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"An der Belastungsgrenze"

Nina Niebergall30. Oktober 2015

Tausende Flüchtlinge kommen täglich im bayerischen Passau an. Für die Polizisten vor Ort ist die Situation belastend - und wird im Winter noch schlimmer, sagt Thomas Rudlof von der Bundespolizeigewerkschaft.

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Ein Polizist spricht mit Flüchtlingen in Passau (Foto: AFP)
Bild: Getty Images/AFP/C. Stache

Deutsche Welle: Herr Rudlof, die Bundespolizei koordiniert aktuell die Flüchtlingsaufnahme an der deutsch-österreichischen Grenze. Wie sieht die Arbeit der Einsatzkräfte vor Ort genau aus?

Thomas Rudlof: Die Kolleginnen und Kollegen warten auf die Flüchtlinge, die aus Österreich kommen und leiten diese dann weiter an die Clearingstelle in Passau (Anm. d. Red.: in sogenannten Clearingstellen warten Flüchtlinge auf ihre Registrierung). Dort wird eine Erstversorgung der Flüchtlinge vorgenommen, bevor sie auf die Aufnahmeeinrichtungen in ganz Deutschland verteilt werden.

In welcher Situation müssen die Beamten besonders darauf achten, dass die Lage nicht außer Kontrolle gerät?

Die Flüchtlinge sind schon relativ lange unterwegs und wollen unbedingt nach Deutschland. Wenn es nun zu einem Stau an der Grenze kommt, also die Weiterbeförderung zu der Clearingstelle stockt, entwickeln sich bei den Flüchtlingen gewisse Ängste, dass sie nicht dabei sind oder länger warten müssen. Da kommt es manchmal vor, dass - ich will nicht sagen Panik - aber zumindest ein gewisser Druck entsteht, in die Busse zu kommen.

Am vergangenen Wochenende brachte die österreichische Polizei 2000 Flüchtlinge mehr nach Passau als angekündigt. Wie gehen die deutschen Einsatzkräfte damit um, wenn auf einmal viel mehr Menschen aus den Zügen steigen als geplant?

Momentan läuft alles auf Improvisation hinaus. Die Kollegen vor Ort hoffen natürlich, dass die Absprachen eingehalten beziehungsweise zukünftig besser werden. Dass also die österreichische Seite, wenn sie 30 Busse ankündigt, auch wirklich nur 30 Busse bringt. Wenn ich plötzlich Busse bringe und die Menschen aussteigen lasse, dann wollen sie möglichst schnell nach Deutschland. Die österreichischer Seite sagt dann: Wir können sie nicht mehr aufhalten, die sind einfach losgerannt.

Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze (Foto: dpa/picture-alliance)
An der deutsch-österreichischen Grenze warten die Menschen auf Busse, die sie in Erstaufnahmeeinrichtungen bringenBild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Ein Bundespolizist kommentierte die Ankunft der Menschen in Passau mit den Worten: "Wir saufen ab." Wie bewältigen die Polizeibeamten das ständig wachsende Pensum an Arbeit?

Momentan ist es so, dass circa 2000 Beamte der Bundespolizei an der deutsch-österreichischen Grenze im Einsatz sind. Das sind viermal so viele wie vor der Flüchtlingskrise. Diese Kollegen kommen aus ganz Deutschland. Da unten bauen sie jetzt natürlich jede Menge Überstunden auf. Eine spürbare Entlastung wäre es, wenn das Bundesinnenministerium tausend Tarifbeschäftigte zusätzlich einstellen würde. Die müssten kaum ausgebildet werden und könnten zum Beispiel bei der Registrierung helfen. Warum sich das Bundesinnenministerium sträubt, das zu tun, versteht sowohl von der Gewerkschaft als auch von den Kollegen vor Ort niemand.

Inwiefern bedeutet die Arbeit mit Menschen, die monatelange Fußmärsche hinter sich haben, verfroren und verängstigt sind, auch eine psychische Belastung für die Bundespolizisten, die oft selbst Überstunden machen müssen und überarbeitet sind?

Das belastet natürlich schon. Die Kolleginnen und Kollegen sind auch Familienväter oder -mütter. Wenn Familien mit Kleinkindern oder Babys ankommen und die Witterung dementsprechend ist, sieht man das Elend. Außer der Belastung durch den täglichen Dienst ist das eine erhebliche psychische Belastung, der sie hier ausgesetzt sind. Wenn man mit den Kollegen spricht, sagen sie, die Situation sei schon hart an der Grenze des Zumutbaren. Vor allem, weil man das nicht nur einen oder zwei Tage sieht, sondern mittlerweile über Wochen. Bei der Bundespolizei gibt es sogenannte Kriseninterventionsteams, an die sich die Kollegen wenden können, wenn sie beispielsweise ein dramatisches Ereignis miterlebt haben.

Flüchtlinge aus Syrien bei Passau (Foto: dpa)
Für die Beamten der Bundespolizei ist der Umgang mit Flüchtlingen nicht immer einfachBild: imago/epa/S. Backhaus

Ist für so etwas aktuell überhaupt die Zeit da?

Es ist natürlich sehr schwierig, zu sagen: Ich muss jetzt einmal eine Auszeit nehmen, weil ich Hilfe brauche.

Schon jetzt kann die Bundespolizei mit den wachsenden Flüchtlingszahlen kaum Schritt halten. Welche Herausforderungen werden im Winter für die Einsatzkräfte noch dazu kommen?

Momentan ist es so, dass nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die Beamten der Bundespolizei auf der Straße stehen und höchstens ein Streifenfahrzeug haben, um sich vor der Witterung zu schützen. Wenn jetzt die kalte Jahreszeit kommt, brauchen auch unsere Kolleginnen und Kollegen Möglichkeiten, um sich unterstellen zu können - entweder in Form von Zelten oder angemieteten Containern.

Derzeit ist nicht zu erwarten, dass innerhalb der nächsten Monate weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Wann ist die Belastungsgrenze der Bundespolizei erreicht?

Wenn Sie das im Gesamtkomplex sehen: Die Belastungsgrenze ist eigentlich jetzt erreicht. Nicht unmittelbar die der Kollegen und Kolleginnen vor Ort, aber die werden aus ganz Deutschland abgezogen. Das heißt, sie fehlen irgendwo - bei der Bundesbereitschaftspolizei oder an anderen Dienststellen. Dort bleibt natürlich Arbeit liegen. Jetzt ist die Frage: Wie lange führt man die Grenzkontrollen durch und wie lange bleibt der Flüchtlingsstrom in diesem Ausmaß erhalten?

Thomas Rudlof ist Vorsitzender des Bezirksverbands Bayern bei der Bundespolizeigewerkschaft.

Das Gespräch führte Nina Niebergall.