Chavismus ohne Chávez
6. März 2013Drei Monate lang hatten Medien und Oppositionelle spekuliert, ob Hugo Chávez überhaupt noch am Leben sei. Am Dienstagabend (05.03.2013) bestätigte Nicolás Maduro, Vizepräsident und Chávez' designierter Nachfolger, den Tod des venezolanischen Staatschefs. Nun muss Maduro innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen anberaumen.
"Die Wahlen werden sehr bald stattfinden, damit die Regierung den Glanz der Figur Hugo Chávez für sich nutzen kann", meint der Politologe Leslie Wehner vom Hamburger Giga-Institut. Stefan Rinke von der Freien Universität Berlin teilt diese Auffassung: "Die lateinamerikanischen Staaten gehören zu den ältesten republikanischen Systemen der Welt. Trotz aller diktatorialen Zwischenspiele ist für jede Regierung unabdingbar, sich demokratisch legitimieren zu lassen."
Angst vor unfairen Wahlen
Genau diese Legitimität gesteht José Colina, Präsident der Organisation der "Politisch verfolgten Venezolaner im Exil" (Veppex) mit Sitz in Miami, der Regierung nicht zu: "Das aktuelle Regime, angeführt von Nicolás Maduro, wurde nie vereidigt. Insofern sind Wahlen, die dieses Regime abhält, per se illegitim."
Maduro fungiert seit dem 10. Januar 2013 als Interimspräsident Venezuelas, weil Chávez aufgrund seiner medizinischen Behandlung in Kuba nicht in der Lage war, persönlich zur Vereidigung seiner dritten Amtszeit zu erscheinen. Bereits zu diesem Zeitpunkt forderte die Opposition eine verfassungsrechtliche Klärung.
Regimekritiker José Colina, der in Venezuela als Terrorist gesucht wird, befürchtet nun unfaire Wahlen. Schon beim letzten Urnengang, so der ehemalige Armee-Leutnant, seien staatliche Mittel veruntreut sowie Medien und Wähler eingeschüchtert worden. Politische Stiftungen aus Deutschland - wie die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) - bestätigen solche Vorwürfe.
Colina geht davon aus, dass Chávez' sozialistische Einheitspartei PSUV (Partido Socialista Unido de Venezuela) die anstehenden Neuwahlen auch ohne ihre große Lichtgestalt für sich entscheiden wird. Und auch der Berliner Politikwissenschaftler Rinke glaubt, dass der Chavismus durchaus ohne Chávez funktionieren kann. Dafür müsse er allerdings auf eine neue zentrale Figur zugeschnitten werden.
Das Prinzip der Geschlossenheit ist auch für die eher zersplitterte Opposition erforderlich. Ihre einzige Chance liegt darin - wie bei den Wahlen Ende 2012 - sich auf einen einzigen Kandidaten zu einigen und darauf zu setzen, dass die Regierungspartei sich gleichzeitig im Streit um die Nachfolge verliert. Das ist zurzeit jedoch eher unwahrscheinlich.
Vom Busfahrer zum Außenminister
Um dem Machtkampf in der eigenen Partei vorzubeugen, hatte der "Comandante" bereits einige Wochen vor seinem Ableben seinen Wunschnachfolger benannt. Seine Anhänger bat Chávez, im Falle seines Todes Nicolás Maduro zum Anführer der "bolivarischen Revolution" zu wählen. Simón Bolívar, der südamerikanische Unabhängigkeitskämpfer aus dem 19. Jahrhundert, war Chávez' großes politisches Vorbild.
"Eine Empfehlung von Chávez hat großes Gewicht", meint der Politologe des Giga-Instituts Wehner. Nicolás Maduro habe sich als Außenminister als fähig und loyal erwiesen. Chávez Wunschkandidat hat zwar nicht das durchschlagende Charisma seines Mentors, doch der ehemalige Busfahrer und Gewerkschafter scheint pragmatischer ausgerichtet zu sein. So kündigte Maduro an - trotz ideologischer Gegensätze - die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den USA vertiefen zu wollen.
Einzig sein aktuelles Amt könnte Nicolás Maduro also noch im Wege stehen. Denn als Interimspräsident ist er designierter Wahlleiter und kann als solcher nicht als Kandidat antreten. Doch da werde sich schon ein Weg finden, glaubt der Venezuela-Experte Rinke: "Was die Interpretation der Verfassung angeht, waren Chávez und seine Anhänger ja schon recht erfindungsreich." Im Notfall werde er wohl sein Amt kurzerhand an einen Parteigenossen übertragen.