China träumt von "grüner Zukunft"
3. März 2021Anders als erwartet hat Chinas Ministerpräsident Li Keqiang zur Eröffnung des Volkskongresses doch wieder die traditionelle Übung der Verkündung eines offiziellen Wachstumsziels aufgegriffen. Angestrebt werde eine Wachstum von "über sechs Prozent". China konnte die Pandemie relativ früh und nachhaltiger als die meisten anderen Länder unter Kontrolle bekommen, so dass sich die eigene Wirtschaft schnell erholt hat. Die Folgen der Pandemie für die Weltwirtschaft und die weitere Entwicklung des Handelskonflikts mit den USA bergen allerdings noch viele Unwägbarkeiten.
Im Fokus der chinesischen Wirtschaftsplaner steht dementsprechend die Stärkung der Inlandsnachfrage. Diese Frage beschäftige die Regierung in Peking schon seit langem, erklärt Caroline Meinhardt, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berliner China-Forschungsinstitut Merics. "Langfristig steht die Regierung vor der Herausforderung, dass eine deutliche Stärkung des nachfrageorientierten Wachstums eine erhebliche Umverteilung der Einkommen auf normale Haushalte erfordern würde." Ihr Kollege bei Merics, Nis Grünberg, ergänzt: "Der Fokus der nächsten Jahre wird die Stärkung der eigenen Wirtschaft und Industrie sein, und der Ausbau der sozialen Systeme, besonders in den Bereichen Gesundheit und Bildung."
Technologische Unabhängigkeit
Der Ausbau einheimischer Innovationen und Investitionen in Zukunftstechnologien steht ebenfalls im Fokus. Im Zuge des Handelskriegs mit den USA hat China schmerzhaft seine Abhängigkeit von internationalen Zulieferern bei Hightech-Komponenten wie Halbleitern erfahren. "Momentan ist China noch weit davon entfernt, technologisch unabhängig zu werden", erklärt Caroline Meinhardt. "Dank enormer staatlicher Unterstützung und privater Investitionen wird China voraussichtlich in manchen Teilbereichen in den kommenden Jahren bedeutende Erfolge erzielen. Doch wie unabhängig China tatsächlich sein kann, hängt unter anderem davon ab, ob und wie amerikanische Exportkontrollen verschärft werden und chinesische Unternehmen ohne Zugang zu ausländischen Technologien ihre bestehenden Know-how-Lücken schließen können."
"Historischer Sieg über die Armut"
Nochmals dürfte auf der NVK-Sitzung der schon Ende 2020 verkündete Sieg bei der Armutsbekämpfung gefeiert werden. Offiziell konnten alle Gemeinden ihre Bevölkerung aus der absoluten Armut befreien. Die Grenze liegt nach chinesischer Definition bei 4000 Yuan pro Jahr oder elf Yuan (1,70 US-Dollar) am Tag, was etwas niedriger als die offizielle Grenze der Weltbank (1,90 US-Dollar) ist. Der Sieg über die Armut fällt wie geplant in das 100. Jahr der Gründung der KPCh 1921. "Jetzt gilt es allerdings, die Hunderte Millionen Chinesen, die in prekären wirtschaftlichen Regionen und Beschäftigungsverhältnissen leben, auf einen Mittelschichtstandard zu heben, und die wachsende Ungleichheit zu bekämpfen", sagt Nis Grünberg von Merics. "Mehr Investitionen in Bildung und die Förderung von Arbeitsplätzen, auch außerhalb von urbanen Zentren, werden notwendig sein, um den erreichten Standard zu halten."
Ähnlich argumentiert der in Peking arbeitende Politologe Wu Qiang. Mit Blick auf den Fünfjahresplan werde es auch darum gehen, "die Machtverhältnisse zwischen der Zentralregierung und den Provinzen zu ordnen, die Verteilung der Ressourcen zu regeln und die regionale Diskrepanz bei der wirtschaftlichen Entwicklung auszugleichen."
Grüner Umbau Chinas
Dieser Aspekt ist auch für eine weiteres Ziel relevant, das ganz oben auf der Prioritätenliste der der chinesischen Führung steht: Der Umbau der Wirtschaft zur klimaneutralen Produktion und Energieerzeugung. Denn die weitgespannten Ziele der KP-Führung stehen bisweilen im Widerspruch zu Prioritäten der Provinzen, wo immer noch neue Kohlekraftwerke ans Netz gehen.
Laut einem Rundschreiben des Staatsrates vom 22. Februar soll der angestrebte "grüne Umbau" Chinas in den Bereichen herstellendes Gewerbe, Verkehr und Konsum bis 2025 "erste Gestalt" angenommen haben. Und bis 2035 soll der Umfang der "grünen Industrie" ein ganz neues Niveau erreicht haben, alle energieintensiven und umweltschädlichen Industriebranchen von der Stahl- bis zur Papiererzeugung müssen bis dahin auf "grüne" Produktionsweisen umstellen.
Die China-Experten von Merics nennen drei Gründe, warum man die angekündigte "Ergrünung" Chinas ernst nehmen müsse: Erstens sehe die KP-Führung ihre Macht und Legitimität langfristig nur bei einer nachhaltigen Wirtschaft und gesunden Umwelt gewährleistet. Zweitens habe der Handelskonflikt mit den USA der Führung die Notwendigkeit einer effizienten und nachhaltigen Energie- und Nahrungsmittelversorgung aus eigenen Quellen vor Augen geführt. Drittens bietet die massive Investition in grüne Produktion und grünen Konsum China die Aussicht auf technologische Weltführerschaft.
Weitere Verschärfung in Hongkong erwartet
Die Klimapolitik ist das einzige Gebiet, auf dem Xi Jinping derzeit auf internationaler Bühne, jedenfalls im Westen, Freunde gewinnen kann. Ganz anders als bei seinem Vorgehen in Hongkong, das im Westen scharf kritisiert wird. Im Juni 2020 hatte der Ständige Ausschuss des NVK das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz für Hongkong verabschiedet. Seitdem werden immer mehr Demokratieaktivisten unter der Beschuldigung, gegen eine oder mehrere seiner weitreichenden Bestimmungen verstoßen zu haben, vor Gericht gestellt.
Aber das ist Peking offenbar noch nicht genug, um den Zugriff auf die Finanzmetropole zu verstärken. Xia Baolong, Direktor des Staatsratsbüros für Hongkong- und Macao-Angelegenheiten, betonte kürzlich, Hongkong müsse von "Patrioten" regiert werden. Daher vermuten Beobachter wie Wu Qiang, eine Überarbeitung des Wahlrechts sei auf den Weg gebracht worden: "Die Niederlage des Pro-Peking-Lagers bei der Wahl der Bezirksräte im November 2019 hatte die chinesische Führung schockiert. Seitdem versucht man mit Eingriffen in das Wahlsystem von Hongkong Ergebnisse zu Ungunsten von Peking zu verhindern."
Mit Hinweis auf die Pandemie wurde die Wahl des Legislative Council, also des Hongkonger Parlaments, um mehr als ein Jahr auf spätestens Anfang Dezember 2021 verschoben. Mehreren Abgeordneten wurde bereits wegen ihrer oppositionellen Aktivitäten das Mandat entzogen.
Im Schatten der Pandemie
Mit der rigorosen Isolierung von Infektionsherden sowie strikten Einreisesperren und Quarantäneauflagen konnte China die Zahl von Neuinfektionen auf einem überschaubaren Niveau halten. Für die meisten Chinesen scheint die Krise längst vorbei zu sein. Nach Einschätzung des Pekinger Experten Wu Qiang ist die Pandemie jedoch nach wie vor eine Herausforderung für die chinesische Führung. "Die Pandemie bleibt ein großes Thema. In den letzten Wochen wurden zur Vorbereitung der NVK-Sitzung die Kontrollen an den Zufahrtsstraßen nach Peking nochmals verschärft. Die zusätzlichen Schutzmaßnahmen für die Delegierten zeigen, dass man große Angst vor einem neuen Ausbruch hat."
Die knapp 3000 Delegierten müssen sich vor der Reise nach Peking und während ihres Aufenthalts mehreren PCR-Tests unterziehen, täglich wird die Körpertemperatur gemessen. Sie dürfen sich praktisch nur im Hotel und in der Großen Halle des Volkes, dem Sitzungsort, aufhalten. Eine Covid-19-Impfung wurde ihnen "empfohlen".