Khurram Husain von der pakistanischen Zeitung "Dawn" hält es für durchaus möglich, dass Pakistan, insbesondere der unproduktive Agrarsektor, durch die geplanten chinesischen Investitionen profitieren kann. Aber er äußerst sich gegenüber der DW kritisch zur Intransparenz, die das Projekt umgibt: "Die pakistanische Regierung kommt offenbar dem Wunsch der chinesischen Seite entgegen, keine allzu detaillierten Informationen über das Projekt bekanntzugeben."
Rücksicht auf China sei auch bei den Rahmenbedingungen erkennbar, sagt Husain: "Ich stimme der Einschätzung zu, dass mit Blick auf chinesische Investoren spezielle Bedingungen geschaffen wurden, insbesondere im Energiesektor. Hier wurde fairer Bieterwettbewerb ausgeschlossen, und es wurden eine Reihe von Vorzugsbehandlungen speziell für chinesische Investoren geschaffen."
Harsche Kritik aus Indien
Besonders von indischer Seite wird das Szenario von Pakistan als einer künftigen chinesischen Provinz oder eines chinesischen Vasallenstaats an die Wand gemalt. Nicht überraschend, denn die durch den Korridor jetzt nochmals verstärkte traditionelle militärische und politische Bindung Pakistans an China facht natürlich das Misstrauen des Rivalen Indien an. Indien hatte die Teilnahme am Seidenstraßen-Gipfel in Peking abgelehnt. Begründung: Der nördliche Teil des Korridors führe durch den pakistanischen Teil Kaschmirs, der auch von Indien beansprucht wird. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters begründete der außenpolitische Berater von Premierminister Narendra Modi, Ram Madhavs, den indischen Standpunkt folgendermaßen: "Kein Land macht Kompromisse in Fragen der nationalen Souveränität, um Wirtschafts- und Handelsvorteile zu erlangen." Zum Beleg verweist Madhav auf China, das nicht zögere, andere Länder zu bedrohen, auch wenn es um noch so entlegene Fragen seiner nationalen Souveränität geht.
Beilegung des Kaschmir-Konflikts als Nebenwirkung?
Ausgerechnet im Kaschmir-Konflikt zwischen Pakistan und Indien könnte aber der chinesische Wirtschaftskorridor auf lange Sicht eine Lösung erleichtern, meint Südasien-Experte Wagner. Denn China sei an Sicherheit und an einer Stabilisierung des Status quo interessiert - aöso an einer allgemein anerkannten Teilung Kaschmirs in einen pakistanischen und einen indischen Teil. Pakistan dagegen hält daran fest, dass die Kaschmir-Frage unter internationaler Beteiligung gelöst werden muss.
Wenn nun die chinesischen Investitionen im pakistanischen Kaschmir umgesetzt werden und auch der lokalen Bevölkerung zugute kommen, würde das deren Wunsch verstärken, dass ihre bisherige Region Gilgit-Baltistan zu einer Provinz im pakistanischen Staat aufgewertet wird, erläutert Wagner. "In dem Moment, in dem Pakistan seinen Teil Kaschmirs zu einer Provinz im pakistanischen Staat macht, macht es im Prinzip die gleiche Politik wie die indische Regierung. Damit würde Pakistan seine internationale Haltung in der Kaschmir-Frage aufgeben und damit wäre der Kaschmir-Konflikt auf internationaler Ebene de facto beigelegt."