SIPRI: China ist zweitgrößter Waffenproduzent
27. Januar 2020Dass China im großen Stil Waffen und Rüstungsgüter produziert, ist Experten seit längerem klar. Für eine genauere Einschätzung des Umfangs der chinesischen Rüstungsindustrie fehlten dem Stockholmer Institut SIPRI aber verlässliche Daten - bis jetzt. In einer neuen Analyse kommen die Friedensforscher zu dem Schluss, dass chinesische Unternehmen zwar weniger Rüstungsgüter als US-Konzerne herstellen, dafür aber mehr als die gesamte Rüstungsindustrie Russlands. Das ergebe sich aus den Daten der vier größten Rüstungskonzerne der Volksrepublik, von denen glaubwürdige Angaben vorlägen, teilte das SIPRI mit.
Es handelt sich um die erste umfassende Schätzung des chinesischen Waffensektors durch SIPRI - bislang hatte das Institut mangels transparenter Daten aus der Volksrepublik auf eine Einordnung von Chinas Rüstungsunternehmen im globalen Vergleich verzichtet. Nun werteten die SIPRI-Forscher erstmals verlässliche Daten der Jahre 2015 bis 2017 aus, um basierend auf Kennzahlen großer chinesischer Rüstungskonzerne verlässliche Schätzungen zu veröffentlichen.
Die vier untersuchten Konzerne verkauften demnach Rüstungsgüter im Umfang von insgesamt 54,1 Milliarden Dollar (49 Milliarden Euro), was mehr als 16 Milliarden Dollar über dem Wert der zehn größten russischen Unternehmen, aber weit unter den Zahlen der US-Konzerne liegt. Die vier Unternehmen sind "Aviation Industry Corporation of China" (AVIC), "China Electronics Technology Group Corporation" (CETC), "China North Industries Group Corporation" (NORINCO) und "China South Industries Group Corporation" (CSGC).
Drei Konzerne in den weltweiten Top 10
Verglichen mit den Waffenverkäufen der Konzerne aus anderen Ländern liegen alle vier chinesischen Konzerne unter den 20 weltweit größten Rüstungskonzernen des Jahres 2017. Drei davon ordnen sich gar in den Top 10 ein. Zu SIPRIs Top 20 zählten 2017 bisher elf amerikanische, sechs europäische und drei russische Konzerne.
Der vor allem auf Flugzeuge und Luftfahrtelektronik spezialisierte Konzern AVIC würde demnach mit einem Umsatz von 20,1 Milliarden Dollar (18,2 Milliarden Euro) auf dem sechsten Rang landen - hinter den vier US-Waffenschmieden Lockheed Martin, Boeing, Northrop Grumman und Raytheon sowie dem britischen Rüstungskonzern BAE Systems.
"Wir haben länger den Verdacht gehabt und geschätzt, dass Chinas Rüstungsindustrie sehr groß ist", sagte der SIPRI-Experte Nan Tian. Weil diese Werte äußerst unverlässlich gewesen seien, habe man in Stockholm aber bisher auf eine Veröffentlichung verzichtet. Durch den Fund neuer Quellen habe sich das nun verändert. Ab diesem Jahr sollen die chinesischen Zahlen somit auch erstmals in dem im Dezember erscheinenden SIPRI-Bericht zu den weltweiten Rüstungsverkäufen berücksichtigt werden.
Rüstungesverkäufe kaschiert
Chinas Rüstungsindustrie besteht laut den Forschern aus zehn großen Waffenkonzernen sowie einem Forschungsinstitut. Von vier dieser Unternehmen fanden sie Daten mit verlässlichen Finanzinformationen. In diesen Berichten waren die Rüstungsverkäufe zwar nicht explizit aufgelistet, konnten laut Tian aber dennoch schätzungsweise berechnet werden - meistens deutete die Verkaufskategorie "andere" in diesen Berichten auf Waffen oder Rüstungsgüter hin.
Der tatsächliche Wert der Waffenverkäufe der gesamten chinesischen Rüstungsindustrie dürfte noch etwas höher und insgesamt zwischen 70 und 80 Milliarden Dollar liegen, sagte Tian. Für ein vollständiges Bild müssten weitere Informationen zu den anderen sechs chinesischen Rüstungsunternehmen gefunden werden. Platz zwei unter den weltweiten Rüstungsproduzenten habe China aber bereits anhand der Werte der vier analysierten Konzerne sicher.
Größter Abnehmer der Güter ist dabei die Volksrepublik selbst. "Nahezu alle Waffen, die China produziert, werden im Inland vom chinesischen Militär gekauft", sagte Tian. Ein Grund dafür sei, dass Peking bei der Herstellung der Waffen und Technologien für sein Militär völlig unabhängig von anderen Staaten werden wolle. Zugleich gebe es einen langsamen Trend, wonach die Nachfrage aus dem Ausland nach chinesischer Rüstung steige. Bis China jedoch die Exportzahlen von Russland erreiche, sei es noch ein weiter Weg, sagte Tian.
SIPRI definiert Rüstungsverkäufe als Verkäufe militärischer Güter und Dienstleistungen an militärische Abnehmer im In- wie im Ausland. Die meisten als Rüstungsunternehmen bezeichneten Konzerne verkaufen neben Waffen und Rüstungsgütern auch andere Produkte für den zivilen Markt.
Rüstungsetat verzehnfacht
Chinas Militärausgaben erfassen die Friedensforscher schon länger. So belief sich zum Beispiel 2017 der Rüstungsetat auf schätzungsweise 228 Milliarden Dollar (206,7 Milliarden Euro). Im Jahr darauf waren es 250 Milliarden Dollar. Demnach gab die Volksrepublik 2018 fast zehn Mal mehr für ihre Streitkräfte aus als noch 1994.
Bereits ab den 1960er Jahren habe China erheblich in die Modernisierung seiner Waffenproduktion investiert, insbesondere seit 1999, erklärte SIPRI. Ziel sei es, die heimische Produktion fortgeschrittener Waffensysteme und Technologien zu fördern.
stu/uh (dpa, epd)