Präsidentschaftswahlen auf der Kippe
26. Oktober 2019"Unser Land ist gespalten wie nie. Jedes Mal wenn ich denke, es kann nicht schlimmer werden, kommt einer unserer Politiker und legt noch eine Schippe drauf", sagt Assana Sambu, Chefredakteur der unabhängigen Zeitung "O Democrata" im Gespräch mit der DW. Sambu spricht von einer regelrechten "politischen Schmutzkampagne" in Guinea-Bissau. "Unsere wichtigsten Politiker, allen voran der Präsident, der Regierungschef sowie die zwölf Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen am 24. November, bewerfen sich gegenseitig mit Dreck", so Sambu. Selbst für langjährige Beobachter sei es nicht einfach, die persönlichen und politisch-ideologischen Fehden nachzuvollziehen. Nur eines sei sicher: Die Geduld bei den circa zwei Millionen Einwohnern Guinea-Bissaus sei längst aufgebraucht.
Chaos, organisierte Kriminalität, Anarchie
Guinea-Bissau gilt vielen Beobachtern als "failed State", als gescheiterter Staat. Seit Jahren ist das Land ein wichtiger Umschlagplatz für den internationalen Drogenhandel mit Europa. Die vielen vorgelagerten Inseln und die schwachen staatlichen Institutionen machen es zur Drehscheibe für korrupte Geschäfte mit Drogenbaronen aus Südamerika, an denen auch zahlreiche Politiker und Militärs aus Guinea-Bissau beteiligt sind. Der Staat hat seine elementarsten Aufgaben praktisch aufgegeben. Viele Schulen und Universitäten sind geschlossen, das öffentliche Gesundheitswesen liegt am Boden, das Justizsystem ist de facto kollabiert.
"Zu allem Überfluss sind Politiker und Parteien in unserem Land unfähig zur Zusammenarbeit ", führt Journalist Sambu die lange Liste der Probleme fort. Die Fronten verlaufen zwischen politischen Parteien, Generationen, Ethnien und Religionsgemeinschaften. Die Folge: Die im März gewählte Regierung unter Premierminister Aristides Gomes von der ehemaligen Befreiungsorganisation PAIGC ("Afrikanische Partei für die Unabhängigkeit von Guinea und Cabo Verde") erweist sich wieder einmal als regierungsunfähig, weil Präsident José Mário Vaz, ebenfalls von der PAIGC, ihr seine Mitarbeit weitgehend verweigert. Dabei führt Letzterer sein Amt nur noch kommissarisch seit sein Mandat im Juni offiziell abgelaufen ist.
Am 24. November soll nun ein neuer Präsident gewählt werden. Doch die Organisation der Wahl gestaltet sich schwierig. Den zuständigen Behörden fehlt es an Geld, es herrscht Streit über die laut Opposition komplett veralteten Wählerlisten. Inzwischen wurden insgesamt zwölf Präsidentschaftskandidaten zu den Wahlen zugelassen. "Alle sind untereinander verfeindet und bekämpfen sich mit allen Mitteln. Aber nur fünf haben eine reelle Chance auf einen Wahlsieg, beziehungsweise darauf, in die zweite und entscheidende Runde zu kommen", erläutert Sambu.
Präsidentschaftskandidaten: Hass, Rivalität, Sabotage
Zu den fünf Kandidaten mit den größten Siegeschancen zählt sicherlich Präsident José Mário Vaz, 61, genannt "Jomav". Er tritt als unabhängiger Kandidat an. Der scheidende Präsident gehört zwar immer noch der größten Partei PAIGC an, ist aber bei der Parteiführung in Ungnade gefallen, weil er sich in den vergangenen Jahren beharrlich geweigert hat, den PAIGC-Vorsitzenden Domingos Simões Pereira zum Regierungschef zu ernennen. Pereira sei "fachlich und charakterlich ungeeignet", ließ Jomav in der Vergangenheit immer wieder wissen. Rückhalt hat Jomav bei großen Teilen der Landbevölkerung, außenpolitisch gilt er hingegen als weitgehend isoliert.
Domingos Simões Pereira, 56, genannt "DSP", ist Vorsitzender der PAIGC und Jomavs Hauptwidersacher. Er kann mit der Unterstützung des mächtigen Apparats seiner Partei rechnen und punktet auch mit engen Beziehungen zur portugiesischsprachigen Welt. Von 2008 bis 2012 war DSP Generalsekretär der Gemeinschaft der portugiesischsprachigen Länder (CPLP). Seine Kritiker machen ihm schwere Vorwürfe: DSP sei korrupt, der aufwendige Wahlkampf der PAIGC auch mit Drogengeld finanziert.
Carlos Gomes Júnior, 69, genannt "Cadogo", tritt als unabhängiger Kandidat an. Er ist allerdings ebenfalls Mitglied der PAIGC, war sogar deren Vorsitzender und Regierungschef zwischen 2009 und 2012, als die Militärs gegen seine Regierung putschten. Nach seiner Absetzung lebte Cadogo jahrelang im Exil in Portugal, hat aber noch großen Einfluss innerhalb der PAIGC. Wie DSP verfügt Cadogo über enge Beziehungen zu den portugiesischsprachigen Ländern, vor allem zu Angola. Doch ausgerechnet diese Nähe könnte ihm zum Verhängnis werden: Kritiker werfen ihm vor, von Angola finanziert und gesteuert zu sein.
Nuno Gomes Nabiam, 53, gilt als erfahrener und charismatischer Wahlkämpfer. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2015 unterlag er als Oppositionskandidat gegen Jomav in der zweiten Runde. Er wird von der größten Oppositionspartei PRS ("Partei der Sozialen Erneuerung") unterstützt, deren inzwischen verstorbener Gründer Kumba Ialá zwischen 2000 und 2003 Guinea-Bissaus Präsident war. Auch die Partei APU ("Allianz des Vereinigten Volks") unterstützt Nabiam, der der einflussreichen Balanta-Ethnie angehört.
Umaru Sissoco Embaló, 48, fungierte - damals noch als Mitglied der PAIGC - vom 18. November 2016 bis zum 31. Januar 2018 als Premierminister. Jetzt tritt der reiche Geschäftsmann und Ex-General als Kandidat der "Bewegung für eine Demokratische Alternative" (MADEM-G15) an. Die Partei bildete sich, nachdem sich in der vergangenen Legislaturperiode eine Gruppe von 15 Abgeordneten von der Mehrheitspartei PAIGC abspaltete. Als Angehöriger der Fulani-Ethnie, die mehrheitlich muslimischen Glaubens sind, spielt Sissoco immer wieder die religiöse Karte, was ihm in dem multiethnischen und multireligiösen Land große Kritik einbringt. Im Wahlkampf tritt er immer wieder mit einer nicht landestypischen arabischen Kopfbedeckung auf, außerdem pflegt er enge Beziehungen zu arabischen und anderen mehrheitlich muslimisch geprägten Ländern.
Oppositionskandidat des versuchten Staatsstreichs beschuldigt
Einen Monat vor dem angesetzten Wahltermin scheint die aufgeheizte Stimmung nun endgültig zu eskalieren. Am Montag (21.10.2019) startete Regierungschef Aristides Gomes (PAIGC) einen Frontalangriff gegen Umaru Sissoco Embaló, indem er ihn auf Facebook beschuldigte, einen Staatsstreich zu planen. Sogar einen angeblichen Beweis legte Gomes vor: Eine Audio-Aufnahme einer Stimme, die Sissoco zugordnet wird und zum Aufstand gegen die Wahlmodalitäten aufruft. Es sei legitim, so die Stimme, "die Zentrale der Nationalen Wahlkommission CNE kurz und klein zu schlagen".
Die Regierung habe die Sicherheitskräfte in höchste Alarmbereitschaft versetzt, so Regierungschef Aristides Gomes im DW-Interview. Polizei patrouilliere durch die wichtigsten Straßen von Bissau. Er beschuldigt die Opposition, die Präsidentschaftswahlen vom 24. November verhindern zu wollen. "Sissoco begeht ein Verbrechen, das nicht zu rechtfertigen ist", so Gomes. Ermittlungen gegen Sissoco seien eingeleitet worden.
"Alles Lüge, eine Montage, eine Fälschung", sagt hingegen Umaru Sissoco Embaló gegenüber der DW. Die Regierung wolle nur ablenken von ihren eigenen kriminellen Machenschaften, dem Drogenschmuggel. "Sie wissen, dass ich die nächsten Wahlen gewinnen werde, also schießen sie sich auf mich ein." Es sei infam, zu behaupten, dass er einen Staatsstreich organisieren wolle. Schließlich sei er - Sissoco - schon lange kein General mehr.
Wahlen in Gefahr
Angesichts der angespannten Lage ist offener denn je, ob die Präsidentschaftswahlen tatsächlich wie geplant am 24. November stattfinden werden. Mauro Vieira, brasilianischer UN-Botschafter und zuständig für die UN-Friedensbemühungen in Guinea-Bissau, übt sich im DW-Gespräch in Zweckoptimismus: Er vertraue darauf, dass der Wahltermin eingehalten und nicht verschoben werde. "Es ist sehr wichtig für die Zukunft des Landes, dass die Wahlen wirklich stattfinden", so der Diplomat.
"O Democrata"-Chefredakteur Assana Sambu hingegen blickt weniger positiv in die Zukunft. "Das Chaos ist zur Normalität geworden", fasst er die Lage in seinem Land zusammen. Und er befürchtet: "Angesichts der festgefahrenen Situation halte ich es für wahrscheinlich, dass die Präsidentschaftswahlen verschoben werden."
Mitarbeit: Iancuba Dansó, Bissau