Cannabis: Erfolge und Baustellen
11. März 2018"Ich lebe nun nicht mehr am Existenzminimum", sagt Lars Scheimann mit kräftiger Stimme und fischt einige Krümel "Gras" aus einer Plastikdose. Schon vor knapp drei Jahren hatte die DW den Tourette-Patienten in Duisburg besucht . Damals kämpfte Scheimann für eine Bezahlung "seines Medikaments". Seit nun knapp einem Jahr ist es soweit. Im Januar 2017 hatte der Bundestag fraktionsübergreifend Cannabis als Medizin anerkannt. Seit dem 10. März des vergangenen Jahre ist das Gesetz in Kraft. Seitdem bekommen kranke Menschen unter bestimmten Voraussetzungen ihre Dosis Gras von den Krankenkassen bezahlt. "Wir haben unseren Kampf gewonnen", blickt Scheimann zurück. Nach eigener Aussage hat er zuvor knapp 2000 Euro im Monat aus der eigenen Tasche bezahlt.
Scheimann betreibt in der Duisburger Innenstadt einen kleinen Hanf-Laden. Von Tee bis Hundefutter verkauft er dort Produkte auf Hanf-Basis. Spricht er von Cannabis fallen Worte wie "schön" und "bereichernd" - sich selbst nennt er Dr. Hanf. Der heute 48-Jährige gilt als einer der bekanntesten Cannabisaktivisten in Deutschland. Lange Zeit war er verhaltensauffällig und musste starke Medikamente nehmen - ein Joint auf einer Party brachte dann die Wende. Seit zwei Jahrzehnten raucht er und fühlt sich wohl dabei. "Ich habe vorher vegetiert, jetzt bin ich ein Teil der Gesellschaft", sagt Scheimann.
Bürokratische Hürden
Schon vor der Gesetzesneuerung zählte er zu den rund 1000 Menschen in Deutschland, die mit einer Ausnahmegenehmigung Cannabis in der Apotheke bekommen konnten. Dass er es nun bezahlt bekommt, ist für ihn ein Privileg: "Ich bin einer der wenigen. Die meisten haben eine befristete Zusage. Viele Freunde kämpfen momentan vor Verwaltungsgerichten um die Übernahme der Kosten", so Scheimann. Patienten klagen auch über langwierige und komplizierte Antragsverfahren.
Auch in der Politik ist man sich dieses Problems bewusst. Bei der Frage, wie man an das Medikament komme, könnten nochmals Bürokratiehürden abgebaut werden, und auch die Verfahren - in Abstimmung mit den Krankenkassen - vereinfacht werden, sagt Dirk Heidenblut, der für die SPD-Fraktion im Bundestag jetzt für den Bereich Drogenpolitik zuständig ist. Insgesamt zieht er eine positive Bilanz. Das zeige auch die hohe Nachfrage bei den Patienten. Es müsse aber an einigen Stellen nachgeschärft werden, so Heidenblut. Zum Beispiel bei der Informationslage bei den Ärzten. "Ich glaube schon, dass Skepsis oder Sorgen, im Umgang auch bei den professionell Handelnden noch im Spiel sind." Daran wolle man arbeiten. Doch noch fehlt es auch an Studien. Ärzte beklagen schon länger, dass sich die Wissenschaft stärker mit den langfristigen Wirkungen von Cannabis beschäftigen sollte.
Bei den Patienten ist die Nachfrage auf jeden Fall groß: War die Bundesregierung von rund 700 neuen Patienten jährlich ausgegangen, schwanken die Schätzungen ein Jahr nach Gesetzeseinführung zwischen 10.000 und 30.000 Menschen, die einen Antrag auf Kostenerstattung gestellt haben.
Die Akzeptanz steigt langsam
Auch Judith Schwikart nimmt Cannabis gegen ihre anfallartigen Gliederschmerzen. Die 55-Jährige hat Multiple Sklerose. "Wenn mich nachts der Teufel holt, dann nehme ich einige Tropfen und hoffe, dass ich wieder schlafen kann."
Vor 25 Jahren hatten die Ärzte bei ihr die Krankheit diagnostiziert. "Als die Ärztin mir den Ratschlag gab, einen Rentenantrag zu stellen, habe ich gesagt: 'Was, ich bin doch erst 30.'" Seitdem ist sie zu Hause. Ihr Mann ist Pfarrer, die Kinder sind bereits aus dem Haus.
Über Bekannte ist sie zum ersten Mal in Kontakt mit Cannabis gekommen. Zuerst in Blütenform, später folgten dann Tropfen aus extrahiertem Cannabis. Mittlerweile nimmt sie die Tropfen nur noch nachts, weil sie das Medikament tagsüber häufig verwirre.
Auch für sie war es ein langer Weg zur Cannabispatientin. Mehrere Anträge musste sie stellen, sich mit Ärzten und Krankenkassen auseinandersetzen. "Ich bekam immer das Gefühl, dass es nicht richtig ist mit dem Cannabis", sagt Schwikart.
Die Preise in der Apotheke sind gestiegen
Lars Scheimann sieht aktuell eines der zentralen Probleme in der Preisentwicklung von Medizinalhanf. "Für die Mehrzahl der Cannabis-Patienten - die die Kosten nicht erstattet bekommen - ist die Sache momentan ein Handicap, weil sich der Preis für das Medikament verdoppelt hat." Da Cannabis nun als Medizin gilt, greift die Apothekenpreisverordnung. Die Apotheker sind verpflichtet, jede Lieferung händisch zu kontrollieren. Der Preis hat sich deshalb fast verdoppelt und liegt nun bei über 20 Euro für ein legales Gramm in der Apotheke - auf dem Schwarzmarkt ist es weniger als die Hälfte. Scheimann beklagt auch, dass die Blüten häufig vergriffen gewesen seien. Auch Unternehmen bestätigen Engpässe beim medizinischen Cannabis.
Um das zu vermeiden und eine gute Qualität zu bieten, war ein Punkt des Gesetzes vor einem Jahr auch der kontrollierte Anbau in Deutschland. "Unser Ziel ist, dass wir Selbstversorger werden", sagt Dirk Heidenblut. Doch eine staatliche Ausschreibung stockt momentan, weil mehrere Unternehmen gegen die Vergabebedingungen geklagt haben.
Ein Jahr nach Einführung des Gesetzes gibt es noch etliche Baustellen bei der Umsetzung. Für die an Multipler Sklerose erkrankte Judith Schwikart war die Anerkennung von Cannabis als Medizin eine symbolische Entscheidung für die Akzeptanz ihres Medikaments. Das habe sich etwas verbessert. Doch selbstverständlich sei es noch lange nicht. "Es ist in der Gesellschaft, in meinem Umfeld immer mit einem leichten Schmunzeln verbunden, als ob es doch was Außergewöhnliches ist."