China-Geschäft für EU-Firmen immer schwieriger
21. Juni 2023Europäische Unternehmen empfinden das Wirtschaften in China als so schwierig wie noch nie. Als Investitionsstandort verliert die zweitgrößte Volkswirtschaft an Attraktivität, wie am Mittwoch aus einer Umfrage der Europäischen Handelskammer in China hervorging.
Die jährliche Umfrage, an der sich diesmal 570 Unternehmen beteiligt haben, wurde im Februar und Anfang März in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Roland Berger vorgenommen.
Das Geschäftsklima in China ist "so ziemlich das niedrigste, das wir je hatten", kommentierte der neue Präsident der Europäischen Kammer, Jens Eskelund, gegenüber Medienvertretern in Peking. Der dänische Maersk-Manager hatte Ende Mai den Top-Posten von seinem Vorgänger Jörg Wuttke übernommen.
Trotz des Endes des Null-Covid-Politik schwinde die Zuversicht in die wirtschaftlichen Aussichten in China. Auch leide die Profitabilität. Angesichts wachsender Risiken und eines unberechenbaren Umfeldes sagte eine Rekordzahl von 64 Prozent der befragten Firmen, dass es in China schwieriger geworden sei, Geschäfte zu betreiben. Dies sei ein Negativ-Rekord. Als Problem wurde ein eingeschränkter Marktzugang genannt, ebenso wie Beschränkungen durch Behörden.
Außerdem gebe es oft keinen fairen Wettbewerb zwischen einheimischen und ausländischen Unternehmen. Mehr als jeder vierte Betrieb klage über erzwungene Technologietransfers.
Fremdeln mit dem Standort China
Und ein Ende dieser Vertrauenskrise sei nicht in Sicht, betonte Kammer-Chef Eskelund: "Es ist gibt keine Erwartung, dass sich das regulatorische Umfeld in den nächsten fünf Jahren wirklich verbessern wird."
Als Konsequenz prüften die Unternehmen, "wie viele Eier sie in ihrem China-Korb behalten wollen", teilte die EU-Kammer in Peking bei der Vorlage der Ergebnisse mit. Elf Prozent hätten Investitionen schon aus China abgezogen. Zehn Prozent hätten bereits ihr Asien-Hauptquartier aus China verlegt oder planten eine Verlegung.
62 Prozent beklagten, wegen mangelnden Marktzugangs oder regulatorischer Hürden Geschäftsmöglichkeiten verpasst zu haben. Die Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gestiegen.
Eingriffe der Partei nehmen zu
Die chinesische Politik und geopolitische Spannungen beeinträchtigen zunehmend das Geschäft: 59 Prozent schilderten, dass das Umfeld politisiert sei - ein Zuwachs um neun Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. "Die Folgen der russischen Invasion in der Ukraine haben auch den Blick auf den chinesischen Markt verändert, indem sie Unternehmen gezwungen haben, ernsthaft darüber nachzudenken, ob oder wie sie im Falle einer Eskalation der Spannungen in der Taiwanstraße betroffen sein könnten", teilte die Kammer mit.
Peking betrachtet die demokratische Inselrepublik als abtrünnigen Teil der Volksrepublik und hat wiederholt mit einer Invasion gedroht. Taiwan war jedoch nie Teil der Volksrepublik und verfügt seit mehr als 70 Jahren über eine eigenständige Regierung. Auf der Insel werden der Großteil besonders hochwertiger Halbleiter für den Weltmarkt produziert. Als Schutzmacht liefern die USA seit Jahrzehnten Waffen an Taiwan und haben unter Präsident Joe Biden wiederholt unterstrichen, die Inselrepublik auch militärisch zu schützen.
Die massiven Auswirkungen auf internationale Lieferketten durch die knallharten Lockdowns der Führung in Peking während der Pandemie haben tiefe Spuren hinterlassen. So haben drei von vier europäischen Unternehmen ihre Lieferketten in den vergangenen zwei Jahren überprüft. 64 Prozent gaben an, sie widerstandsfähiger machen zu wollen. Fast ein Drittel nannte geopolitische Faktoren als Grund. Ein Viertel verwies aber auch auf politische Entwicklungen in China, das stärker auf eigene Industrieprodukte und Dienstleistungen setzt.
Mittlerweile haben zwölf Prozent der EU-Firmen Teile ihrer Lieferketten aus China abgezogen, wie die Umfrage weiter ergab.
Jede dritte Firma beklagt Umsatzeinbußen
Auch die Einnahmen laufen nicht mehr wie früher. 30 Prozent berichteten Umsatzeinbußen - dreimal mehr als im Vorjahr. Als einer der Gründe wurde das langsamere Wachstum in China genannt, das 2022 wegen Lockdowns und anderer Covid-Beschränkungen nur drei Prozent erreichte. Auch die Profitabilität ging zurück. Obwohl China im Dezember abrupt seine Null-Covid-Politik beendet hatte, blicken die Unternehmen heute nicht optimistischer in die Zukunft. Vielmehr sind nur noch 55 Prozent zuversichtlich - ein Rückgang um sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr, als in China noch Null-Covid galt.
"Erhöhte Herausforderungen für Geschäfte in China, geopolitische Spannungen sowie die Schwäche der chinesischen und globalen Wirtschaft haben Chinas Attraktivität als Investitionsziel untergraben", teilte die Kammer mit. Der Exodus von Ausländern, der durch die Null-Covid-Politik verstärkt worden war, wurde als weiteres Problem beschrieben. 16 Prozent haben gar keine Ausländer mehr in ihrem Unternehmen arbeiten - fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Kleine und mittelgroße Unternehmen sind besonders betroffen.
"All diese Faktoren gehen mit erheblichen Kosten einher, da die Mitgliedsunternehmen von einem verringerten Know-how-Transfer, von Schwierigkeiten in der Kommunikation und sogar der Notwendigkeit berichten, Investitionen zu verschieben", teilte die Kammer mit. "Die Diskrepanz zwischen den Unternehmenszentralen und den Betriebsrisiken in China schädigen weiter das Vertrauen in den chinesischen Markt weiter und lösen einen Teufelskreis des Rückzugs aus."
Exodus der Unternehmenszentralen?
In der Umfrage der Europäischen Kammer war Singapur mit 43 Prozent der Unternehmen, die ihren asiatischen Hauptsitz aus China verlegten, das wichtigste Ziel, gefolgt von Malaysia. Nur neun Prozent gingen oder planen nach Hongkong zu gehen.
Gleichzeitig glauben aber die meisten Firmen, dass China nicht zu schnell abgeschrieben werden sollte und die Regierung Maßnahmen anpassen könnte. 63 Prozent gaben an, ihre Investitionen in China hochfahren zu wollen, wenn bestehende Hürden aus dem Weg geräumt werden sollten.
Führende Politiker wie Premier Li Qiang, der als einer der obersten Wirtschaftsentscheider Chinas gilt, haben versprochen, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Ausländische Unternehmen beklagen aber, dass sie kaum konkrete Veränderungen sehen.
"Unsere Mitglieder sind nicht wirklich davon überzeugt, dass wir greifbare Ergebnisse sehen werden", sagte Eskelund.
Streitpunkt Spionagegesetz
Große Bauchschmerzen haben europäische Firmen, wenn es um den verschärften nationalen Sicherheitskurs der chinesischen Staats- und Parteiführung geht. Ende April hatte China sein Spionagegesetz geändert, um nicht mehr nur Staatsgeheimnisse, sondern auch sehr vage definierte "nationale Interessen" zu schützen. In den vergangenen Wochen hat auch eine Anti-Spionagekampagne gegen international tätige Beratungsunternehmen an Fahrt gewonnen. In einer koordinierten Aktion hatten Ermittler Büros in Peking, Shanghai, Shenzhen, Suzhou und anderen Städten durchsucht.
Die größte Sorge ist, dass Chinas Kommunistische Partei ihre Definition der nationalen Sicherheit auf immer mehr Bereiche der Wirtschaft, auf Lebensmittel, Energie und Politik ausweitet, so Eskelund.
"Was gilt als Staatsgeheimnis? Wo beginnt die Politik und wo hört die Geschäftswelt auf?" sagte Eskelund. Das "schafft Unsicherheit" darüber, "wo wir als normale Unternehmen agieren können".
tko/hb (dpa, rtr, AP, Europäische Handelskammer China)