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Coronavirus als Brandbeschleuniger

10. März 2020

Düstere Zeichen für die Weltkonjunktur: An den Börsen brechen die Kurse ein, der Ölpreis stürzt ab. Droht wegen des Coronavirus eine weltweite Rezession? Fragen an den Wirtschaftsforscher Martin Braml.

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Symbolbild - Fallende Aktien
Bild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst

Deutsche Welle: An den Börsen weltweit ging es am Montag abwärts. Der Deutsche Aktienindex hat zum Handelsbeginn sieben Prozent verloren. Liegt das alles am Coronavirus?

Martin Braml: Nicht nur. Das Coronavirus ist ein Auslöser für manche Dinge, die sich schon vorher angestaut haben. Wir dürfen nicht vergessen, dass es nach Höchstständen immer zu Korrekturen kommt. Erst vor vier Wochen haben der Dax und andere Börsen-Indizes Rekorde verzeichnet. Aber diese Korrekturen überschreiten nun das normale Ausmaß. Da spielt natürlich das Coronavirus eine Rolle und die große Unsicherheit. Niemand weiß, wie es weitergeht, welche Region als nächstes abgeriegelt wird, ob Lieferketten aufrechterhalten werden können, ob mehr Menschen nicht zur Arbeit gehen können, weil sie unter Quarantäne stehen. Diese Unsicherheit spiegelt sich an den Börsen wider.

Martin Braml vom ifo-Institut München
Martin Braml vom ifo-Institut MünchenBild: Romy Vinogradova

Große Verluste gibt es auch beim Ölpreis, der fast 30 Prozent gefallen ist. Hintergrund ist ein Streit zwischen den OPEC-Staaten und anderen Förderländern über eine Kürzung der Fördermenge. Spielt Corona hier keine Rolle?

Doch, auch hier spielt Corona eine Rolle. Wenn die Fabriken und Teile des öffentlichen Lebens stillstehen, dann wird auch weniger Öl nachgefragt. Diese geringere Nachfrage hat schon vor dem OPEC-Streit am Wochenende zu Verlusten beim Ölpreis geführt. Üblicherweise einigt sich das Kartell der OPEC dann auf eine Kürzung der Fördermengen, um die Preise zu stützen. Am Wochenende hat sich aber wieder einmal gezeigt, dass das Kartell sehr instabil ist und man sich nicht einigen kann - deshalb dieser deutliche Ausschlag nach unten.

Noch eine Meldung, die sich dämpfend auf die Kurse auswirkt: In Japan ist die Wirtschaft stärker geschrumpft als erwartet, das Minus im vierten Quartal betrug aufs Jahr gerechnet rund sieben Prozent. Das zumindest kann nichts mit Corona zu tun haben, schließlich geht es um die letzten drei Monate des Jahres 2019.

In der Tat haben sich konjunkturelle Probleme schon lange vor dem Ausbruch des Coronavirus gezeigt. Die deutsche Industrie steckt seit sechs Quartalen in der Rezession, sie schrumpft seit dem dritten Quartal 2018. Das hat viel mit der Automobilindustrie zu tun, auch die Maschinenbauer haben Probleme. Corona macht manche Probleme sichtbar, die schon vorher da waren und verstärkt das Ganze. Ähnlich in China: dort sind die Wachstumsraten seit langem rückläufig, der Handelskrieg mit den USA schlägt negativ zu Buche, und viele chinesische Unternehmen sind seit langem überschuldet. Jetzt stellt der chinesische Staat Liquidität bereit, um die Probleme zu lindern, doch das fundamentale Problem bleibt weiterhin bestehen.

Droht also ein weltweiter Konjunktureinbruch?

Zumindest für Deutschland und Europa ist eine Rezession nicht ausgeschlossen. Die Unsicherheit ist hoch. Wir wissen nicht, welchen medizinischen Verlauf diese Krankheit nimmt und welche politischen Maßnahmen ergriffen werden. Auch weltweit könnte es eine Rezession geben. Maßgeblich wird auch sein, wie sich die Lage in den USA entwickelt.

Solange noch Teile ankommen, kann produziert werden: Hier beim Motorenbauer Deutz AG
Solange noch Teile ankommen, kann produziert werden: Hier beim Motorenbauer Deutz AGBild: Deutz AG

Auch die deutsche Regierung will die Wirtschaft unterstützen. Kurzarbeit soll einfacher werden, außerdem werden Investitionen des Bundes um mehrere Milliarden Euro ausgeweitet. Wie bewerten Sie das?

Es ist absolut richtig, das Kurzarbeitergeld auszuweiten. Damit hat Deutschland schon während der Finanzkrise sehr gute Erfahrungen gemacht. So kann die Beschäftigung erhalten werden, wenn die Produktion stillsteht, und wenn es wieder besser läuft, können Unternehmen schneller auf den Wachstumspfad zurückkehren. Auch Liquiditätshilfen wie Steuerstundungen oder Überbrückungskredite sind richtig. Bei den Investitionen stellt sich allerdings die Frage, ob sie rechtzeitig wirken. Baumaßnahmen haben ja immer einen langen Vorlauf. Und selbst wenn gebaut wird, braucht man Unternehmen, die das machen können und deren Arbeiter nicht wegen des Coronavirus zu Hause bleiben müssen.

In Hongkong hat sich die Regierung für eine andere Form der Hilfe entschlossen und setzt auf Helikoptergeld: Jeder Bürger bekommt mehr als 1000 Euro geschenkt. Die Hoffnung ist, dass die privaten Haushalte das Geld wieder ausgeben und so die Wirtschaft stützen. Ähnliche Ansätze gibt es in Singapur und Macao. Wäre das auch eine Idee für Deutschland?

Ich glaube nicht, dass das kurzfristig große Effekte haben wird. Die Menschen möchten ja gerne konsumieren, sie möchten auf Konzerte gehen, essen gehen oder in den Urlaub fliegen. Aber das können sie nicht, weil Veranstaltungen abgesagt und Flüge gestrichen werden. Geld ist also nicht das Problem, sondern fehlende Gelegenheiten, Geld auszugeben.

Wird man irgendwann auf die heutige Zeit zurückschauen und sagen, das Coronavirus war der Beschleuniger für Krisenentwicklungen, die es ohnehin gab?

Es gibt derzeit noch keine Klarheit über die Schädlichkeit des Virus. Es könnte auch sein, dass die Normalität schneller wieder zurückkehrt, als man jetzt absehen kann. Die Einschätzungen decken die gesamte Bandbreite ab - von "Weltwirtschaftskrise" bis "es ist gar nicht so schlimm". Ich halte es im Moment für völlig unmöglich, realistisch einzuschätzen, was da auf uns zukommt.

Martin Braml arbeitet beim ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München zu den Themen internationaler Handel und Außenwirtschaft.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.