Burundischer Widerstand aus dem Herzen Europas
19. Juli 2015Ein burundischer Kulturverein im Norden von Brüssel. Von außen würde man hier eher ein leerstehendes Geschäft vermuten: Die Glasscheiben sind mit verblichenem Papier beklebt, man muss klopfen, um Einlass zu bekommen. Nur Insider wissen, dass sich hier ab spätnachmittags die burundische Diaspora trifft: Rund 15 Männer sitzen an langgezogenen Tischen. Man kennt sich, trinkt ein Bierchen, redet über die Situation zuhause, im Hinterhof werden Fleischspieße gegrillt. An der Wand hängt eine riesige Fahne - die belgische.
Als der Radiojournalist Bob Rugurika hereinkommt, gibt es ein großes Hallo. Bis vor wenigen Wochen war er Leiter des wichtigsten unabhängigen Radiosenders RPA in Bujumbura, der auch die Opposition zu Wort kommen ließ. Den gibt es nun nicht mehr: Sicherheitskräfte machten ihn nach einem misslungenen Putschversuch im Mai dem Erdboden gleich. Ruguriuka floh nach Brüssel.
"Um jeden Preis"
"Natürlich tut mir das weh", sagt Rugurika. "Ich müsste jetzt zuhause sein, in meinem Büro, in meinem Studio, um den Burundern Zugang zu unabhängigen Informationen zu ermöglichen." Deshalb wolle er nirgends Asyl beantragen, sondern so bald wie möglich zurück und alles daran setzen, dass Journalisten wie er wieder in Burundi arbeiten könnten. "Dafür würde ich jeden Preis bezahlen."
Diese Haltung bewundern seine Landsleute in dem Café: Für sie ist Rugurika ein Held. Sie wissen, was er durchgemacht hat, dass er zwischenzeitlich im Gefängnis saß. Der Kulturverein füllt sich, manche Besucher lassen sich mit Rugurika fotografieren - um es als Akt des Widerstands in sozialen Netzwerken zu posten. "Ich bin stolz auf ihn und das will ich allen zeigen", sagt eine Burunderin.
Haftbefehl gegen die „Mutter der Nation“
Wenige Kilometer entfernt, im Brüsseler Stadtparlament: Auch dort formiert sich Widerstand von Burundern. Belgische Abgeordnete haben Exil-Burunderinnen eingeladen, um über ihre Angst vor einem neuen Krieg und dessen Folgen für die Frauen im Land zu sprechen. Die Reihen sind gut gefüllt.
Unter den Rednerinnen ist Marguerite Barankitse: In Burundi wird sie Maggy genannt und als Mutter der Nation verehrt. Mit zahlreichen internationalen Preisen wurde sie für ihr soziales Engagement in dem ostafrikanischen Land ausgezeichnet. Während des Bürgerkrieges zwischen 1993 und 2000 rettete sie mit ihrer Organisation Shalom unzähligen Menschen das Leben.
Heute wird Barankitse nicht müde, soziale Ungerechtigkeiten im Land anzuprangern. Nachdem sie in Bujumbura demonstriert hatte, gab es einen Haftbefehl. Einen Monat lang versteckte sie sich. "Ich sagte mir: Dieser Präsident wird zur Vernunft kommen und auf ein drittes Mandat verzichten." Aber aus dem Exil könne sie mehr tun. Mitte Juni floh sie nach Brüssel. "Und hier rufe ich mit lauter und starker Stimme: Mein Land leidet, ich werde nicht schweigen."
Oppositionsarbeit über Umwege
Barankitses glühenden Appell an die Regierung, sich auf Verhandlungen einzulassen, verfolgt auf der Zuhörertribune Aimé Magera. Er ist Sprecher von Agathon Rwasa, der die Oppositionspartei Nationale Befreiungskräfte (FNL) anführt. Rwasa steht in Burundi unter Hausarrest und muss sich auf Magera im tausende Kilometer entfernten Brüssel verlassen. "Natürlich ist das für mich irgendwie seltsam", sagt Magera. "Vor allem, wenn ich die Bilder der Demonstrationen in meiner Heimat sehe, oder die Festnahmen." Zurück könne er nicht, er fürchte um sein Leben, solange die aktuelle Regierung im Amt sei.
Auch der burundische Parlamentspräsident Pie Ntavyohanyuma und der zweite Vize-Präsident Gervais Rufyikiri sind kürzlich nach Brüssel geflohen. Sie hatten innerhalb der Führungszirkel Verbündete gegen eine dritte Amtszeit von Pierre Nkurunziza mobilisiert. Jetzt sind sie vorsichtig. Ein Interview? "Vielleicht nach der Wahl", sagt Rufyikiri am Telefon.
Unterstützung von der ehemaligen Kolonialmacht
Dass so viele Burunder Zuflucht in Belgien suchen, hängt mit den engen Beziehungen beider Länder zusammen: Belgien ist ehemalige Kolonialmacht und heute wichtigster Geldgeber. Das Vorgehen von Präsident Nkurunziza hat Belgien scharf kritisiert und inzwischen Hilfsgelder eingefroren.
Die Brüsseler Abgeordnete Isabelle Durant von der Ecolo-Partei sieht es als Pflicht, den Exil-Burundern in dieser schweren Situation beizustehen. "Wir müssen ihre Treue zur Demokratie unterstützen und ihnen dabei helfen, andere von ihren Ansichten zu überzeugen."
Bewaffneter Widerstand?
Zurück im Kulturcafé. Journalist Bob Rugurika gibt sich kämpferisch gegen die Regierung - unter dem zustimmenden Nicken seiner Tischnachbarn. "Sie haben das Land an den Rand des Abgrunds geführt, in eine Situation der absoluten Unsicherheit." Aber nach vielen Gespräche mit europäischen Diplomaten in den vergangenen Wochen geht auch ihm ein wenig der Optimismus verloren. Nkurunziza hat sich bislang auf keinerlei substantielle Verhandlungen eingelassen - trotz der Kritik sämtlicher internationaler Akteure. Die internationale Gemeinschaft sei ratlos und ohne deren Hilfe werde wohl auch die Opposition früher oder später zum bewaffneten Widerstand übergehen, glaubt Rugurika.
Doch er gibt die Hoffnung nicht auf, sei sogar bereit zu sterben, sagt er. Zum Abschluss zeigt er noch einen Tweet, mit der ihn eine regierungsnahe Organisation offenbar diffamieren wollte: Bob Rugurika sei am Brüsseler Flughafen wegen Drogenbesitzes festgenommen worden. Der Journalist lacht herzlich. Von so etwas lässt er sich nicht einschüchtern.