"Jetzt fliegen schon Granaten"
24. November 2015"Die Gewalt nimmt jeden Tag zu. Jetzt ist es schon so weit, dass Granaten fliegen", sagt Joseph Ndayisaba. Er ist Politologe an der Universität in Burundis Hauptstadt Bujumbura und beobachtet mit Sorge, was in seinem Land passiert. "Das große Problem: Es ist eine Gewalt ohne Gesicht. Wir wissen nicht, wer dahintersteckt", sagt Ndayisaba. Die Regierung ließe sich zwar als eine der Konfliktparteien identifizieren. Wer aber die anderen seien, die gegen die Regierung kämpften, sei völlig unklar, sagt Ndayisaba. "Niemand hat bisher die Verantwortung für die Gewalt übernommen."
"Der größte Feind des Landes ist der Präsident"
Die Situation in Burundi ist mittlerweile völlig eskaliert. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden seit April mindestens 240 Menschen getötet, doch die Dunkelziffer ist vermutlich deutlich höher. Regierung und Opposition geben sich gegenseitig die Schuld an den Morden. Auch wenn unabhängige Beweise fehlen, ist für viele Burunder klar: Die Regierung und Präsident Nkurunziza stecken hinter dem Terror in ihrem Land.
"Pierre Nkurunziza ist der größte Feind des Landes", sagt ein Hauptmann der burundischen Armee, der anonym bleiben möchte. Gemeinsam mit anderen Militärs versuchte er Mitte Mai, den Präsidenten aus dem Amt zu vertreiben.
Doch der Putsch scheiterte, die Putschisten wurden verhaftet oder flohen - wie er - in die Nachbarländer Ruanda und Tansania.
"Ich bin stolz darauf, dass ich dabei war", sagt er im DW-Interview. Sie hätten damals nach dem Willen des Volkes gehandelt. "Das, was wir verhindern wollten, ist eingetreten: Pierre Nkurunziza hat Burunder umbringen lassen - junge, alte, er hat jeden umbringen lassen, der gegen sein drittes Mandat war." Die Verfassung des Landes sieht nur zwei Amtszeiten für den Präsidenten vor, doch Nkurunziza ließ sich im Juli für eine dritte Amtszeit wiederwählen.
Sanktionen für Einzelpersonen, Einschränkungen für die Zivilgesellschaft
Die internationale Gemeinschaft ruft zur Versöhnung und zum Dialog in Burundi auf, droht mit Strafen und verhängt Sanktionen. So ließ US-Präsident Barack Obama am Montag Auslandskonten von vier Burundern einfrieren und schränkte deren Reisefreiheit ein. Das betrifft zwei Regierungsmitglieder - darunter den Minister für öffentliche Sicherheit, der als Nummer Zwei nach dem Präsidenten gilt - sowie zwei Verantwortliche des Putsches im Mai.
Die Afrikanische und die Europäische Union (EU) hatten im Oktober zu ähnlichen Strafen für einflussreiche Burunder gegriffen. Aus diplomatischen Kreisen heißt es zwar, es solle bald Gespräche zwischen Burundi und der EU geben. Doch diese haben noch nicht begonnen.
Auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) verurteilt die Gewalt in Burundi. In einer Resolution kündigte er Mitte November Strafen an, wenn das Morden und Foltern nicht beendet werde. Bis Ende der Woche soll Generalsekretär Ban Ki Moon dem UN-Sicherheitsrat außerdem vorschlagen, wie die "künftige Präsenz der UN in Burundi" aussehen könnte.
Burundis Regierung scheint sich davon nicht einschüchtern zu lassen. Diesen Eindruck hat auch Yolande Bouka vom Institut für Sicherheitsstudien in Kenias Hauptstadt Nairobi. Sie war erst vor kurzem in Burundi. "Am meisten beunruhigen mich die Leichen, die regelmäßig in den Straßen von Bujumbura gefunden werden, vor allem in den Stadtteilen, in denen vor ein paar Monaten die meisten Proteste stattfanden", erzählt sie. Trotz internationalen Drucks und wiederholter Vermittlungsversuche zwischen Opposition und Regierung gehe das Morden weiter. "Das macht uns große Sorgen", sagt Bouka.
Am Montag verbot der Innenminister den zehn wichtigsten lokalen Nichtregierungsorganisationen des Landes vorläufig, ihre Arbeit weiterzumachen. Die Organisationen setzen sich unter anderem für Menschenrechte, Kinderrechte und den Kampf gegen Korruption ein. Ein Großteil ihrer Mitglieder, wie der Menschenrechtler Pierre-Claver Mbompina, hat das Land bereits verlassen.
Auf dem Weg in die internationale Isolation?
Auch die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC), ein Zusammenschluss von Kenia, Tansania, Uganda, Ruanda und Burundi, versucht in der Krise zu vermitteln. Ab Dezember wäre Burundi an der Reihe, den Vorsitz der EAC zu übernehmen. Doch ob es wirklich dazu kommt, bezweifeln viele.
Der burundische Politologe Ndayisaba zweifelt daran, ob sein Land überhaupt zum nächsten EAC-Gipfel eingeladen wird: "Wir machen uns gerade überall nur Feinde. Warum sollte man uns noch zu solchen Treffen einladen?"
Burundi verliere zurzeit völlig seine Glaubwürdigkeit, sagt Ndayisaba. "Und eines Tages werden wir uns schämen, als Burunder in den internationalen Organisationen aufzutreten." Mit seinen Freunden - der ehemaligen Kolonialmacht Belgien - und seinen Nachbarn Ruanda habe es sich Burundi bereits verscherzt. Ruandas Präsident Paul Kagame kritisiert das Vorgehen der burundischen Regierung sehr deutlich, die Spannungen zwischen den beiden Ländern haben in den letzten Monaten stark zugenommen. Gegen Belgier, die in Burundi leben, habe es Drohungen gegeben, so das belgische Außenministerium. Auch deshalb hat Belgien seine Staatsbürger aufgefordert, Burundi zu verlassen. "Dabei sollte man sich in einer so fragilen Lage wie unserer zuallererst seinem Freund und seinem Nachbarn zuwenden," so Ndayisaba.
Mitarbeit: Eric Topona, Kossivi Tiassou, Mark Caldwell