Marktwirtschaft als Statussymbol
17. April 2016Am 11. Dezember 2001 ist die Volksrepublik China der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten. Dass sich eine so wichtige Volkswirtschaft wie die chinesische den WTO-Regeln unterwirft, bedeutet für den Welthandel einen Riesenerfolg. Für China selber und für seine Handelspartner war es aber von Anfang an ein zweischneidiges Schwert. Die drastische Senkung der Einfuhrzölle setzte chinesische Unternehmen unter Druck; andere Länder hatten wiederum Angst, von Waren "Made in China" überschwemmt zu werden. So wurden Sonderregelungen und Übergangsfristen während der Beitrittsverhandlungen eingebaut, um möglichen Handelskonflikten vorzubeugen.
Eine Sonderregelung besteht darin, dass China in einem Zeitraum von 15 Jahren der Status der Marktwirtschaft nicht zuerkannt wird. Das hat den Vorteil, dass die Handelspartner leichter Anti-Dumping-Verfahren gegen chinesische Unternehmen einleiten und die Strafzölle auf chinesische Produkte höher ansetzen können.
Nun sind die 15 Jahre bald vorbei. Wird China automatisch als Marktwirtschaft eingestuft? Das behaupten die Chinesen. Ganz eindeutig ist das nicht, denn einen solchen Fall hat es vorher nicht gegeben. Die USA werden es China nicht so leicht machen. In der EU ist eine Diskussion darüber entbrannt.
Automatisch oder eine Verhandlungssache?
Zwar ist die Volksrepublik mit ihren Fünfjahresplänen und den ganzen Staatsunternehmen sicherlich keine lupenreine Marktwirtschaft - dennoch plädiert Rolf Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft dafür, den Chinesen diesen Status endlich zu gewähren. Denn auch viele andere WTO-Mitglieder würden einer genauen Prüfung nicht standhalten. So sind Saudi-Arabien und Russland nach China der WTO beigetreten und sofort als Marktwirtschaft anerkannt worden. Der Unterschied zu China sei, dass diese Länder nichts anderes als Rohstoffe anzubieten hätten, meint Langhammer. Mit anderen Worten: Von diesen Ländern haben die etablierten Industrienationen wenig zu fürchten.
Ganz anders China. Das Land ist mehr und mehr zur Werkbank für die Welt geworden. Gleichzeitig steigt die Zahl der Dumping-Klagen gegen China. Viele Wettbewerber sehen sich durch die niedrigen Preise aus Fernost in ihrer Existenz bedroht.
Überkapazität vor allem in der Stahlbranche
Besonders groß ist der Unmut in der Stahlbranche der EU. Die Konzerne werfen China vor, den Weltmarkt zu überfluten, weil es Überkapazitäten in der Produktion hat. Tatsächlich wurde die Stahlindustrie in den vergangen Jahren mächtig aufgebläht - eine Folge der Konjunkturpakete und der lockeren Geldpolitik. So wurde China 2015 mit über 800 Millionen Tonnen mit Abstand der weltgrößte Stahlproduzent. Japan als Zweitplatzierter kommt gerade mal auf knapp ein Achtel der chinesischen Produktionsmenge.
Da die Nachfrage in China nicht mehr so stark steigt wie in der Vergangenheit, versuchen die Asiaten ihren überschüssigen Stahl woanders loszuwerden. Die Stahl-Lobbyisten in Europa laufen deswegen Sturm gegen eine Anerkennung Chinas als Marktwirtschaft, da die Hürden für Anti-Dumping-Verfahren dann höher liegen und die Strafzölle für chinesische Stahlprodukte niedriger ausfallen würden.
Rolf Langhammer möchte die Probleme in der Stahlbranche nicht nur China anlasten: "Die Stahlindustrie ist eine Industrie mit hohen zyklischen Ausschlägen. In der guten Zeit, zwischen 2000 und 2008, sind überall Stahlwerke hochgezogen worden, denken Sie an das Stahlwerk von Thyssen-Krupp in Brasilien." Nun sei das Werk durch den Wechselkurs nicht mehr wettbewerbsfähig.
Hinreichend Instrumente gegen Dumping-Preise
Wenn chinesische Stahlunternehmen tatsächlich versuchen sollten, über Dumping-Preise auf dem Weltmarkt andere zu verdrängen, "dann gäbe es hinreichend Instrumente dagegen, auch dann, wenn China den Marktwirtschaftsstatus bekommt", sagt Langhammer der Deutschen Welle. Als eine Möglichkeit nennt er "price undertaking". Das heißt, das Unternehmen, dem Dumping vorgeworfen wird, kann durch eine freiwillige Preiserhöhung einer Klage zuvorkommen. Dieses Instrument wurde bereits genutzt, vor allem in der Solarbranche. Da zeigten sich chinesische Firmen durchaus kooperativ.
Wenn sie keine Einsicht haben sollten, wären Anti-Dumping-Klagen auch möglich, selbst wenn ihr Land den Titel der Marktwirtschaft verliehen bekommt. Der Unterschied besteht darin, dass gegen Länder ohne diesen Status schneller Anti-Dumping-Verfahren eingeleitet werden können - man braucht lediglich ein Vergleichsland; mit einer marktwirtschaftlichen Volkswirtschaft muss zuerst kommuniziert werden, bevor eine Klage erhoben wird.
Genau darin liegt der Charme, denn dadurch gewinne man mehr Einfluss auf das Preisgebaren der chinesischen Unternehmen, meint der Ökonom aus Kiel. Ein anderer Unterschied ist, dass gegen China höhere Strafzölle erhoben werden können, solange die Statusfrage noch nicht geklärt ist. So sind in den USA teilweise Schutzzölle von mehr als 250 Prozent auf chinesische Stahlimporte eingeführt worden.
Des einen Leid ist des anderen Freud
Die niedrigen Stahlpreise erzeugen nach Meinung von Langhammer aber nicht nur Verlierer. Zu den Profiteuren gehörten die Weiterbearbeiter von Stahl, zum Beispiel die Automobilindustrie und die unmittelbaren Verbraucher.
Der Preis-Konflikt mit chinesischen Firmen wird sich auch dadurch entschärfen, dass dort die Löhne und Gehälter weiter steigen werden.
China zu einer marktgerechten Preissetzung zu ermutigen und auf dem Weg dahin zu begleiten, das hält Rolf Langhammer für vernünftiger als dem Land den Marktwirtschaftsstatus zu verweigern - und es dadurch zu isolieren.