Mit Favre zurück an die Spitze?
21. August 2018Auf ihn mussten die rund 30.000 Fans im Dortmunder Stadion am längsten warten: Lucien Favre. Der neue Trainer des BVB wurde unter tosendem Applaus bei der Saisoneröffnung empfangen und gefeiert. Ein wenig schüchtern, aber mit einem breiten Grinsen durchlief der 60-Jährige das Spalier aus Junioren-Spielern und Profis und klatschte mit allen ab. Das sei ein "Top-Gefühl" gewesen berichtete der neue Chef später kurz und knapp. Favre ist kein Mann, der gerne im Mittelpunkt steht. Er ist niemand, der in solchen Situationen viele Sätze spricht. Markige Worte oder Kampfansagen - darauf werden die Fans und Journalisten während seiner Amtszeit (wohl) vergeblich warten.
Bürki: "Er ist ein Perfektionist"
Das war auch bei seinen bisherigen Trainerstationen in Zürich, Berlin, Mönchengladbach oder zuletzt auch Nizza so. Wird der Schweizer aber auf seine fußballerischen Ideen oder Taktiken angesprochen, dann ist er kaum zu bremsen. "Wir wollen intelligent spielen und beherrschen, dass wir sehr, sehr hoch spielen", erklärte Favre bei seiner Vorstellung. "Und wir müssen auch kontern, das ist wichtig. Eine Mannschaft, die nicht kontern kann, ist keine große Mannschaft."
Damit Borussia Dortmund zum Bundesliga-Auftakt eine "große Mannschaft" auf den Platz bekommt, haben Favre und sein Team nun wochenlang intensiv gearbeitet. "Er ist ein Perfektionist", erklärte Torwart Roman Bürki. "Genau das brauchen wir." Für Marco Reus, der in dieser Saison Kapitän sein wird, zählt der detailverliebte Coach sogar zu den "besten Klubtrainern", die er bisher erlebt hat.
Gewinner der Vorbereitung: Götze und Dahoud
Reus und Favre haben zuletzt bei Borussia Mönchengladbach zusammengearbeitet - und sich schätzen gelernt. Dieses Duo zählt sicher zu den wichtigsten Bausteinen beim BVB in dieser Spielzeit. Ein weiterer Favre-Schüler ist Mahmoud Dahoud. Unter dem 60-Jährigen wurde der Mittelfeldmann zum Bundesligaspieler. "Er hat sich nicht verändert, fußballerisch nur in Kleinigkeiten", sagte Dahoud über Favre. Der 22-Jährige zählt neben dem wiedererstarkten Mario Götze zu den Gewinnern der Vorbereitung. Ohnehin ist das Mittelfeld der Dortmunder das - wenn auch leicht überbesetzte - Herzstück der Mannschaft.
Daneben stechen vor allem die Neuzugänge Thomas Delaney und Axel Witsel, der mit Belgien WM-Dritter wurde, heraus. Auch wenn Witsel erst vor kurzem zur Mannschaft gestoßen ist, könnte Favres "Wunschspieler" zum Dreh- und Angelpunkt im Mittelfeld werden. Wie wichtig der Belgier sein kann, bewies er gleich im ersten Pflichtspiel, dem Auftritt im DFB-Pokal bei Greuther Fürth. "Wir haben viele Mittelfeldspieler, aber das bringt dich auch zu deinem persönlich höchsten Level", sagte der Belgier. "Ich habe kein Problem mit der Konkurrenz. Das ist Teil des Jobs, wenn man in einem Top-Klub ist." Als Backup stehen mit Julian Weigl, Nuri Sahin, Shinji Kagawa, Sergio Gomez und Sebastian Rode zudem eine ganze Reihe hoch veranlagter Spieler in den Startlöchern.
Stürmersuche geht weiter
Ein möglicher Schwachpunkt in der neu-formierten Dortmunder Mannschaft könnte die Defensive werden. Mit Manuel Akanji, Abdou Diallo, Dan-Axel Zagadou oder Ömer Toprak werden Spieler die Innenverteidigung bilden, die sich erst noch kennenlernen müssen. Dass die Abstimmung noch nicht perfekt ist, wurde in den Testspielen gegen Zürich und Neapel deutlich. Auf den Außenbahnen setzt Favre auf zwei alte Bekannte: Marcel Schmelzer und Lukasz Piszczek. Gut möglich also, dass Torwart Bürki in den ersten Spielen das eine oder andere Abstimmungsprobleme seiner "neuen" Vorderleute ausbügeln muss.
Und wer stürmt? Auf solche Fragen reagiert der BVB-Coach meist mit einem freundlichen Lächeln. Einen entsprechenden Angreifer wie die abgewanderten Robert Lewandowski, Pierre-Emerick Aubameyang oder Michy Batshuayi haben die Dortmunder nämlich bisher nicht im Kader. Favre baut daher auf seine kreativen Offensivspieler Christian Pulisic, Maximilian Philipp, Reus oder den zuletzt positiv in Erscheinung getretenen Jacob Bruun Larsen. Auch Neuzugang Marius Wolf, der in der abgelaufenen Saison an 14 Toren von Eintracht Frankfurt direkt beteiligt war, dürfte auf der rechten Außenbahn für ordentlich Torgefahr sorgen.
Reus: "Wir sind gut vorbereitet"
Nach der enttäuschenden letzten Saison haben die Verantwortlichen um Michael Zorc und Sebastian Kehl reagiert und den BVB umgekrempelt. Der Kader ist gespickt mit vielen talentierten Spielern, weist aber auch ausreichend Erfahrung auf, um in kritischen Situationen auf und neben dem Platz die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Eine gute Mischung also, die mit einem ebenso guten Trainer sicherlich in der Tabellenspitze anzutreffen sein wird.
"Wir sind gut vorbereitet auf die kommende Saison", analysierte Kapitän Reus bei der Saisoneröffnung. Und auch seinen Mitspielern war die Vorfreude deutlich anzusehen. Ob es am Ende sogar für den Bundesliga-Titel reichen wird, wie es Leverkusens Trainer Heiko Herrlich prophezeit hat, darf aber angezweifelt werden. Der in der vergangenen Saison verloren gegangene Spaß dürfte den Weg aber mittlerweile wieder zurück nach Dortmund gefunden haben.