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Buchtipp: Michael Degen "Der traurige Prinz"

Jochen Kürten6. April 2015

Der Schauspieler Michael Degen hat ein Buch über seinen früh verstorbenen Kollegen Oskar Werner geschrieben. "Der traurige Prinz" ist weder Roman noch Biografie - und trotzdem ein ganz besonderes Lesevergnügen.

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Oskar Werner (Foto: Harry Weber)
Bild: picture-alliance / IMAGNO/Harry Weber/NB

Was muss das für ein Abend gewesen sein! Ganz tief hat er sich offenbar in das Gedächtnis des Schauspielers Michael Degen eingebrannt. Erst dreißig Jahre später schrieb Degen die Ereignisse dieser Stunden auf. Seinem aktuellen Buch "Der traurige Prinz" hat er als Untertitel den Satz "Roman einer wahren Begegnung" mit auf den Weg zum Leser gegeben.

Der damals schon renommierte Theater- und Filmschauspieler Michael Degen gastierte 1983 mit einer Bühnentruppe in Vaduz in Lichtenstein. Es wurde August Strindbergs Drama "Fräulein Julie" gegeben und niemand geringeres als der legendäre Schwede Ingmar Bergman zeichnete für die Regie verantwortlich. Nach der Vorstellung kam ein schmächtig wirkender Mann mit blondem Haar und auffällig hellen Augen auf Degen zu, beglückwünschte diesen zu seinem Auftritt und lud ihn zu einem Drink in sein nahe gelegenes Haus ein.

Schauspieler-Legende mit Höhen und Tiefen

Michael Degen erkannte in der traurig-sympathischen Gestalt seinen berühmten Kollegen Oskar Werner. Dessen Erfolge auf Theaterbühnen und vor den Filmkameras lagen schon einige Jahre zurück, doch Werner war eine Legende. Er galt als großer Mime des Jahrhunderts, einer, der Klassikerrollen an der Wiener "Burg" zur schauspielerischen Vollendung gebracht hatte. Unter der Regie von François Truffaut spielte er eine Hauptrolle in dem Kinoklassiker "Jules und Jim". Auch Hollywood-Regisseure rissen sich einige Jahre um den begabten Ausnahmeschauspieler.

Michael Degen (Foto: Michael Degen)
Michael DegenBild: Imago

An diesem Abend im Jahr 1983 also machte man sich gemeinsam auf den Weg in Werners Haus. Was dann folgte, war ein alkoholdurchtränkter Abend und eine Nacht, die nicht enden sollte. Michael Degen hat sich Jahrzehnte später an diese Begegnung detailliert erinnert und einen dialogreichen Text zu Papier gebracht, den man sich auch gut auf der Bühne vorstellen kann - als menschliches Drama, als Porträt eines Mannes am Abgrund, der mit Leben und Beruf schon abgeschlossen hatte .

Abscheu gegen die Nazis

Oskar Werner, der eigentlich Oskar Bschließmayer hieß, ließ sich während des Abends von seinem jüngeren Schauspielerkollegen auch nur so anreden. Den Künstlernamen hatte er aufgrund seiner grenzenlosen Bewunderung für den Schauspieler Werner Krauß ("Das Cabinettdes Dr. Caligari") angenommen. Krauß, einer der größten Schauspieler des deutschsprachigen Raums, hatte sich während des Nationalsozialismus von den braunen Machthabern vereinnahmen lassen und im berüchtigten antisemitischen Film "Jud Süß" (1940, Regie: Veit Harlan) eine Hauptrolle übernommen.

Oskar Werner litt schwer unter seiner schwierigen Kindheit. Seine Familie war im Zweiten Weltkrieg von den Nazis drangsaliert worden, seitdem hasste er Hitler und seine Nazischergen abgrundtief. Doch der Faszination für den Vollblutschauspieler Werner Krauß konnte er sich nicht entziehen. Krauß wurde zum engen Freund und Saufkumpanen. Eine verhängnisvolle Freundschaft, wie Michael Degen in seinem Buch schreibt:

Später jedoch, an der Burg, als die Rollen wichtiger wurden, und noch später als die wieder aufgebaute Burg mit dem 'Don Karlos' eröffnet wurde, begannen die gewaltigen Sauftouren mit Werner Krauß überhandzunehmen. Solange er jung war, hatte er sich immer wieder schnell erholt. Aber sich regelrecht vom Trinken zu befreien, das gelang ihm nicht mehr.

Oskar Werner 1983 (Foto: Barbara Pflaum)
Oskar Werner 1983Bild: picture-alliance/IMAGNO/Barbara Pflaum

Anekdotenreiches Saufgelage

So gestaltete sich auch besagter Abend als nicht enden wollendes Trinkgelage. Oskar Werners Leibgetränk war Fernet-Branca ("…dem Magen wegen"), dem Gast servierte er einen Grünen Veltiner nach dem Anderen. Der Jüngere versuchte mehrmals das Haus zu verlassen, bat seinen Gastgeber wiederholt um ein Taxi. Doch dem gelang es immer wieder den Gast mit Charme und zahllosen Anekdoten aus seinem Leben festzuhalten. So reihte sich ein Thema an das andere. Erfahrungen an den Bühnen Europas wurden ausgetauscht, die großen Rollen, die beide gespielt hatten, wortreich miteinander verglichen.

Es entwickelte sich ein ewigwährendes Hin und Her zwischen kollegialer Verständigung und Auseinandersetzung, zwischen gegenseitiger Bewunderung, Neid und Streit, die den Gesprächsfluss dramatisch grundierten. Als großes Thema im Hintergrund schimmerte immer wieder der Absturz des Darstellers Oskar Werner aus den Höhen der Schauspielkunst in die Tiefen der Alkoholsucht durch. Ein Leben, das irgendwann nur noch aus Erinnerungen an bessere Zeiten bestand. Das Buch von Michael Degen ist das bewegende Zeugnis eines Schauspielers, der mit seinem frühem Erfolg und Ruhm nicht fertig geworden ist.

Buchcover Der traurige Prinz (Foto: Verlag)
Bild: Rowohlt Berlin

"Er ist ein Gefäß, das ständig andere, neue Charaktere, immer wieder nie gekannte Erlebnisse in sich aufnehmen lassen muss. Was, in Gottes Namen, hätte dabei vor der ureigenen Person des Oskar Josef Bschließmayer noch weiterbestehen bleiben sollen?"

Einblick in die Psyche Oskar Werners

Zwischen all den Rollen, die Oskar Werner im Laufe seines Lebens gespielt hat, konnte er die allerwichtigste - die private - bald nicht mehr meistern. Sein Leben ging in die Brüche, nachdem er es sich erlaubt hatte, Film- und Theaterangebote auszuschlagen. Auch die guten Kontakte zu seiner Hausbühne, der Wiener "Burg", hatte Werner überstrapaziert, danach ging es endgültig mit ihm bergab. Der Alkohol wurde zu seinem ständigen Begleiter.

"Der traurige Prinz" ist ein Buch über einen Menschen in der Lebenskrise, der seinem Absturz in Zeitlupe zuschaut, aber nichts mehr tun kann. Und irgendwann auch nicht mehr will. Dem Schauspieler-Kollegen Michael Degen hat Oskar Werner einen erschütternden Einblick in die Abgründe seiner Psyche gewährt. Nur ein Jahr nach der Begegnung der beiden Männer erlag er einem Herzinfarkt - während einer Theatertournee durch die deutsche Provinz.

Michael Degen: Der traurige Prinz - Roman einer wahren Begebenheit, Rowohlt Berlin 2015, 252 Seiten, ISBN 978 3 87134 768 9.