Caracas greift deutsche Pharmaindustrie an
9. Mai 2015Mitten in der Wirtschaftskrise Venezuelas greift Caracas deutsche Pharmakonzerne an. Venezuelas Gesundheitsminister Henry Ventura hat den Unternehmen Bayer und Merck "Währungsbetrug" vorgeworfen und Ermittlungen gegen sie eingeleitet.
Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters stehen die deutschen DAX-Unternehmen im Verdacht, subventionierte Devisen missbraucht zu haben. Die venezolanischen Standorte von Bayer hätten 200 Millionen US-Dollar (180 Mio. Euro) zum Vorzugspreis von 6,3 Bolivares erhalten, um bestimmte Medikamente zu produzieren und einzuführen. Bei Merck seien es sogar 285 Millionen US-Dollar gewesen.
Gesundheitsminister Ventura kritisierte, dass es trotz der Devisenerleichterungen in venezolanischen Apotheken an Verhütungsmitteln mangele, auf die Bayer ein Monopol habe. Auch das Schilddrüsenmedikament Euthyrox von Merck fehle. Die Unternehmen, so Venturas Vorwurf, hätten stattdessen profitablere Produkte verkauft, um ihre Gewinne zu erhöhen.
Weltweite Unterversorgung
Bayer und Merck weisen die Vorwürfe zurück, zumal die Zahlungen nicht in der genannten Höhe geflossen seien. "Wir haben weniger als die Hälfte der angegebenen Summe erhalten", erklärt Merck-Sprecher Gangolf Schrimpf. Laut venezolanischen Tageszeitungen hat auch ein einheimisches Apotheker-Gremium bereits den Verzug von Zahlungen der Behörden an Pharmaproduzenten angemahnt.
In Darmstadt zeigte man sich von dem Vorwurf gänzlich überrascht. Richtig sei lediglich, dass es zeitweilig eine Unterversorgung mit dem Schilddrüsenmedikament Euthyrox gegeben habe. "Allerdings betraf der Engpass nicht nur Venezuela, sondern mehr oder weniger alle Länder - auch Deutschland", so Schrimpf auf Nachfrage der DW. "Der weltweite Bedarf ist so schnell gestiegen, dass wir ihn kurzzeitig einfach nicht bedienen konnten."
Inzwischen habe Merck aber die Produktion entsprechend erhöht, sodass die Nachfrage - auch in Venezuela - wieder gedeckt sei, so der Unternehmenssprecher. Andere Arzneien oder Nahrungsergänzungsmittel als die vereinbarten zu verkaufen, sei in Venezuela aufgrund der strengen Regulierungen ohnehin nicht möglich.
Ungeachtet der widrigen Umstände, heißt es aus Leverkusen, kooperiere man weiter: "Trotz Währungskrise und ausstehenden Zahlungen in signifikanter Höhe arbeitet Bayer eng mit der Regierung in Venezuela zusammen, um die Versorgung der Patienten mit Medikamenten zu sichern." Darunter seien Arzneien gegen die Bluterkrankheit, Krebs und die Nervenerkrankung Multiple Sklerose.
Zwischen Januar und August 2014 stellte die Außenhandelsbehörde CENCOEX internationalen Unternehmen 10,7 Milliarden US-Dollar für wichtige Importe bereit. Darunter fallen vor allem Grundnahrungsmittel und Medikamente. Sie werden zu einem Kurs von 6,3 Bolivares pro US-Dollar eingeführt.
Für andere Importe lagen die Kurse etwa doppelt so hoch. Inzwischen hat die Regierung das strikte Wechselkursregime ein wenig gelockert. Aber nach wie vor kostet ein US-Dollar auf dem freien Markt etwa das 30-Fache des Präferenzkurses.
Neben lebenswichtigen Medikamenten fehlt es in Venezuela auch an Nahrungsmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs. Die Regierung in Caracas versucht der Unterversorgung entgegenzuwirken, indem sie Importe wichtiger Produkte durch feste Wechselkurse stützt, die weit unter dem Marktwert der Landeswährung Bolivar lagen.
Ablenkung von eigenen Fehlern
Für den Unternehmensberater Heinz Mewes, ehemaliger Chefvolkswirt des Dresdner Bank Lateinamerika, passt Venturas Manöver voll ins Bild: "Der Regierung steht das Wasser bis zum Hals. Um sich vor der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen, präsentiert sie stets Schuldige aus der Opposition oder dem kapitalistischen Ausland."
Die Gründe für die schlechte Versorgungslage subsummiert die Regierung um Präsident Nicolas unter dem Wort "Wirtschaftskrieg", mit dem die Unternehmen die "bolivarische Revolution" boykottierten. Kritiker sehen die Ursachen für den ökonomischen Niedergang eher in der erstickenden Wirtschaftspolitik der Regierung mit festgelegten Preisen, Verstaatlichungen und massiver Umverteilung ohne Weitsicht.
Damit die Versorgungslage der Bevölkerung nicht vollends zusammenbricht, beraten venezolanische Behörden immer wieder mit Unternehmensvertretern. Das Dilemma formulierte Gesundheitsminister Ventura im Gespräch mit Reuters so: "Wir wollen, dass die transnationalen Firmen im Land bleiben, aber wir wollen, dass sie mit Ethik produzieren."
Gleich mehrere multinationale Pharmakonzerne hatten der Regierung bei einem dieser Treffen erst im Februar eine Erhöhung ihrer Produktion im Land zugesagt. Aber vielleicht wusste Henry Ventura das nicht. Er ist nämlich erst seit März im Amt.