Bulgarien und Nordmazedonien: Neuanfang?
19. Januar 2022Nur 200 Kilometer trennen die Hauptstädte Bulgariens und Nordmazedoniens. Aber eine Fahrt zwischen Sofia und Skopje dauert auf holprigen Straßen fast vier Stunden und erfordert viel Geduld. Politiker beider Länder sind seit fast sechs Jahrzehnten in einen erbitterten Streit über die Geschichte und die Identität ihrer Nationen verstrickt - und haben nie über bessere Reisebedingungen nachgedacht. Es gibt weder eine Eisenbahnlinie noch regelmäßige Flugverbindungen zwischen den beiden Nachbarländern.
Doch als der neue bulgarische Premierminister Kiril Petkow am Dienstag zu seinem Antrittsbesuch in Skopje eintraf, versprach er, dass in den kommenden 60 Tagen geschehen werde, was in 60 Jahren nicht geschehen sei: Binnen zwei Monaten sollen Flüge einer kommerziellen Airline die beiden Hauptstädte verbinden. Eine Bahnlinie wird wohl bis zum Ende des Jahrzehnts fertiggestellt.
Wie lange Nordmazedonien hingegen auf sein dringendstes Anliegen warten muss - die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union - ist unklar. Petkows Amtskollege, der erst am Montag neu vereidigte mazedonische Premier Dimitar Kovacevski, hofft, dass es nicht noch weitere Jahre sein werden. Denn bereits seit mehr als zwei Jahren blockiert Bulgarien den Gesprächsbeginn.
Ein neues Kapitel
Nach einer herzlichen Umarmung vor dem Regierungsgebäude in Skopje und anschließenden langen politischen Gesprächen erklärten Kovacevski und Petkow vor Journalisten, sie hofften, ein neues Kapitel in den angespannten Beziehungen aufschlagen zu können. Das wird nicht leicht. Denn vor allem Bulgarien hat sich im Geschichtsstreit der beiden Nachbarländer in eine Ecke manövriert, aus der es nur schwer wieder herausfinden kann.
Die vorherige bulgarische Regierung unter Bojko Borissow verlangte von Nordmazedonien, es müsse akzeptieren, dass sowohl die mazedonische Nation als auch die mazedonische Sprache bulgarischen Ursprungs und Charakters seien - eine Forderung, die außenstehende Historiker nahezu ausnahmslos als absurd ansehen. Skopje lehnte das Ultimatum mit der Begründung ab, es verstoße gegen europäische Grundsätze und gegen das Selbstbestimmungsrecht der Nationen.
Geänderter Ton
Auch Sofias neue Regierung fordert weiterhin, dass ein Kompromiss erzielt werden muss, bevor Nordmazedonien mit EU-Beitrittsgesprächen beginnen kann. Doch im Unterschied zu Borissow versuchte dessen Nachfolger Kiril Petkow bei seinem ersten Besuch in Skopje, den Ton zu ändern. "Ich bin ein großer Optimist, was die neue Dynamik in unseren Beziehungen angeht, und kann Ihnen versichern, dass Ergebnisse jede Woche sichtbar sein werden", sagte Petkow während der gemeinsamen Pressekonferenz mit Kovacevski.
Kovacevskis Vorgänger in der Regierung, Zoran Zaev, gelang es, den jahrzehntelangen Streit mit Griechenland zu lösen, indem er den Namen seines Landes von "Mazedonien" in "Nordmazedonien" änderte. Einen Kompromiss mit Sofia zu finden, schaffte er hingegen nicht - wobei die Gründe dafür weniger bei ihm lagen als vielmehr in der bulgarischen Innenpolitik.
Gemeinsames Regierungstreffen
Nun hoffen die beiden neu gewählten Premierminister auf einen Neuanfang. "Wir haben einander versprochen, dass wir neue Energie aufwenden werden, um unsere Beziehungen mit Respekt zu verbessern", sagte Kovacevski am Dienstag. Anstatt sich ausschließlich auf ungelöste historische Streitigkeiten zu konzentrieren, vereinbarten die beiden Premiers, in der kommenden Woche ein gemeinsames Regierungstreffen in Sofia abzuhalten und Arbeitsgruppen für eine engere Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Handel, Bildung, europäische Integration, Kultur und Geschichte zu bilden.
Die Regierung in Skopje machte nur Stunden vor Petkows Besuch den ersten Schritt in Richtung Kompromiss, indem sie die Vereinten Nationen darüber informierte, dass sich der Name "Nordmazedonien" und seine längere Version "Republik Nordmazedonien" nur auf das Land und nicht auf die größere geografische Region beziehen. Bislang hatte Sofia behauptet, der kürzere Name impliziere territoriale Bestrebungen in Richtung Bulgarien und dessen Region Pirin-Makedonien.
Kompromiss in Reichweite?
"Ja, es gibt Hoffnung, denn wir haben endlich das Zauberwort 'Kompromiss' gehört", sagt Ivaylo Ditchev, politischer Analyst und Professor für Kulturanthropologie an der Universität Sofia in Bulgarien der DW. "Eine der ziemlich dummen Forderungen Bulgariens war es, dass Nordmazedonien immer den langen Namen 'Republik Nordmazedonien' verwenden solle. Nun beginnen sie, das beiseite zu schieben, indem die Regierung in Skopje erklärt, ihr Name impliziere keine territorialen Ansprüche auf die Pirin-Region. Voilà!"
Der mazedonische Politologe Saso Ordanoski sagt für die kommenden Monate einen möglichen Kompromiss voraus, der Nordmazedonien die Tür zum EU-Beitrittsprozess öffnen könne, während die Gespräche mit Sofia in den folgenden Jahren auf bilateraler Ebene fortgesetzt würden. Er führt den Wandel auf den "wachsenden internationalen Druck" auf Sofia zurück.
Nationalistischer Druck
Seit dem ersten bulgarischen Veto gegen den Beginn von EU-Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien im Jahr 2019 hatten verschiedene US-amerikanische und EU-Diplomaten die Haltung Sofias kritisiert. Nach einem Besuch in Nordmazedonien und Albanien in dieser Woche stellte die deutsche Staatsministerin Anna Lührmann fest, dass es "positive Zeichen" aus Bulgarien gebe, und wiederholte die offizielle Position Berlins, dass die EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien so schnell wie möglich beginnen müssten.
Sofia besteht allerdings auch darauf, dass die ethnische bulgarische Minderheit in Nordmazedonien - wie andere Minderheiten im Land - verfassungsmäßig anerkannt werden muss. Doch die Regierung in Skopje steht schon seit dem Namenskompromiss mit Griechenland unter starkem nationalistischem Druck von Seiten der rechten Oppositionspartei VMRO-DPMNE und einer kleineren prorussischen linken Bewegung. Sie verfügt auch nicht über die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament, um diese bulgarische Forderung zu erfüllen.
Stabilität der bulgarischen Regierung gefährdet
Sollte der Kompromiss schließlich zustande kommen, sagt Ordanoski der DW, würden die nationalistischen Kräfte in Nordmazedonien ihn nicht verhindern können. Aber er sieht Probleme im Nachbarland: "Es gibt zwar Kräfte in Nordmazedonien, die in dieser Art von rückwärtsgewandter Politik immer ihre Chance gesehen haben. Doch in Bulgarien ist der Prozess der Kompromissfindung viel schwieriger."
Tatsächlich lehnen in der neuen bulgarischen Vier-Parteien-Koalition zwei Parteien den politischen Vorstoß des Premiers Petkow in Richtung eines Abkommens mit Nordmazedonien ab. Auch der bulgarische Staatspräsident Rumen Radew ist dagegen. Wenn Petkow Bulgariens Position weiter aufweicht, könnte die Stabilität der neuen bulgarischen Regierung, die sich ambitionierte innenpolitische Reformen zum Ziel gesetzt hat, gefährdet sein.
"Bulgarien befindet sich in einer schwierigen politischen Situation", sagt Ivaylo Ditchev. "Beim Schach nennt man so etwas Zugzwang. Es gibt keine anderen möglichen Züge als die, die Petkow spielt", sagt Ditchev. "Ich wünsche ihm Glück!"