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Cebit: Gründerzeit 3.0

Johanna Schmeller11. März 2014

Leicht macht es Deutschland seinen jungen Gründern nicht: Neben einer guten Idee braucht es auch eine überzeugende Marketingstragegie. Komplexes Business erfordert einfache Erklärungen.

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Eingang Halle 16. Foto: DW/J. Schmeller
Bild: DW/J. Schmeller

Die Halle 16 auf der Cebit ist ein fast magischer Ort: Unter neongelben Lettern versammeln sich hier Schwarzgekleidete in violettem Schummerlicht. An allen Ständen stehen Plastikhocker, "Miura" heißt das kantige Modell. 2005 hat der Designer Konstantin Grcic die Stapelware auf den Markt gebracht, damals schon retro und mit hohem Wiedererkennungswert, auf der Cebit 2014 das perfekt verbindende Element für eine disparate Szene.

Hocker Miura. Foto: DW/Johanna Schmeller
Der Hocker "Miura" und der Wille zur Weltveränderung verbinden die Startups - sonst wenig.Bild: DW/J. Schmeller

Die Mitte der Nullerjahre war eine heiße Zeit für deutsche Startups: Facebook und Studi-VZ ermöglichten ihnen plötzlich preiswerte zielgruppenorientierte Vermarktungsstrategien in wachsenden Freunde-von-Freundes-Kreisen. In Berlin, München und Hamburg krochen kleine Firmen aus dem Netz, ohne Geld und ohne Angst.

Heute, zehn Jahre später, sind die Gründer Mitte dreißig, tragen immer noch dieselben schwarzen Kreativ-Brillen wie Miura-Macher Grcic, und zusätzlich zu ihren Ideen brauchen sie heute stichhaltige Argumente. In Hannover trifft man die, die es schon ein paar Jahre lang geschafft haben. Code_N heißt die Initiative des Stuttgarter Softwareunternehmers Ulrich Dietz, dem Vorstandsvorsitzenden von GFT. Für die Besten der Jungen hat er einen hochdotierten Preis ausgelobt, der zum Cebit-Ende verliehen wird. Und was fast alle anderen Hallen an Spontaneität, Internationalität und Wahnsinn vermissen lassen - das findet man in Halle 16.

Greta Kreutzer. Foto: DW/Johanna Schmeller
Die Münchnerin Greta Kreutzer von Cosinuss setzt Sportlern einen Knopf ins Ohr.Bild: DW/J. Schmeller

Auf die Bühne, fertig, los!

"Wir wollen die klassiche Pitch-Situation nachstellen", erklärt ein Moderator, der sich nur mit Vornamen Felix vorstellt. " Wir haben hier eine Zeituhr, auf der drei Minuten stehen - und ich werde darauf achten, dass das auch eingehalten wird."

Michel Halmes. Foto: DW/Johanna Schmeller
Michel Halmes kommt von Real Impact Analytics aus Luxemburg - und kooperiert mit der Bill-Gates-StiftungBild: DW/J. Schmeller

Bei sogenannten Elevator-Pitches haben die Jungunternehmer nur wenige Minuten, um Investoren und Multiplikatoren zu überzeugen, die Big Player, die Risikokapitalgeber, die Presse.

2014 ist das kein leichter Job mehr: Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Kapitalgesellschaften gaben Firmen vor rund fünf Jahren noch über 800 Millionen Euro an 1100 Firmen, heute werden rund 700 Unternehmen mit weniger als 700 Millionen Euro gefördert. Weniger Geld also für viele kreative Ideen, mehr Geld dafür für besonders überzeugend auftretende "lucky few".

Startup-Halle 16. Foto: DW/Johanna Schmeller
Startup-Halle 16: Schwarz, schummrig, schickBild: DW/J. Schmeller

Quatsch Dich hoch!

Routiniert steigt ein Gründer nach dem anderen auf die Bühne in Halle 16 und rappt seinen Text herunter, mancher ist schon nach zwei Minuten durch.

Aus London, München und Berlin kommen die Unternehmen, aber auch aus Norderstedt, Rahden und Nürnberg. "Man muss nicht aus einer Startup-Hochburg kommen, um zu gründen", sagt Felix. Die neue Szene ist dezentral und gibt Antworten auf die Fragen der Zukunft: Wie mit dem Verkehrsaufkommen von Mega-Metropolen umzugehen ist, wie sich Jobstress und damit verbundene Krankheiten frühzeitig erkennen lassen, wie der Wohlstandsunterschied zwischen Nord- und Südhalbkugel der Erde auszugleichen ist.

Wer schläft wie wenig, atmet wie schnell, regt sich wie sehr auf - und wie lange geht das ohne Depression gut? Wer will wohin, und wie zügig muss es gehen? Der "gläserne Mensch" klingt da fast nach einem romantischen Bild der Vergangenheit. 2014 wird die Person als Datenwust, als Zahlenkolonne betrachtet.

Stöpsel ins Ohr, rein ins Auto, ab an den Airport

Manche Produkte erschließen sich nach der kurzen Einführung, etwa ein Pulsoxymetriemesser - ein kleiner Ohr-Sensor von Cosinuss, den Mit-Gründerin Greta Kreutzer erklärt: Ihre "wearable technologies" können in der Medizin genauso wie im Breitensport eingesetzt werden.

Christian Brüggemann, Startup G-Predictive. Foto: DW/Johanna Schmeller
Christian Brüggemann von G-Predictive in Rahden plant flexible StauumfahrungenBild: DW/J. Schmeller

Auch das Navigationssystem von Christian Brüggemann von Graphmasters, das individuelle Stauumfahrungen berechnet, kapiert man sofort: "Alle großen Zubringerstraßen sind morgens verstopft, nur damit sie abends dann wieder verstopft sind", so Brüggemann. "Unser System reserviert unterschiedliche Streckenabschnitte für einzelne Fahrzeuge - und schickt den nächsten Fahrer eine andere Route entlang." Die große deutsche Firma Bosch soll bereits Interesse signalisiert haben.

Conde_N-Shirt. Foto: DW/Johanna Schmeller
Cebit-Outfit: Code_N-T-Shirt und schwarze BrilleBild: DW/J. Schmeller

Digital sozial

Sablono aus Berlin errechnet die Kosten von Megabaustellen: "Wir gehen davon aus, dass Baupläne mit unserer Software um ein Tausendfaches genauer ausfallen", verspricht Geschäftsführer Lukas Olbrich.

Real Impact Analytics hat sich auf den sozialen Bereich spezialisiert: Das Unternehmen wertet Telekomoperatordaten in Entwicklungsländern aus und verbindet "auf Anfrage der Gates-Stiftung", wie der aus Luxemburg angereiste Michel Halmes stolz betont, spendewillige Unternehmen mit lokalen Projekten.

Manche Startups versuchen auch mutig, erst einmal einen Bedarf für die eigenen Produkte zu kreieren - etwa eine Indoor-Navigationssoftware, die nur mit speziellen Sendern funktioniert, von derselben Firma entwickelt und vertrieben. Wie man damit Geld verdienen wolle, will ein interessierter Zuhörer von Locoslab-Gründer Stefan Wagner wissen. Richtige Frage, falscher Ort. "Das GPS funktioniert doch indoor nicht, es gibt also keine Möglichkeit, ohne die von uns ausgebrachte Hardware eine Lokalisierung in Gebäuden zu ermöglichen!" Ach so.

Lukas Olbrich. Foto: DW/ Johanna Schmeller
Der Berliner Lukas Olbrich von Sablono hätte gern beim Hauptstadtflughafen mitgeplantBild: DW/J. Schmeller

Wer weiter auf Profitabilität herumreiten möchte, ist ohnehin in den anderen Hallen besser aufgehoben. Flexibel und spontan geben sich die Minifirmen auf der Cebit 2014. Die Form folgt der Funktion - beim Plastikhocker wie beim Startup. Die Ideen aus Halle 16 wurden gestern geboren, werden vielleicht erst morgen verstanden und übermorgen dann gebraucht. Allein die Verkaufsargumente müssen heute schon funktionieren.