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Gestrandet am Bahnhof

Max Hofmann1. September 2015

Die ungarische Regierung lässt zahlreiche Flüchtlinge nicht weiterreisen. Eine Alternative hat sie aber auch nicht. So warten Tausende weiter am Bahnhofsplatz in Budapest. Von dort berichtet Max Hofmann.

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Ungarn: Flüchtlinge am Bahnhof Budapest (Photo: DW/Lars Scholtyssyk)
Bild: DW/L. Scholtyssyk

"Wir kommen aus Syrien, wir wollen nach Deutschland!" Das ist der Satz, den so gut wie alle Flüchtlinge vor dem Keleti-Bahnhof auf Englisch oder Deutsch kennen. Die Aufgebrachteren unter ihnen lassen sich auf die Schultern ihrer Leidensgenossen heben und skandieren "Germany, Germany!".

Hunderte Flüchtlinge stehen dem Polizeiriegel vor dem Bahnhofsgebäude gegenüber. Auf ihren Gesichtern: Verzweiflung, Wut, Erschöpfung. Aber wenn wir ihnen zulächeln, kommt auch immer ein Lächeln zurück. In der Menschenmenge erkennen uns die überwiegend jungen Männer schnell als deutsche Journalisten und bilden sofort einen Ring um uns. Sie zeigen uns ihre Tickets: München oder Salzburg steht drauf, über einhundert Euro haben sie jeweils dafür bezahlt. Das Geld der Verzweifelten nimmt Ungarn gerne, aber die Tickets benutzen dürfen sie nicht.

Fast am Ziel

"Wir lieben Deutschland, dort haben die Menschen noch ein Herz" ruft uns der 18-jährige Ali zu. Der Syrer ist seit vier Tagen in Budapest. Sein Weg führte ihn über die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Serbien. Die kurze Strecke auf dem Mittelmeer ist ihm – wie den meisten – in besonders schlechter Erinnerung geblieben. Dutzende Flüchtlinge in kleinen Nuss-Schalen auf dem großen Meer. Dagegen ist der ungarische Zaun an der Grenze zu Serbien ein Klacks. Umso größer jetzt die Frustration, dass sie in der EU fest sitzen, eigentlich am Ziel ihrer Träume, aber eben nicht ganz. Deutschland ist immer noch hunderte Kilometer entfernt.

Ungarn: Flüchtlinge am Bahnhof Budapest (Photo: DW/Lars Scholtyssyk)
Ausnahmezustand in BudapestBild: DW/L. Scholtyssyk

Auf dem Bahnhofsplatz halten manche der Männer ihre Säuglinge in die Luft, "Germany, Germany" schallt es wieder zu den Polizisten hinüber. Einige der Umstehenden zupfen an unseren Ärmeln, sie wollen eine Botschaft an Angela Merkel richten. Überhaupt: die deutsche Bundeskanzlerin gilt hier als Heilsbringerin. Von dem Image einer eisernen Kanzlerin, von der strengen Richtmeisterin über die Griechen, davon ist hier nichts zu spüren. Ob sie denn von den fremdenfeindlichen Demonstrationen in Teilen Deutschlands gehört hätten, wollen wir wissen. "Nein. Deutschland sei ein tolles Land", ist die Antwort.

Planlose Polizei

Eine ungarische Kollegin schaut nervös zur großen Straße hinüber, die am Bahnhofsplatz vorbei führt. "Wir müssen hier schnell weg, wenn etwas passiert", sagt sie. Die Budapester wissen, wie schnell die Polizei hier mit Tränengas und Wasserwerfern zur Hand sein kann. Aber von Gewalt keine Spur, auch wenn manche der Demonstranten, schweißüberströmt und mit wildem Blick in den Augen über den Platz irren. Sie sind erschöpft und vor allem frustriert: keiner sagt ihnen wie es weitergeht, die Behörden kümmern sich nicht um Wasser, Essen oder Schlafplätze. Die einzige Hilfe kommt von Nicht-Regierungs-Organisationen.

Ungarn: Flüchtlinge am Bahnhof Budapest (Photo: DW/Lars Scholtyssyk)
Erholung im SchattenBild: DW/L. Scholtyssyk

Gegen 11 Uhr lassen die Polizisten dann wieder Menschen ins Bahnhofsgebäude. Bedingung: Ein EU-Pass oder gültiges Visum. Kurz: alle außer den Flüchtlingen. Die wissen also weiterhin nicht, wie es mit ihnen weitergeht. Die ungarischen Behörden bestehen zwar darauf dass sie, im Gegensatz zu Ländern wie Italien und Griechenland, geltendes EU-Recht respektieren und die Flüchtlinge offiziell aufnehmen, mit Fingerabdrücken und allem was dazu gehört. In der Realität aber wirken die Aktionen der Polizisten hier planlos und bockig. Das einzige Gefühl, das sich uns vermittelt, dass die meisten Menschen in Ungarn und vor allem ihre Regierung die Flüchtlinge einfach nur loswerden will.

Ungarn: Flüchtlinge am Bahnhof Budapest (Photo: DW/Lars Scholtyssyk)
Wer sich an Regeln hält kommt nicht weit auf der Flucht nach EuropaBild: DW/L. Scholtyssyk

Die letzte Mauer

Erschöpft legen sich die gestrandeten Menschen in den Schatten direkt vor den Mauern des Bahnhofs. Hier und da steht ein zerfetztes Zelt. Die Mittagssonne knallt mit rund 35 Grad Celsius unerbittlich auf Budapest herab. Der Bahnhofsplatz ist zu einem weiteren Symbol der dysfunktionalen europäischen Flüchtlingspolitik und der Herzlosigkeit mancher europäischer Länder gegenüber Fremden geworden. Aber die Mauer des Keleti-Bahnhofes – da sind wir uns sicher – ist nur ein weiteres Hindernis, dass diese Menschen auf ihrem Weg nach Deutschland früher oder später auch noch überwinden werden. Vielleicht das letzte.